Ein Jahr danach

Schneekatastrophe in Bayern

Deutsches Ingenieurblatt 09/2020
Gesamtausgabe
Meinung

Das Jahr 2019 begann in einigen Landkreisen in Oberbayern mit einer außergewöhnlichen meteorologischen Entwicklung. In der zweiten Januarwoche wurden starke Schneefälle angekündigt, die nicht nur vom Himmel fielen, sondern auch die politisch Verantwortlichen auf den Plan riefen und in der Folge zum Medienevent mutierten.
Dieser Beitrag legt aus Sicht eines Bauingenieurs dar, was Anfang 2019 geschah, wie vor Ort im Landkreis Garmisch-Partenkirchen damit umgegangen wurde und welche Erkenntnisse und Lehren daraus gezogen werden sollten. Er behandelt im Wesentlichen die Standsicherheit von einzelnen Gebäuden und nicht die Probleme aus den Bereichen der Infrastruktur. Obwohl in den Landkreisen der Alpenregion, die besonders von den Schneefällen betroffen waren, hölzerne Dachkonstruktionen die Regel sind, treffen die folgenden Betrachtungen aber auch auf Stahlbeton-, Stahl- und Mischkonstruktionen zu.
Auch die Darstellung der Ereignisse in den Medien und die öffentliche Wahrnehmung wird dargelegt.

Meteorologie: Der Winter 2018/2019 war im Alpenraum und im angrenzenden bayerischen Voralpenland sehr schneereich. Anfang Januar 2019 führten über einen Zeitraum von etwa zehn Tagen anhaltende, starke Schneefälle zu einem schnellen Anwachsen der Schneedecke. Ursache war eine Nordstaulage mit tiefem Luftdruck über Skandinavien und dem Baltikum in Verbindung mit einem Hochdruckgebiet über dem Atlantik. In der Folge gelangten feuchtkalte Luftmassen in einer Nordwestströmung nach Deutschland und stauten sich am Nordrand der Alpen.
Die Niederschlagstätigkeit konzentrierte sich auf die Tage vom 09.01. bis 12.01.2019. In diesem Zeitraum fielen regional bis zu 50 cm Neuschnee auf die vorhandene Schneedecke, die bereits in Einzelfällen bis zu 100 cm betrug. Durch einen angekündigten Übergang mit Tauwetter und Regen in den Tagen um den 12. und 13. Januar bis zu einer Ortshöhe von 1.000 m NN war zu befürchten, dass die Schneelasten auf den Dächern durch das hinzukommende Wasser erheblich vergrößert würden. Der Anstieg der Temperaturen führte zwischenzeitlich dazu, dass die Schneedecke zu tauen begann. In der Folge schwollen die Flüsse in Bayern an und es kam zu regionalen Überschwemmungen. Aufgrund der hohen Temperaturen und des damit verbundenen Tauwetters kam es im betrachteten Zeitraum zu keiner wesentlichen Erhöhung der Schneebelastung auf den Dächern. Der Zustrom kühler und trockener Luftmassen aus Nordosten führte dann um den 14. und 15. Januar zu einer Wetterberuhigung.
Die Auswertung der Daten ergab, dass die Schneefälle im Osten der Bayerischen Alpen stärker waren und sukzessiv nach Westen abnahmen. Ausgenommen waren einzelne Gebiete wie der Ort Krün im Landkreis Garmisch-Partenkirchen mit relativ hoher Schneebelastung.

Die Höhe der Schneelasten ist nach Norm für eine Wiederkehrperiode seit 2005 von 50 Jahren ausgelegt. Bezogen auf das Voralpenland und die Alpen wurden Anfang 2019 Schneelasten erreicht, die einer Wiederkehrperiode zwischen 2 und 15 Jahren entsprachen. Ausnahmen waren bestimmte Regionen wie Ramsau, Reit im Winkel oder Ruhpolding-Seehaus, die im statistischen Mittel Schneelasten mit einer Wiederkehrperiode von ca. 30 Jahren erreichten. Extreme gab es in Österreich mit bis zu 3 m Neuschnee in zehn Tagen. Dies führte dort auch zu großen Lawinenabgängen mit einzelnen Todesfällen. Die Auswirkungen in Österreich sind aber nicht Gegenstand dieser Veröffentlichung.
In früheren Jahren gab es lokal deutlich höhere Schneebeanspruchungen, als im angeblichen „Katastrophenwinter“ 2019 (siehe Abb.1 und 2).

Auswirkungen für die Landkreise der Alpenregion

Aufgrund der starken Schneefälle Anfang 2019 kam es unter anderem zu Problemen bei der öffentlichen Infrastruktur. In Folge des trockenen Herbstes erfolgten starke Windbrüche mit umgestürzten Bäumen an den Strecken der Deutschen Bahn und in den Wäldern. Früh wurden Straßen gesperrt, der Zugverkehr eingestellt und Lawinenwarnungen ausgesprochen.
Doch wie hoch waren die Schneelasten tatsächlich? Und wie groß war die Gefährdung? Im Nachfolgenden werden Daten weitergegeben, die der Deutsche Wetterdienst in Potsdam unter der Leitung von Dr. Bodo Wichura dankenswerterweise für diese Veröffentlichung bereitstellte.
Die Tabelle 1 zeigt die tatsächlichen Schneehöhen und die gemessenen Wasseräquivalente an den Wetterstationen der Orte Berchtesgaden, Krün und Mittenwald im Vergleich zu den Schneelasten, die nach der jeweils gültigen Norm abhängig vom Baujahr der Gebäude anzusetzen waren. Die Lasten beziehen sich auf die Schneebelastung am Boden.
Es zeigt sich, dass für ältere Gebäude die im Jahr 2019 erreichten Schneelasten an die zum Zeitpunkt der Herstellung anzusetzenden Werte herankamen. Für neue Gebäude, die ab dem Jahr 2007 errichtet wurden, erreichte die Schneebelastung im Zeitraum vom 09. bis zum 12. Januar, in dem die höchsten Schneehöhen gemessen wurden und in dem die „Schneekatastrophe“ ausgerufen wurde, in Berchtesgaden ca. 65 % und in Krün und Mittenwald gerade ca. 40 % der derzeit anzusetzenden Lasten.
Bezogen auf die Norm von 1976-2007 wurden die Schneelasten nur in Berchtesgaden bis zu ca. 15 bis 20 % überschritten.
Im Landkreis Garmisch-Partenkirchen war es der Ort Krün, der die meisten Schneemassen abbekommen hat. Am 12.01.2019 ergab sich historisch gesehen mit einer Schneehöhe von 152 cm die größte Schneehöhe, die jemals dort gemessen wurde. Die zweitgrößte Schneehöhe wurde 1981 mit 106 cm gemessen.
Aufgrund der gemessenen Schneehöhe war Krün der Auslösepunkt für die Ausrufung des Katastrophenfalls im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Da die Schneehöhen ca. 50 % höher waren als alle bisher gemessenen Werte, war klar, dass die politisch verantwortlichen Personen reagieren mussten. Die Ankündigung von Regenfällen über das Wochenende vom 12. und 13. Januar führten dazu, dass der Bürgermeister aus Krün, Thomas Schwarzenberger, am 11.01.2019 beim einzigen Vollsortimenter in Krün das Dach von den Schneelasten befreien lies. Mit dieser Maßnahme war die Versorgung von Krün und Wallgau gewährleistet.
Die größte Schneehöhe bedeutet jedoch nicht automatisch auch die größte Schneelast. Die größte in Krün jemals ermittelte Schneelast wurde am 07.02.1981 mit 255 kg/m² bei einer Schneehöhe von gerade einmal 85 cm gemessen. In Krün wurde am 12. Januar 2019 bei einer Schneehöhe von 1,52 m lediglich eine Last von 182 kg/m² ermittelt. Dies entspricht einer Dichte von 120 kg/m³.
Nachdem sich um den 16.01.2019 der Himmel aufhellte und die Schneefälle nachließen, dachten die wenigsten Hausbesitzer darüber nach, dass die Schneelasten noch weiter ansteigen würden. Die Schneefälle waren jedoch noch nicht zu Ende. Die Beobachtung des weiteren Verlaufs der Situation zeigte Erstaunliches: In den Orten Mittenwald, Krün und Wallgau im Landkreis Garmisch-Partenkichen wurden die höchsten Schneelasten etwa einen Monat später mit nochmaligen Erhöhungen von bis zu 70 % gemessen. Die Tabelle 2 und die Abbildung 3 belegen das deutlich.

Wenn der Katastrophenfall eintritt

Der angekündigte Wärmeeinbruch für das Wochenende zum 12. und 13. Januar veranlasste fünf Landräte dazu, in Schritten ab dem 09.01.2019 für die Landkreise Berchtesgaden, Traunstein, Miesbach, Bad Tölz/Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen den Katastrophenfall auszurufen. In den folgenden elf Tagen war in den betroffenen Landkreisen der Ausnahmezustand gegeben. Es bestanden nicht zu Unrecht Bedenken, dass sich aufgrund der angekündigt starken Niederschläge in Form von Regen bis zu einer Höhe von 1.000 m NN in Verbindung mit den zwischenzeitlich großen Schneehöhen die Schneelasten stark erhöhen würden.
Mit der Ausrufung des Katastrophenfalls hatten die politisch Verantwortlichen weitreichende Möglichkeiten. So erhielten die Landkreise zum einen finanzielle Unterstützung durch die Regierung. Zum anderen konnten Hilfsorganisationen wie Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Bundeswehr, Rotes Kreuz, Malteser, Bergwacht u. a. verpflichtet werden, die Schneelasten zu entfernen.
Die Koordination erfolgte über Krisenstäbe in den Landratsämtern. Von diesen Krisenstäben wurden die Hilfen angefordert und an die Organisationen, die vor Ort waren, weitergegeben. Einsatzzentrum für den Raum Mittenwald war die Steuerungszentrale der Feuerwehr.
Wer im Zeitraum vom 10.01.2019 bis zum 17.01.2019 im Einsatz war (so auch der Verfasser, Anm. d. Red.), spürte seine psychischen und physischen Belastungen deutlich. In Bezug auf die Verantwortlichkeit sei folgender Hinweis gestattet: Scheinbar war vielen politisch Verantwortlichen nicht bewusst, dass bei der Begutachtung von Gebäuden der Bauingenieur (Statiker) die Verantwortung trägt und die Entscheidung trifft, ob die Dachkonstruktionen vom Schnee zu befreien sind oder der Zustand zu belassen ist.
Sollte es zu einem Schadensfall kommen, stellt sich hier im Versicherungsfall aufgrund deren Selbstbeteiligung die Frage, ob das noch im Verhältnis steht – insbesondere, wenn die Arbeiten ehrenamtlich erbracht werden.
An dieser Stelle soll allen Ehrenamtlichen gedankt werden, die sich unter großem vorbildlichem Einsatz über viele körperliche Grenzen hinweg für das Allgemeinwohl eingesetzt haben und auch viel Privateigentum von den Gefahren befreiten.

Auswirkungen auf die Gebäude
(Dachkonstruktionen)

Allgemeines: Oberbayern ist in seiner Besiedelung historisch stark geprägt durch landwirtschaftliche Bauten. Im Gebirgsbereich waren es oft kleinstrukturierte Gebäude. Ältere Gebäude wurden aus Naturstein mit Satteldächern errichtet. Regelmäßig wurden aber auch die Gebäude in Häuserzeilen in geschlossenen Bebauungen angeordnet. Im Voralpenland waren oft stattliche Bauern gehöfte zu finden, die im Tennenbereich über der Stallung sprengwerkartige, freitragende Dachkonstruktionen aufwiesen. Hier wurde schon früh die Ziegelbauweise eingeführt.
Aufgrund der beginnenden Reisetätigkeit entstanden in den Jahren von 1900 bis 1930 viele private und öffentliche Gebäude wie Bahnhöfe, Postämter und Forstgebäude, deren Architektur und Bauweise nicht dem üblichen Ortsbild entsprachen (z. B. Schweizer Haus, Swiss Chalet).
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs 1945, bei dem es an Baumaterialien fehlte, musste sehr einfach gebaut werden. Im Alpenraum entstanden kleine Siedlungen, die z. B. für Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten zur neuen Heimat wurden.
Bei der Bewertung der Gebäude wurde angenommen, dass die einzelnen Gebäude zum Zeitpunkt ihrer Errichtung dem gültigen Baurecht entsprochen haben und die anzusetzenden Schneelasten nach den damals gültigen Normen als Bemessungsgröße für die Dachkonstruktionen angesetzt wurden. Anfangs auf Grundlage der entsprechenden DIN-Normen, heute der europäischen Normen.
Besonders bei älteren Gebäuden stellt sich die Frage, ob für das zu bewertende Gebäude statische Nachweise erfolgten oder ob die Konstruktion zimmermannsmäßig oder neuzeitlich auf Grundlage entsprechender Zulassungen und Zertifizierungen erstellt wurde.
Die Sicherheiten der ursprünglichen Gebäudestrukturen wurden teilweise durch nicht sachgerechte Umbauten, Witterungseinflüsse sowie teilweise durch Materialermüdung und -abnutzung und durch weitere altersspezifische Vorgänge abgebaut.
Bei der Begutachtung der Gebäude musste des Öfteren hinterfragt werden, in welchem Ausmaß offensichtliche Überschreitungen der rechnerischen Ausnutzung toleriert werden können.

Gebäudebestand vor 1976

In Deutschland waren bis 1976 Regellasten von 0,75 kN/m² anzusetzen. Diese Lasten waren nicht maßgebend für die Gebirgsregionen, dort galten im allgemeinen Lasten von 1,0 bis 2,0 kN/m² zur Gebäudebemessung. Grundsätzlich waren Gebäude nach dem Baurecht zu erstellen, auch wenn statische Nachweise nicht in jedem Fall der Behörde vorgelegt werden mussten.
Das führte dazu, dass in der Bewertung der Gebäude in Bezug auf die Schneebelastung diejenigen, die vor 1976 errichtet worden sind, besonders zu beurteilen waren. Dazu gehörten die bis zu 500 Jahre alten historischen Gebäude genauso wie die Gebäude, die nach 1900 entstanden sind. Bei der Begutachtung stellte sich heraus, dass diejenigen Gebäude, deren Dachstuhl ohne Firstpfetten gebaut wurde, besonders gefährdet waren, da hier im Bereich der Fußpfetten oder an anderen Stellen Horizontalkräfte abgetragen werden müssen. Ebenso gefährdet waren Gebäude, bei denen die ursprünglich vorhandenen Streben bei diversen Umbaumaßnahmen entfernt wurden. In diesen Fällen war die Standsicherheit teilweise nicht mehr gegeben und es wurde ein Abräumen der Dachkonstruktion veranlasst bzw. empfohlen. Historische Gebäude mit einem Alter von 300 bis 400 Jahre wiesen oft Feuchteschäden auf, ihre Pfetten hatten sich stark verformt (siehe Abb. 4). Grundsätzlich wurden früher die Dächer nach größeren Schneefällen vom Schnee befreit und deshalb auch sparsamer ausgebildet.
Als Beispiel für Gebäude, die nicht in üblicher Stilart erstellt wurden, soll ein Gebäudetyp beschrieben werden, der häufig um das Jahr 1900 erbaut wurde. Es handelt sich hierbei um das sogenannte Schweizer Chalet. Es entstanden kleinere bis mittlere Gebäude, deren Architektur und Bauweise nicht dem Ortsbild entsprachen. Die Gebäude wurden häufig als Zweitwohnsitz gebaut. Bei der Ausbildung der oberen Geschosse wurde dabei nicht immer auf die meteorologischen Gegebenheiten Rücksicht genommen. Die Abbildungen 5 und 6 zeigen beispielhaft die Bauweise. Anhand der Bilder sind die für die Beurteilung der Dachkonstruktion wesentlichen Punkte ersichtlich. Durch die großen Überstände zwischen dem Dachgeschoss, das in Holzbauweise errichtet wurde, und dem Mauerwerk ergeben sich statisch kritische Punkte, wie auch durch die Abstützung auf den Holzbalkonen. Von diesen Gebäuden gibt es dann noch viele abgewandelte Konstruktionen, bei denen die Standsicherheit durch das Weglassen wesentlicher Konstruktionsmerkmale eingeschränkt ist.
Ein Gebäude in Mittenwald, das um 1965 errichtet wurde, verdeutlicht die Situation. In diesem Zeitraum war für die Schneelast die DIN 1055 Blatt 5: 1956 anzusetzen. Demnach war im Regelfall eine Schneelast von 0,75 kN/m² gefordert. Die Norm enthielt jedoch auch den Hinweis, dass die Schneelasten den örtlichen Verhältnissen entsprechend höher anzunehmen seien. Aus älteren Unterlagen für Mittenwald geht hervor, dass diese höheren Annahmen zwischen 1,5 kN/ m² und 2,0 kN/m² lagen. In Abbildung 7 ist zu erkennen, dass die vorhandene filigrane Vordachkonstruktion nicht in der Lage war, diese Lasten abzutragen.
Nach einer Überprüfung wurde die Dachkonstruktion provisorisch abgestützt, das Vordach statisch überprüft und ein Sanierungsvorschlag erarbeitet. Die Situation nach der Instandsetzung ist in Abbildung 8 zu erkennen.
Ein weiteres Beispiel ist eine Dachgeschosswohnung in Mittenwald, bei der die Eigentümergemeinschaft während der starken Schneefälle im Januar 2019 um die Überprüfung der Dachkonstruktion gebeten hatte. Die Eigentümer wiesen darauf hin, dass Veränderungen an der Dachkonstruktion vorgenommen worden waren. Beim Ortstermin Mitte 2019 wurden die Dachkonstruktion begutachtet und die Holzquerschnitte dokumentiert. Dabei fiel auf, dass bei einer Beifirstpfette im Wohnraum Kopfbänder vorhandenen waren, die auf der gegenüberliegenden Seite in der Küche fehlten. In Abbildung 9 ist zu erkennen, dass das Kopfband entnommen und der Bereich der Zapfung mit einem Holzkeil geschlossen wurde.
In Mittenwald wurde aufgrund der Einsprüche (und dem Mitwirken des Verfassers, Anm. d. Red.) gegen die Schneelastnorm 2005 die Schneelastzone ab dem 20. Juli 2018 von Zone 3 auf Zone 2a reduziert. Die Änderung wurde durch ein Forschungsvorhaben des Deutschen Wetterdienstes bestätigt. Die statischen Nachweise der Dachkonstruktion wurden mit den Schneelasten für die Schneelastzone 2a geführt und zeigten dennoch eine deutliche Überlastung der Pfetten.
Die Eigentümer des Wohnhauses haben den Mangel durch den Einbau von neuen Kopfbändern beheben lassen (siehe Abb. 10). Im Zusammenhang mit einem Schneelastgutachten des Verfassers, bei dem aufgrund differenzierter Betrachtungen die Schneelasten um weitere 10 bis 15 % im Vergleich zu den Werten der Zone 2a für Mittenwald reduziert werden konnten, wurde die Standsicherheit der Dachkonstruktion wieder nachgewiesen.
Beim Pfarrkindergarten „Pater Ägidius Jais“ in Mittenwald wurde am Samstag, den 12.01.2019, eine erste Begutachtung der Schneesituation durchgeführt. Am Sonntag, den 13.01.2019, erfolgte um 16:45 eine weitere Schneelastmessung auf dem Dach, die eine Belastung von 1,75 kN/m² ergab.
Nachdem das Gebäude um 1960 errichtet wurde, war davon auszugehen, dass die Bemessungsgröße für das Dach eine Last von 1,5 bis 2,0 kN/m² aufwies. Es wurde entschieden, dass die Kindergartenkinder am Montag frei bekämen. Anschließend wurde das Dach von der Bundeswehr freigeräumt (siehe Abb. 11).

Gebäudebestand nach 1976

Im Jahr 1976 wurde die Schneelastnorm DIN 1055, Teil 5, Juni 1975, in Bayern eingeführt. Diese Schneelastnorm wurde auf Basis eines Forschungsprojekts der Meteorologen J.W. Caspar und M. Krebs aufgebaut und wartete mit zwei wesentlichen Neuerungen auf: Die Schneelasten konnten nunmehr auf Basis der Ortshöhen ermittelt werden und die Bundesrepublik wurde in Schneelastzonen aufgeteilt, um meteorologische Unterschiede berücksichtigen zu können. Basis der Norm war die statistische Auswertung von Schneehöhen über eine Wiederkehrdauer von 30 Jahren, teilweise wurden auch Wasseräquivalente in die Auswertungen einbezogen. Diese Norm lieferte für den Alpenraum realistische Daten, die besonders auch durch die Ergänzungen und Fortschreibung 1994 Schneelastwerte ergab, die zu standsicheren Gebäuden führten – wenn die Vorgaben der Norm eingehalten wurden.
Bei der Begutachtung der Gebäude wurde zunächst davon ausgegangen, dass die Gebäude, die nach 1976 entstanden waren, im Wesentlichen nicht überprüft werden müssten. Veranlasst durch die Anfragen besorgter Eigentümer wurde auch für einige Gebäude, die nach 1976 errichtet wurden, von der Leitzentrale am Landratsamt die Überprüfung angefordert. Es war erstaunlich, aber auch besorgniserregend, was vor Ort zu sehen war. Bei Umbauten wurden Stützen entfernt und Kopfbänder und Streben herausgenommen. Die Zapfenlöcher waren teilweise noch sichtbar (siehe Abb. 12). Aber auch mangelhafte Leistungen durch Planer und Handwerker fielen ins Auge. So waren zum Beispiel des Öfteren zu geringe Auflagertiefen der Pfetten zu erkennen (siehe Abb. 13).
Ein Beispiel für eine mangelhafte Ausführung war der Carport eines Zimmerers, der anscheinend unterschätzt hatte, dass am Kopf der tragenden Stütze Horizontaltkräfte in erheblicher Höhe auftreten. Es musste schon bei nur 30 % der Schneelast, die nach der Norm aus dem Baujahr 2010 anzusetzen war, ein Zugband als Hilfskonstruktion eingebaut werden, da Bedenken gegen das Ausweichen der Stütze bestanden (siehe Abb. 14). Zusätzlich wurde das Dach vom Schnee befreit.
Am 14.01.2019 wurden über die Leitstelle die Überprüfung eines Hauses in einer Hanglage von Mittenwald angefordert. Das Gebäude wurde in den Jahren um 1960 errichtet und besitzt nach Süden einen repräsentativen Raum, der um 2012 eine neue Dachkonstruktion bekommen hatte. Beim Betreten des Raums wurde sofort ersichtlich, dass sich der Tragbalken, der die Firstpfette stützen sollte, stark verformt hatte (siehe Abb. 15). Am Auflager des Balkens waren aufgrund der Verformungen schon Abplatzungen des Farbauftrags und des Putzes ersichtlich (siehe Abb. 16). Zum Zeitraum der Herstellung der Dachkonstruktion war die Schneelastnorm DIN EN 1991-1-3 (Dezember 2010) mit nationalem Anhang anzuwenden.
Bei einer Ortshöhe des Gebäudes mit ca. 970 m NN und der damals anzusetzenden Schneelastzone 3 wäre eine Schneelast von 6,52 kN/m² am Boden, bzw. von 5,22 kN/m² für die Bemessung der Dachkonstruktion anzuwenden gewesen. Da am Tag der Untersuchung in Mittenwald eine Schneelast von 1,75 kN/m² am Boden festgestellt wurde, waren zum Zeitpunkt der Überprüfung auf dem Dach nur ca. 30 % der Last, für welche die Dachkonstruktion eigentlich ausgelegt werden sollte, vorhanden. Für den Verfasser ist es unverständlich, dass so eine Konstruktion bei einem neu erstellten Dachstuhl ausgeführt wurde.

Besondere Sachkunde ist erforderlich

Infolge des Einsturzes der Eishalle in Bad Reichenhall wurden schnell Stimmen laut, die eine Qualifizierung derer forderten, die Bestandsgebäude auf ihre zeitgemäße Sicherheit hin zu überprüfen haben. Deutschlandweit wurde im Bereich der Tragwerksplanung ein Weg gefunden, wie sich Bauingenieure und sonstige Sachkundige qualifizieren können. Die Einführung einer besonderen Sachkunde zur Überprüfung von Bauwerken kann durch Nachweise bzw. durch eine Prüfung (Fachgespräch) erworben werden. Diese Sachkunde kann für die Fachgebiete Stahlbetonbau, Metallbau und Holzbau erworben werden.
Auffällig ist aber, dass besonders die öffentliche Hand, die die Qualifikationsnachweise gefordert hat, bei der Auswahl für zu überprüfenden Objekte (RÜV) bei der Beauftragung der Bauingenieure nicht nach den bei den Ingenieurkammern ausliegenden Listen der Eintragungen vorgeht.

Medien, öffentliche Wahrnehmung

Bereits ab dem 6. Januar, Heilige Drei Könige, begannen Medien, Fernsehen, Rundfunk und Printmedien aus dem Alpenraum zu berichten. Anfangs kamen die ersten Meldungen aus Österreich, anschließend aus dem Bayerischen Alpen- und Voralpenraum. Schon am Dienstag, den 08.01.2019, kündigte sich ein bekannter TV-Privatsender an, um in Mittenwald von der Schnee- bzw. kommenden Schneekatastrophe zu berichten. Für den Ort Mittenwald an der Wetterstation Buckelwiesen war eine normale Schneelage mit einer Schneehöhe von 75 cm und einem Gewicht von 105 kg/m² gegeben. Nur an der Pfarrkirche waren Absperrungen wegen Dachlawinen angebracht. Der Sender hatte parallel zu dem Interview (mit dem Verfasser, Anm. der Red.) Bilder mit wesentlich größeren Schneelasten aus dem Raum Österreich eingespielt.
Weitere Medien, wie Radio Oberland und das Garmisch-Partenkirchner Tagblatt, wurden am 7. und 8. Januar auf deren Anfragen mit Informationen (des Verfassers, Anm. d. Red.) versorgt. Die Informationen hatten das Ziel, die Bürger zu beruhigen. Es erfolgte aber auch der Hinweis, dass Gebäude, die vor 1976 (neue Norm 1055 Teil 5: 1975) entstanden sind, zu beobachten seien. Jene Gebäude, die nach 1976 errichtet, aber nicht nach statischen Regelwerken bemessen wurden, sollten ebenfalls überprüft werden. In den Wetterberichten erfolgte kurz darauf der Hinweis auf den angekündigten Wetterumschwung zum folgenden Wochenende mit Regen bis zu 1.000 m NN. Aus den ersten Landkreisen, wie Berchtesgaden, wurde schon ab Mittwoch, den 09.01.2019, mit Direktschaltungen des Bayerischen Fernsehens in der Abendschau berichtet. Weitere vier Landkreise folgten in der Berichterstattung.
Über drei Tage hinweg gab es abends zur besten Sendezeit Direktschaltungen von BR 3 Fernsehen in dem Ort Jachenau, der über eine Verbindungsstraße vom Walchensee nach Lenggries wegen umgestürzten Bäumen auf der Straße von der Lenggrieser Seite nicht mehr erreichbar war. Das erweckte den Eindruck außergewöhnlicher Schneefälle. Der Heeres-Bergführer Oberst a.D. Jost Gudelius, der als Einwohner des Orts Jachenau schon sehr viele Winter erlebt hatte, fand die Situation in Bezug auf die Schneelasten der Dächer nicht außergewöhnlich. Die Zufahrt für die Versorgung des Orts über Walchensee war immer gegeben.
Die große Medienpräsenz wurde oben hinreichend beschrieben. Bedenken bestehen immer dann, wenn mit starken Übertreibungen Ängste geschürt werden, die teilweise zu Rückfragen besorgter Angehöriger aus entfernteren Gebieten führen, die von den Schneefällen gar nicht betroffen waren. Ein Zeitungsartikel aus Baden-Württemberg vom Januar 2020, ein Jahr nach der „Schneekatastrophe“, beschäftigte sich im Wesentlichen mit den Vorgängen in Südbayern im Januar 2019. Die Hälfte der Fotos stammte jedoch aus österreichischen Gebieten mit wesentlich größeren Schneemassen. Auch wenn dies teilweise im Untertitel angezeigt wurde, kann das nicht als seriöse Berichterstattung gewertet werden. Die Vorgehensweise einiger Medien sollte diesbezüglich differenzierter und sorgfältiger sein.

Zusammenfassung und Fazit

„Als Ingenieur ist es unsere Aufgabe, Dinge kritisch zu hinterfragen, unseren Sachverstand einzubringen und eben auch dafür zu kämpfen, Dinge vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen.“
Dieses Statement aus einer Veröffentlichung des Verfassers im Ingenieurblatt 3-2014, zusammen mit dem stellvertretenden Chefredakteur, Dipl.-Ing. Harald Link, ist auch bei den oben genannten Beispielen gültig.
Anfang 2019 ist kurzzeitig eine große Menge an Schnee in den Alpen und dem Bayerischen Alpenrand gefallen. Der Artikel belegt dies durch Zahlen und Fakten des Deutschen Wetterdienstes. Es zeigte sich jedoch, dass die höchste Schneelast im Februar auftrat, als die „Schneekatastrophe“ längst aus der öffentlichen Wahrnehmung und der Berichterstattung der Medien verschwunden war. Es war von Vorteil, dass bedenkliche Dächer bereits im Januar abgeräumt wurden. Die größeren Schneelasten im Februar konnten dadurch schadenfrei aufgenommen werden.
Es wurde häufig die Frage gestellt, ob es richtig war, dass die politisch Verantwortlichen den Katastrophenfall ausgerufen haben. Wer viele Tage im Einsatz war (so auch der Verfasser, Anm. d. Red.), konnte diese Entscheidung nachvollziehen. Entscheidend war, dass eine Unsicherheit darüber bestand, ob im Zusammenhang mit den angekündigten starken Regenfällen die Dächer so überlastet worden wären, dass mit Einstürzen zu rechnen war. Den Entscheidungsträgern war jedoch teilweise nicht bewusst, dass die Gebäude unterschiedlich zu beurteilen sind und dass ein Teil der Dächer vorgeschädigt war. Es war erstaunlich, aber auch bedenklich, was bei der Beurteilung der Dachkonstruktionen an Baumängeln zum Vorschein kamen. Besonders kritisch ist die Tatsache, dass einige Dächer auch neuerer Baujahre offensichtlich deutlich unterdimensioniert ausgeführt wurden oder einfach tragende Elemente ausgebaut wurden.
Was ist in Zukunft zu tun? In einem Zeitungsartikel im Folgejahr wurde darauf verwiesen, dass in einigen Landkreisen keine Privathäuser mehr vom Schnee befreit werden sollten.
Es sei bekannt, dass der Eigentümer einzig und allein die Verantwortung für das Gebäude trägt. Insbesondere bei Bauwerken, die in Zeiträumen entstanden, in denen die entsprechenden Regelwerke nicht die erforderlichen Schneelasten ausgewiesen haben, ist ein Hinweis auf den Bestandsschutz allein jedoch oft nicht zielführend.
Bei den Untersuchungen vor Ort zeigte sich oft, wie hilflos die Beteiligten waren. Beispielhaft ist aber auch, dass die Hauseigentümer bei einigen Begehungen in Krün und Mittenwald gleich den statischen Nachweis zur Hand hatten, auf dessen Basis das Gebäude erstellt wurde. Es wäre zu überlegen, Gebäudeausweise oder ähnliche Bestandsblätter zu erarbeiten, um für den Fall heftiger Schneefälle gerüstet zu sein.
Mit diesem Artikel konnten sicher nicht alle Fragen beantwortet werden, jedoch sollte er einen Denkanstoß geben, wie in Zukunft reagiert und Überreaktionen vermieden werden können.

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