Das energieautarke Wohnhaus nebenan

Ohne Öl und Erdgas

Deutsches Ingenieurblatt 05/2022

Im unterfränkischen Marktheidenfeld zeigt ein Einfamilienhaus als Blaupausen-Objekt, wie sich eine grüne Energieautarkie vom „theoretisch Möglichen“ ins „praktisch Machbare“ überführen lässt. Um dies zu erreichen, haben Bauherr, Planer und Projektpartner bereits hoch entwickelte Energietechnologie maximal effizient ausgeschöpft.

Spürbarer denn je wirft die energetische Versorgung in diesen Tagen fundamentale Fragen auf. Diese betreffen neben der Bereitstellung von industrieller Prozesswärme vor allem die thermische Gebäudebewirtschaftung – von gewerblich genutzten Objekten über öffentliche und halböffentliche Einrichtungen bis hin zum privaten Wohnbau.

Vollständige Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern ist in großem Maßstab derzeit noch Zukunftsmusik. Dass sie im Kleinen aber heute schon realisierbar ist und perspektivisch in einen breiten Markt transferiert werden kann, belegt unter anderem das Modellprojekt „Effizienzhaus Plus“, eine Forschungsinitiative des (ehem.) Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB). Seit mehr als zehn Jahren arbeitet die Initiative an der Entwicklung zukunftsfähiger Wohnlösungen, die den sich stetig verändernden Herausforderungen in der Energieversorgung Rechnung tragen.

Hierzu zählen neben den Auswirkungen des Klimawandels und den weiter steigenden Energiebedarfsgrößen (bedingt durch Technologisierung und Digitalisierung) gegenwärtig in besonderem Maß energiepolitische Faktoren. Eine möglichst diversifizierte regenerative, weitgehend autarke und hocheffiziente Erzeugung von Wärme, Kälte und Strom, verbunden mit intelligenten Speicher- und Verteilkonzepten, muss als Antwort auf diese neuen Bedingungen zügig vorangebracht werden.

Privatbau als Reallabor und Forschungsgegenstand
Wie ein solcher nach vorn orientierter Gebäudebetrieb mit hoher energetischer Intelligenz aussehen kann, zeigt das Privatbauprojekt des Energieberaters und Vorsitzenden des Gebäudeenergieberater Ingenieure Handwerker Bundesverbands e.V. (GIH), Jürgen Leppig. Das an das „Effizienzhaus Plus“-Konzept angelehnte Objekt in Marktheidenfeld entstand in Kooperation mit Partnern aus der bau- und anlagentechnischen Industrie und dient zugleich als Forschungsgegenstand mehrerer wissenschaftlicher Institute, darunter die Technische Hochschule Ingolstadt, die sich mit dem Zukunftsthema von Gebäuden als Energiespeicher befasst.

Geplant als altersgerechter Wohnsitz für die zweite Lebenshälfte sollte das Haus zunächst lebenspraktische wie bauästhetische Merkmale erfüllen: ein offener, barrierefreier und komfortorientierter Wohnstil, gefasst in eine moderne kubische Architektur, die sich unprätentiös in das Straßenbild des Wohnorts einfügt. Dass sich in dem neuen Haus von nebenan jedoch nicht nur ein charakteristisches Bau-Design der Gegenwart spiegelt, sondern dieses vielmehr eine Zukunftsvision in sich birgt, wird mit Blick auf seine autarke energietechnologische Infrastruktur deutlich. Zahlreiche Ansätze und Erkenntnisse aus über 30 Jahren deutscher Forschung für klimaneutrale und zukunftsfähige Gebäude hat Jürgen Leppig in sein Projekt eingebracht und dabei ein Reallabor für neue Effizienzlösungen im kleinen und mittleren Gebäudesektor geschaffen.

Mit dem Ziel, das nach heutigem Standard technisch Mögliche auf absolutem Niveau umzusetzen, ging er zunächst den grundlegenden Fragen nach, wie sich Energieeffizienz in einem gewöhnlichen Einfamilienhaus ganzjährig maximal optimieren lässt, welche Anforderungen von der Gebäudehülle bis hin zur energietechnischen Anlagenplanung zu erfüllen sind und wie eine präzise und bedarfsgerechte Steuerung der Raumtemperatur auf möglichst komfortable Weise realisiert werden kann. Sämtliche Antworten auf diese Fragen stecken in dem Gebäude Nummer 5 in der Marktheidenfelder Sonnenstraße und können zukünftig auf Basis kontinuierlicher Datenerhebung belastbar untermauert werden.

Interaktion von Haus, Bewohnern und Umwelt
Interdisziplinäre Effizienz auf allen Ebenen beginnt bereits bei der Wahl der Baustoffe: Das aus perlitverfüllten Poroton-Ziegeln im Massivbau errichtete Gebäude erfüllt durchgängig die Anforderungen des KfW-Effizienzhausstandards 40 Plus. Mit einer Wärmeleitzahl von 0,07 W/(m²K) machen die porosierten Lochziegel eine zusätzliche Dämmung überflüssig. Das Material weist besonders gute Statik-, Schall- und Brandschutzeigenschaften auf und sorgt gleichzeitig für gesundes Wohlfühlklima im Haus.

Das energetische Gebäude-Konzept antizipiert schon heute die Versorgungsbedingungen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten. Ausgehend von der Entwicklung unseres Klimas hat neben der autarken regenerativen Wärmebereitstellung die Gebäudekühlung eine exponierte Funktion.

Erzeugerseitig realisierten die Planer dafür eine Kombination aus Sole-Wärmepumpe, Photovoltaik-Thermischen-Kollektoren (PVT) und einer Green-Code-Klima- und Akustikdecke mit Betonkernaktivierung.

Die installierten PVT-Kollektoren produzieren als Hybridsystem sowohl Strom als auch Wärme und decken im Verbund mit der Sole-Wärmepumpe den Bedarf an Raumwärme und Trinkwarmwasser vollständig ab.

Für den Betrieb der modulierenden 1,5-6-kW-Sole-Wärmepumpe wurden drei Sole-Sonden-Bohrungen von einer Tiefe von bis zu 70 Metern vorgenommen. Die gewählte Geothermie-Lösung realisiert sowohl die Wärmeversorgung des Gebäudes als auch die passive Kühlung in den Sommermonaten – und das besonders effizient auf Grundlage eines progressiven, zweigliedrigen Speicherkonzepts.

Die regenerativ erzeugte bzw. gewonnene Wärme- und Kälteenergie lässt sich in der speziell entwickelten Geschossdecke mittels thermischer Betonkernaktivierung bis zu 14 Tage vorhalten. Sie heizt, kühlt und funktioniert gleichzeitig als Energie-Puffer; zudem hat sie einen positiven Einfluss auf die Raumakustik und erhöht damit die Wohnqualität im Gebäude spürbar.

Damit die erschlossenen Energiepotenziale der grünen Infrastruktur vollumfänglich genutzt werden können, ist eine präzise Steuerung und Regelung der integrierten Anlagen Voraussetzung. Aus diesem Grund fußt das intelligente Haus auf einem hochentwickelten Smart-Building-Konzept: Es verfügt über eine KNX-Steuerung, welche die Anlage mit lokalen Online-Wetterportalen verbindet und Wetterdaten-Updates und Ertragsprognosen fortlaufend an den Eisbärserver überträgt. Die Wärme- und Kälteerzeuger werden dann nach aktueller und prognostizierter Tagestemperatur angesteuert. Abhängig vom Außenklima erfolgt automatisiert das Umschalten vom Wärmepumpenbetrieb auf Solaranlage und umgekehrt. Gleiches gilt für die passive Gebäudekühlung über Geothermie; auch diese wird im Bedarfsfall automatisch aktiviert. Ebenso beginnt die Multifunktionsdecke je nach Wetterlage zu kühlen oder zu heizen, während die KNX-Steuerung im Heiz- oder Kühlbetrieb die integrierte Pufferfunktion regelt.

Mittels digitaler Vollvernetzung ist das Gebäude damit in der Lage, selbsttätig auf variierende Verhältnisse und Bedarfslagen im Rauminnern zu reagieren und sich frühzeitig auf verändernde Umwelteinflüsse außerhalb einzustellen.

Eine Frage der hydraulischen Balance
Als parallel arbeitende Speicher- und Verteillösung ließ der Bauherr im Keller eine sogenannte Zortström-Anlage installieren. Das patentierte System ist eine Kompaktausführung von Großwärmepumpen-Lösungen, die der Entwickler Zortea (Hohenems/Vorarlberg) unter anderem für Industrie und Gewerbe oder auch für das Gesundheitswesen plant und fertigt. Heute ist die Zortström-Technologie Teil von mehr als 5.800 Versorgungsprojekten europaweit. Das Prinzip nimmt eine Schlüsselfunktion bei der Integration von Niedertemperaturen aus regenerativen Quellen oder Abwärme ein: Sie realisiert eine äußerst präzise Volumenstromregelung, Zusammenführung und Verteilung von Wärme- und Kältekapazitäten, die in allen Betriebszuständen hydraulisch optimal ausbalanciert ist. Die Sammel-, Speicher- und Verteiltechnologie gewährleistet einerseits optimale Betriebsbedingungen für die Erzeuger und den Deckenspeicher; gleichzeitig ermöglicht sie es, selbst geringe Niedertemperaturerträge effizient in die Versorgungsstruktur des Hauses einzubinden. Die sekundären Energieaufwände, etwa für Pumpenstrom oder aufgrund von Speicher- und Verteilverlusten, fallen extrem niedrig aus.
Die Funktionsweise dieser Technologie ist so unkompliziert wie wirksam: Wärme- und Kälteenergie wird aus unterschiedlichen, hydraulisch voneinander entkoppelten Volumenströmen in ein zentrales Speichersystem zusammengeführt und in einem gemeinsamen Schichtspeicher mit beliebig vielen, exakt getrennten Temperaturstufen und einer optimalen Schichtungseffizienz vorgehalten. Dabei ist es möglich, nicht nur die Vor- sondern auch die niedertemperierten Rückläufe der verschiedenen Heiz- und Kühlkreise effizient durch Einspeisung in die passende Temperaturstufe zu nutzen. Entsprechend präzise lässt sich die thermische Energie sowohl auf der Erzeuger- als auch auf der Abnehmerseite bewegen.

Technologischer Integrationshelfer für Niedertemperaturen
Nachdem eine ursprüngliche Versorgungsplanung einen extrem hohen technischen Aufwand für den Einbau von Verteilern, Puffern und ihre zugehöriger Peripherie (wie Umschaltventile etc.) erwarten ließ, sollte eine kompatible, funktional effektive und zugleich komfortable Alternativ-Lösung entwickelt werden. Die Ingenieure ersetzten das frühe Konzept durch eine multifunktionale Lösung, die auf zwei Systemen basiert: einem 5-stufigen mit einem Fassungsvermögen von 806 Litern für höhere Temperaturen sowie einem 2-stufigen (46 Liter) zur Einspeisung in die Klimadecke.

Der Puffer für die Frischwasserstation und für die Heizung verfügt über zwei Zonen, die sogenannten Gleitschichträume. Der obere, höher temperierte Gleitschichtraum speichert das Wasser für die Frischwasserstation, der untere versorgt die Flächenheizungen. Überschüssige Wärme wird gleichmäßig im Gleitschichtraum geladen und bei Bedarf wieder entladen. Je nach Ertrag der Solaranlage heizt die Wärmepumpe bedarfsgerecht nach, wobei sie im Niedertemperaturbereich für die Flächenheizungen und den kalten Rücklauf aus der Frischwasserstation einen besonders hohen COP (coefficient of performance) – also ein insgesamt günstiges Verhältnis von Kälte- zu Antriebsleistung – erzielt. In beiden Temperaturbereichen weist die Anlage eine optimale Schichtungseffizienz auf. Dank dieses so optimierten COP lassen sich die Stromkosten für den Wärmepumpenbetrieb drastisch reduzieren.

Die Wärmenergie der Solaranlage kann durch Einbindung in die Speichertechnologie ebenfalls effizient genutzt werden, da sie bereits bei schwacher Einstrahlung den Niedertemperaturbereich vorwärmt und auf diese Weise den Wärmepumpenbetrieb entlastet. Bei intensiver Sonneneinstrahlung wird auf das höhere Temperaturniveau umgeschaltet.
Bei der Verteilung von Wärme und Kälte über den 2-stufigen Zortström reagieren die Mischventile zum einen auf den Sollwert der Heizkurve, zum anderen auf die Kühlsollwerte im Kühllastfall. Bezogen wird die Kälte geothermisch über einen einfachen Wärmetauscher, der sonst für den Wärmepumpenbetrieb genutzt wird. Die Kältenutzung aus der Geothermie ist damit unbegrenzt und – bis auf den sehr geringen Pumpenstrom – kostenfrei. Die Regelventile der kleinen Anlage kontrollieren den Durchfluss temperaturgesteuert, d. h. sie lassen nur so viel Wärme oder Kälte durch, wie benötigt wird, um die gewünschte Temperatur in der oberen Schicht des Pufferspeichers zu erreichen. Auf diese Weise kann der Verbraucher zu jeder Zeit exakt mit der gewünschten Temperatur bei gleichzeitig hoher Laufruhe der Anlage versorgt werden.

Fazit
Regenerative Energielösungen müssen sich als Bausteine einer nachhaltigen, umweltorientierten und weitgehend fossil-unabhängigen Versorgung mit höchstmöglichem Tempo durchsetzen. Die grundsätzlich sehr hohen Leistungskapazitäten von regenerativen Energiequellen und weitentwickelten Erzeugungstechnologien lassen sich durch optimale Sammel-, Verteil- und Speicherlösungen sowie eine ausbalancierte Netzhydraulik in der Betriebspraxis erschließen. Wird ein so optimiertes Energiemanagement in der gegenwärtigen Bauplanung berücksichtigt, können sich intelligente Gebäudekonzepte wie das des Marktheidenfelder Hocheffizienzhauses zukünftig auch in der Breite etablieren und die lokale Energiewende signifikant beschleunigen.

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