Berlin wird Schwammstadt

Das Quartier 52° Nord

Deutsches Ingenieurblatt 11/2021
Videor E. Harting GmbH
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Stadt- und Raumplanung
Green Engineering: Umwelt, Energie, Mensch
Im Südosten Berlins, im Ortsteil Grünau, schafft der Immobilienentwickler Buwog ein ökologisch-soziales Vorzeigequartier. Ein Meilenstein: das „The View“ mit neuartigem Zutrittssystem des Aufzugherstellers Kone

Berlin baut nachhaltig: Im Südosten der Stadt entwickelt die Vonovia-Tochter Buwog ein ehemaliges Industriegelände zum „Quartier 52° Nord“. Rund 700 Wohnungen sind auf dem 100.000 m2 großen Areal in Grünau bereits entstanden. Bis 2024 soll ihre Zahl auf rund 1.000 Wohnungen mit rund 2.000 Bewohnern wachsen. Geschätztes Investitionsvolumen: rund 360 Millionen Euro. Mitte 2021 wurde der aufregendste Bauabschnitt fertiggestellt: das „The View“ mit drei Einzelgebäuden am Dahme-Ufer.

Wohnung und Wasser scheinen zu verschmelzen
An den Seiten-Häusern 1 und 3 mit rautenförmiger Grundstruktur verkleiden dunkle Holzpaneele die Fassaden, die durch unterschiedliche Fensterformate lebendig werden. Erdgeschoss und viertes Obergeschoss – als Staffelgeschoss umgesetzt – sind mit Cortenstahl verkleidet. Im Zentrum steht Haus 2, ebenfalls fünfgeschossig, doch durch große Fensterflächen und Aluminiumpaneele heller gehalten.

Clou des Mittelgebäudes sind die bis zu 8 m breiten „schwebenden Stege“ vor der Wasserfront mit ihren schräg gestellten Außensäulen. So scheinen Wohnung und Wasser eins zu werden, zumal die Stege ein Hybrid sind: einerseits Erschließungselement auf dem Weg der Wohnungseigentümer in ihre Wohnung, andererseits großzügiger Freiraum, der zur Kommunikation mit den Nachbarn einlädt (die am eigenen Fenster vorbeilaufen) – ein Freiraum, der den eigenen Lebensraum zum Fluss hin weitet. Viele Bewohner haben, kaum eingezogen, die Stege für sich entdeckt und belegt: mit Turnringen, Sessellandschaften, Blumenkübeln und anderem mehr.

Besonderes Zutrittssystem für „The View“
Wer im Freien entspannt, möchte ungern Besuchern die Tür öffnen. Daher fiel die Wahl des TGA-Planers auf das Zutrittssystem des Aufzugherstellers Kone, der die überwiegende Zahl der Lifte im Quartier installiert hat. „Residential Flow“ bringt durch seine App die Videogegensprechanlage auf die Smartphones der Nutzer. Damit können sie Besuchern die Haustür öffnen, den Aufzug ins Erdgeschoss schicken und dabei die richtige Etage für die Fahrt nach oben voreinstellen. Zugleich macht die App das Smartphone zum Haustürschlüssel: Mit Öffnen der Haustür wird automatisch der Aufzug ins EG gerufen und die Zieletage eingestellt. Selbst die Wohnungstür hätte sich über eine Sonderlösung integrieren lassen.

Teil des Systems ist ein digitales „Schwarzes Brett“: Bildschirme in den drei Aufzügen und in den Eingangsfluren ersetzen die üblichen Aushänge. Die Inhalte können aber auch direkt auf die Smartphones der Bewohner gespielt werden – zentral gesteuert durch die WEG-Verwaltung, die über das System auch die digitalen Schlüssel und die Zugangsrechte verwaltet. „Zieht jemand aus, können wir den Zugang komplett sperren. Ebenso wenn jemand seinen RFID-Schlüssel verliert, der alternativ zur Smartphone-App genutzt werden kann“, erklärt Sabine Grodd von der zuständigen WEG-Verwaltung der Vonovia Immobilien Treuhand. Bucht jemand einen Tiefgaragenplatz hinzu, wird der Aufzug für die Fahrt ins Untergeschoss freigeschaltet.

Vom Industrieareal zum maritimen Wohngebiet
Bis zur Fertigstellung des „The View“ war es ein weiter Weg, da Chemieproduktion das Gelände zwischen Regattastraße und Dahme stark kontaminiert hatte. So gab es einen gemeinsamen Sanierungsplan von Buwog, Land Berlin und Bund, auf dessen Grundlage Fachunternehmen den Boden in bis zu 1,5 m Tiefe abtrugen. 2015 erfolgte die erste Grundsteinlegung, im Frühjahr 2017 wurden die ersten Wohnungen bezogen.

Dabei wurde und wird jedes Baufeld von einem eigenen Projektteam und meist einem Planungsbüro konzipiert. Ein weiteres Team übernimmt die übergreifende Steuerung, etwa im Hinblick auf die Baustellenlogistik und das städtebauliche Gesamtkonzept.

Wichtig sind dem Unternehmen Nachhaltigkeit und gestalterische Qualität, die ihm 2020 den Preis „Ausgezeichneter Wohnungsbau“ einbrachten.

Sozial durchmischtes Quartier
Auf den ersten Blick nicht sichtbar ist die soziale Mischung: Knapp zwei Drittel der Wohnungen sind Eigentum, ein Drittel Mietobjekte. An Fertigstellung und Übergabe der Eigentumswohnungen schließt die WEG-Verwaltung durch die Vonovia Immobilien Treuhand an. Die Mietwohnungen gehen nach Fertigstellung in den Bestand der Vonovia über.
Der hohe Anteil der Mietobjekte des Quartiers entspreche dem Wunsch der Buwog, lebendige Quartiere zu entwickeln, sagt Unternehmenssprecher Michael Divé. „So schaffen wir eine Bandbreite von Wohnungen, die sich an ganz unterschiedliche Zielgruppen und Generationen richten – das ist soziale Nachhaltigkeit.“

Dazu trägt die hochwertige Lage der Wohnungen bei: Der öffentliche Uferweg ist von jeder Wohnung maximal 200 m entfernt. Viele Mieteinheiten liegen nicht an der stark befahrenen Regattastraße, sondern an den ruhigeren Quartiersstraßen und den stark begrünten Höfen, die das Quartier durchziehen und nur Fußgängern offenstehen. Die allermeisten Mietwohnungen verfügen über Balkon, Terrasse oder Gartenanteil. Dazu kommen Pocket-Parks, viele Straßenbäume, drei öffentliche Spielplätze und eine Kita für rund 75 Kinder.

Eine Schwammstadt, energieeffizient und grün
Die Gebäude, teilweise in Holz-Hybrid-Bauweise, folgen vielfach dem KfW-40-Standard. Ihre Wärme beziehen sie aus dem quartiers-eigenen, von Techem Solutions betriebenen Blockheizkraftwerk mit Primärenergiefaktor Null. Das Kraftwerk nutzt zu ca. 65 Prozent Biomethan aus Biomasse. Eine Besonderheit ist das ca. 6.000 m2 große Wasserbecken – ein wesentlicher Bestandteil des von der TU Berlin begleiteten Schwammstadt-Konzepts, das dem Quartier 2020 den Award Deutscher Wohnungsbau einbrachte. Das Wasserbecken – mit drei ineinander übergehenden Bereichen von 30, 80 und 120 cm Wassertiefe – nimmt das Regenwasser der Gebäude ringsum auf und reinigt es: durch Setzung und biologisch durch 120 m Grünzug an den Beckenrändern. Dazu kommt eine Substratfilteranlage an der Brücke am Dahme-Überlauf. So erreicht das Wasser nahezu Trinkwasserqualität, bevor es verdunstet.

In Summe nimmt das Becken, das dank eines Café-Restaurants zum längeren Verweilen einlädt, den Großteil der üblichen Niederschlagsmenge des Gesamtquartiers auf. Die übrige Menge wird durch Rigolen und Mulden kontrolliert versickert. Nur bei Starkregen wird Regenwasser in die Regenwasserkanalisation oder in die Dahme geleitet. Eine weitsichtige Planung!

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