Die Flut aus dem Kanal

Was hilft gegen Rückstau?

Deutsches Ingenieurblatt 03/2019
Forschung und Technik

Der Klimawandel legt zu. Immer öfter bringt er Regen im Übermaß. Deshalb wächst die Gefahr des Rückstaus aus überlasteter Kanalisation. Ein Top-Thema für Eigentümer privater wie gewerblicher Immobilien. Und weil Rückstauschäden existenzbedrohende Ausmaße annehmen  können, ist wirksamer Schutz nötiger denn je. Wie er gelingt, zeigt nun eine Ratgeber-Broschüre.

München ist die am meisten versiegelte Stadt in Deutschland. So das Ergebnis einer Studie, die der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV,  www.gdv.de) im vergangenen Oktober veröffentlicht hat. Die Untersuchung nimmt die 50 einwohnerstärksten Kommunen Deutschlands unter die Lupe und weist nach: „In der bayerischen Landeshauptstadt sind rund 47 Prozent des Stadtgebiets bebaut, betoniert oder asphaltiert.“ Das ist Platz 1 im Versiegelungsranking, und das ist brisant,  denn: „Angesichts der steigenden Starkregengefahr spielt die Bebauungsdichte eine immer wichtigere Rolle“, so der GDV. Das Umweltbundesamt beziffert die derzeitige Versiegelungsrate für ganz Deutschland auf über 60 Hektar pro Tag. Da liegen auch Oberhausen und Hannover gut im Trend. Sie belegen mit 44 und 43 Versiegelungsprozenten nach der Bayernmetropole die Plätze 2 und 3 der GDVListe. An 50. Stelle präsentiert sich übrigens Potsdam mit  knapp 13 Prozent als besonders offenporig.

Unterschätzte Gefahr
In Siedlungsräumen mit hoher Versiegelung bleiben dem  Starkregen nur zwei Wege. Anfänglich fließt er in die Kanalisation, füllt diese aber sehr schnell bis zur Kapazitätsgrenze und flutet dann zwangsläufig die Oberflächen.  Für Grundstücke und Gebäude ergibt sich daraus ein doppeltes Risiko mit hohem Gefahrenpotenzial: Überflutung einerseits, Rückstau aus überlasteter Kanalisation andererseits. Doch trotz der vielen Starkregenkatastrophen, die in jüngster Vergangenheit schon verheerende Schäden angerichtet haben – die „Auswirkungen extremer Niederschläge werden in der Öffentlichkeit noch immer unterschätzt“, mahnt Dr. Tim Peters. Er ist Meteorologe und arbeitet beim Versicherungsunternehmen Westfälische Provinzial. Nach seiner Erfahrung „kann Starkregen für jeden Hausbesitzer bei nicht ausreichender Vorsorge existenzbedrohende Auswirkungen  haben.“

Der Versicherungsexperte zählt zum Autorenteam, das den Anfang 2019 erschienenen „Ratgeber Rückstauschutz“ verfasst hat. Die von der Mall GmbH herausgegebene  Broschüre rollt das gesamte fachliche Spektrum des Themenfelds auf. Nach Einordnung des Rückstauphänomens in den geoklimatischen und geopolitischen Kontext des Klimawandels führen Experten in die fachlichen Details. Sie erklären, aufgrund welcher ursächlichen Zusammenhänge sich Rückstaulagen aufbauen, beschreiben die Möglichkeiten für technischen und baulichen Rückstauschutz, diskutieren das Spektrum versicherungsseitiger Aspekte und bringen Übersicht ins Geflecht anzuwendender Normen. Die Broschüre rät zu besonderer Vorsicht bei Hanglagen und macht mit drei typischen Anwendungsbeispielen Rückstauschutz konkret.

Rückstau verstehen
Wie der Ratgeber erläutert, baut sich ein Rückstauereignis  auf, wenn die Kanalisation überlastet ist. Dann staut sich das Wasser im Rohrsystem und drückt durch Anschlussleitungen zurück in Gebäudeteile und Grundstücksareale. Sind gefährdete Räume oder Flächen nicht gegen Rückstau geschützt, werden sie aus der Kanalisation geflutet. Meist sind es Kellerräume, die betroffen sind, meist sind immense Schäden an Bausubstanz, technischen Anlagen und Inventar die Folgen und meist sind Starkregenereignisse das ursächliche Moment. Daneben können aber auch unplanmäßige Einleitungen von Abwasser sowie Ablagerungen oder Verstopfungen im Rohrsystem ein Rückstauereignis ebenso bewirken wie der Ausfall eines Pumpwerks, das im Kanalnetz der Weiterförderung des Abwassers dient.

Dass Rückstaulagen in Folge extremer Niederschläge entstehen, ist unvermeidbar. Schon allein aus Kostengründen können Ab- und Regenwasserkanäle nicht beliebig groß dimensioniert werden. Das impliziert zwangsläufig die Inkaufnahme des Rückstaufalls, wenn entsprechend große Regenvolumina das Fassungsvermögen der Kanalisation übersteigen. Ist der Kanal dann vollständig geflutet, quillt das Wasser aus Gullys und Schächten auf die Straße und fließt oberirdisch ab. Deshalb ist die Straßenoberkante im Regelfall jenes Niveau, bis zu dem ein Rückstau maximal anwachsen kann. Dieses höchstmögliche Rückstaulevel wird als Rückstauebene bezeichnet. Sie markiert, welche Bereiche der an den Kanal angeschlossenen Gebäude  und Flächen rückstaugefährdet sind: alle, die darunter liegen.

Das Risiko managen
Die Herausforderung eines Starkregenmanagements zur Minimierung von Schadensverläufen nimmt zunächst  Bund, Länder und Kommunen in die Pflicht. Zielführende Maßnahmenbündel reichen von großräumiger Landschaftsplanung bis zu kleinteiliger Neugestaltung in Siedlungsbereichen. Unter der Ausrichtung, massive Niederschläge lenken zu können, steht der wassersensible Umbau von Städten und Gemeinden auf der Agenda. Dem Leitgedanken der Schwammstadt folgend gilt es, Siedlungsräume dahingehend anzupassen, dass sie große Regenmengen aufnehmen können – durch Speichern, Nutzen, Versickern, Rückhalt mit verzögerter Abgabe. Auch Straßenzüge und Freiflächen als Notabflusstrassen auszuweisen und entsprechend zu gestalten, ist Teil dieses Konzepts. So können Wassermassen, die der Kanal nicht mehr aufnehmen kann, dennoch schadlos abfließen.

Doch trotz aller makrostrukturellen Anpassungen – dazu gehört auch die Sorge um eine leistungsfähige Kanalisation seitens ihres Betreibers – bleibt es unweigerlich im erantwortungsbereich jedes Einzelnen, Haus- und Grundbesitz vor Starkregenschäden zu bewahren. Schutz gegen Überflutung ist dabei die eine Seite, Rückstauschutz die andere. Um rückstaugefährdete Gebäudeteile und Grundstücksareale abzusichern, empfehlen die Autoren der maßgeblichen Normen DIN EN 12056-4 und DIN 1986-100 den Einbau einer Hebeanlage mit nachgeordneter Rückstauschleife.

Zwar können unter der Voraussetzung der untergeordneten Nutzung – wenn in gefährdeten Räumen keine wesentlichen Sachwerte vorhanden sind und für die Gesundheit der Bewohner im Rückstaufall keine Gefahr besteht – auch Rückstauverschlüsse nach DIN EN 13564  verbaut werden. Solche Verschlussklappen gelten aber alsstöranfällig, wobei der eklatante Nachteil darin besteht,  dass eine Fehlfunktion erst bei Eintreten des Rückstaufalls offenkundig wird. Dann aber ist es zu spät; der Wassereinbruch aus dem Kanal nimmt seinen Lauf. Die Schutzfunktion des Systemensembles Hebeanlage plus Rückstauschleife ist dagegen immer gewährleistet. Selbst wenn der Kanal bis zum höchstmöglichen Niveau der Rückstauebene geflutet ist, endet das gebäudewärts drängende Abwasser an der Rückstauschleife. Weil sie die Entwässerungsleitung  des Grundstücks über die Rückstauebene hinweg zum Kanal führt, stoppt sie unweigerlich jeden Rückstaufluss aus der Gegenrichtung.

Neben der Gefahrenabwehr mittels technischer und baulicher Maßnahmen ist Versicherungsschutz ein unverzichtbarer Vorsorgebaustein. Die Erfahrungen der Versicherungsbranche zeigen, dass Schäden durch Starkregen ohne weiteres existenzbedrohende Größenordnungen erreichen. So liege der Schadendurchschnitt nach Starkregenereignissen mit mehr als 6.500 Euro deutlich höher als jener nach Winterstürmen mit etwa 800 Euro, berichtet Dr. Tim Peters. Und das seien lediglich Durchschnittswerte; im Einzelfall sei ein Gebäude-Totalschaden keineswegs die Ausnahme. Fatalerweise unterliegt jedoch die überwiegende Mehrheit der Hausbesitzer der irrigen Annahme, Schäden durch Starkregen seien mit der herkömmlichen Wohngebäudeversicherung abgedeckt. Zur Absicherung gegen  aturgefahren wird jedoch als zusätzlicher Baustein eine Elementarschadenversicherung benötigt. Sie allein schützt vor den finanziellen Folgen jener Schäden, die Elementarereignisse, wie unter anderem Starkregen, verursachen.

Heikel am Hang 
Zurück zu baulichen und technischen Aspekten mit einem Blick auf ausgeprägte Hanglagen. Sie sind in rückstautechnischer Hinsicht diffizil, weil die Rückstauebene als maßgebliches Fixum, an dem sich jeglicher Rückstauschutz orientiert, im Gefälle Ausnahmefälle schafft. Nur die genaue Analyse der jeweiligen Gegebenheiten bewahrt vor Fehlentscheidungen. Die maßgebliche Frage ist, ob das Gelände längs der Straße abfällt oder quer zu ihr. Bei Quergefälle sind die zur Straße talwärts gelegenen Anwesen in ungleich höherem Maß rückstaugefährdet als jene, die hangaufwärts liegen. Unter Annahme einer Rückstauebene auf Straßenniveau sowie einer entsprechend starken Geländeneigung kann die Rückstaugefährdung in abwärts gelegenen Gebäuden bis ins Erdgeschoss reichen. Abhängig von Topografie und Bauweise liegt hingegen oberhalb der Straße vielleicht gar keine oder nur eine geringe Gefährdung vor.

In der anderen Variante mit Gefälle längs der Straße  verschiebt sich die Rückstauebene aus Sicht eines jeweiligen Grundstücks nach oben bis zum Niveau des nächst höher gelegenen Kanalschachts oder Straßengullys. Denn bis dorthin würde sich Abwasser im Kanal auf- und in das angeschlossene ebäude zurückstauen, wenn hangabwärts  beispielsweise eine Verstopfung vorläge. Wird also für ein Gebäude in Hanglage der Einbau einer Rückstausicherung erwogen, so ist es empfehlenswert, zuvor bei der Kommune die Information einzuholen, wo genau für das betreffende Objekt die Rückstauebene anzusetzen ist.

Abscheider mit Sonderregeln
Rückstauschutz bei Abscheidern für Fette und Leichtflüssigkeiten unterliegt strengeren Regeln. Unter bestimmten Umständen fordern die betreffenden Normen DIN 4040- 100 und DIN 1999-100 in beiden Fällen eine Rückstausicherung per Abwasserhebeanlage mit Rückstauschleife. Für Fettabscheider trifft das ausnahmslos zu, sobald der Ruhewasserspiegel des Abscheiders unterhalb der Rückstauebene liegt. In diesem Fall ist zwingend eine Entwässerung per Doppelhebeanlage mit Rückstauschleife vorzusehen. Jede andere Art der Rückstausicherung ist dann unzulässig, denn es gilt sicherzustellen, dass Fette nach einem Rückstauereignis nicht in die Kanalisation geschwemmt werden.

Bei Leichtflüssigkeitsabscheidern kommt es darauf an, den Austritt von Benzin, Diesel und Öl am Schachtaufbau zu unterbinden. Lässt sich aufgrund örtlicher Gegebenheiten die hierzu erforderliche Überhöhung des Schachts gegenüber dem Niveau der Rückstauebene nicht realisieren, muss eine Rückstausicherung vorgesehen werden. Dabei genügt ein Rückstauverschluss vom Typ 2 oder Typ 3 gemäß DIN EN 13564, wenn er die Unterbrechung des Rückstauzuflusses zum Abscheider sicher gewährleistet.  Andernfalls verlangt die DIN 1999-100 auch hier eine Hebeanlage mit Rückstauschleife, damit die betriebssichere Entwässerung gegeben ist.

Ähnliche Beiträge