Ein Weckruf

Diskussionsbeitrag zum Meinungsartikel von Stefan Polónyi

Deutsches Ingenieurblatt 7-8/2021
Meinung
Aus der Branche

Mit seinen letzten noch kurz vor seinem Tod zusammengestellten „Erkenntnissen und Anregungen“ in der Juni-Ausgabe des Deutschen Ingenieurblatts ist es Stephan Polónyi – wie so oft auch schon zu Lebzeiten – gelungen, einen Weckruf zu hinterlassen. Dieser sollte, wie von ihm gewünscht, zum Nachdenken und zur Diskussion anregen. Mein Beitrag möchte nun an der einen oder anderen Stelle etwas nachschärfen, beziehungsweise missverständliche Dinge ins rechte Licht rücken  

Richtigerweise weist Prof. Polónyi auf die für den Projekterfolg zwingende Notwendigkeit einer lückenlosen und konsequenten Bauüberwachung hin. Das von ihm angeführte Beispiel entspricht jedoch in mehreren Punkten nicht nur nicht der Realität, sondern stellt zudem – im Hinblick auf die Leistungserbringung der Prüfingenieurinnen und Prüfingenieure – in weiten Teilen einen rechtswidrigen Zustand dar.  

Planungsaufgaben und insbesondere Prüfleistungen leben von der besonderen Verantwortung der handelnden Personen. Gerade die Tragwerksplanung, die in höchstem Maß dazu beiträgt, dass wir uns auf die Standsicherheit unserer Bauwerke über Jahrzehnte hin verlassen können, erfordert besondere Vorsicht und Umsicht. Die Arbeit der beteiligten Ingenieurinnen und Ingenieure basiert auf einer verantwortungsvollen Haltung und persönlicher Kompetenz.  

Einer Kompetenz, die nicht „annimmt“, „glaubt“, oder „spekuliert“, sondern auf Erkenntnissen beruht. Dazu gehört auch das Wissen, dass wir stets mit hohen Risiken arbeiten, genauer: mit der Ermittlung von Wahrscheinlichkeiten ihres Auftretens. Risikoabschätzung ist immer von einer menschlichen und persönlichen Komponente begleitet. Ist sie zu schwach oder fehlerhaft, kann dies in der Konsequenz nicht nur Geld, sondern auch Menschenleben kosten. 

Daher ist es umso wichtiger, bei der Aufgabenteilung und der Aufgabenerledigung zwingend bestimmte Grundsätze einzuhalten. Bezüglich der Tätigkeit der Prüfingenieure sind diese auch rechtlich verankert. Die Kette der Verantwortlichkeiten Es beginnt in der Büro-Organisation des Tragwerksplaners: Planung erfolgt stets im Team.  

Entscheidend ist, dass die Kette der Verantwortlichkeiten nicht unterbrochen wird. Vom Projektleiter über den Aufsteller der Berechnung bis zu den Konstrukteuren ist ein kontinuierlicher Austausch der relevanten Informationen und Daten zu gewährleisten. Dies gilt umso mehr, wenn im Bereich der Planung Teile der Arbeiten durch freie Mitarbeitende angefertigt werden. Dies kann insbesondere immer dann sinnvoll sein, wenn der freie Mitarbeiter über spezialisierte Kompetenzen verfügt, die für die jeweilige Aufgabenstellung wesentlich sind. Dessen Zuarbeit fließt in die Projektarbeit ein und ist vom Auftraggeber selbstverständlich zu prüfen, bevor man sich das Ergebnis zu eigen macht.  

Ein anderes konkretes Beispiel betrifft die Zuarbeit von Fertigteilwerken. Auch hier ist es üblich, dass in jedem Büro eine interne Eigenüberwachung vor Herausgabe der erarbeiteten Ergebnisse zu erfolgen hat. Es kann letztlich nur einen persönlich „Verantwortlichen“ geben. In NRW ist dies in der Planung beispielsweise der qualifizierte Tragwerksplaner.  

Bei der Übergabe der Tragwerksplanung an den Prüfingenieur kann es aber in keinem Fall ausreichend sein, auf die Fehlersuche innerhalb der bautechnischen Prüfung abzustellen. In dem von ihm gewählten Beispiel fasst Polónyi die Auffassung der Beteiligten wie folgt zusammen: „Sollte sich irgendwo ein Fehler eingeschlichen haben, werde er (der Prüfingenieur, Anm. der Red.) schon darauf aufmerksam machen.“ So geht es sicher nicht! Das ist aber auch nicht die geübte Praxis!  

Keine freiberuflichen Prüfer ohne Berufspraxis! 
Das Ergebnis der Prüfung durch den Prüfingenieur nach dem Vier-Augen-Prinzip setzt voraus, dass bereits bei der Erarbeitung der Nachweise qualifizierte Kolleginnen und Kollegen auf Augenhöhe im Einsatz sind. Nur so können qualifiziert erarbeitete Nachweise anschließend in der Prüfung durch einen Prüfingenieur – in unabhängiger und eigenverantwortlicher Weise – auf ihr richtiges Ergebnis hin überprüft werden.  

„Freiberufliche Prüfer“ nach Polónyi – ohne Berufspraxis im Erstellen von statischen Nachweisen – sind dagegen unzulässig! Die gesetzlichen Vorschriften sind an dieser Stelle eindeutig! Das Beispiel von Herrn Prof. Polónyi ist insofern schlecht gewählt. In allen Bundesländern gilt, dass der Prüfingenieure oder die Sachverständige für die Prüfung der Standsicherheit, nur solche Mitarbeitenden beschäftigen darf, die für die jeweilige Aufgabe befähigt und zudem zuverlässig sind. Das heißt, sie müssen ihre Mitarbeitenden mit ihren jeweiligen Stärken genau kennen und sie auch „dirigieren“ können. Denn nur so können sie voll überwacht werden, so, wie es die Vorschriften fordern. Im Ergebnis kann es sich hier immer nur um einen festangestellten Mitarbeiter handeln. Im Übrigen versteht es sich von selbst, dass stets nur diejenigen „prüfen“ dürfen, die ihr Handwerkzeug zuvor sicher fachkundig erlernt und in der Berufspraxis umfassend geübt haben.  

Das gilt gleichermaßen für die Prüfung der Standsicherheitsnachweise wie auch für die stichprobenhaften Kontrollen während der Abnahmen vor Ort. 

Grundsätzlich bleibt auch hier der Prüfingenieur persönlich verantwortlich. Er wird sich also immer gut überlegen, welche seiner Mitarbeitenden er für ausreichend befähigt und zuverlässig hält, ihn zu unterstützen. Ein Abnehmer, der, wie im Beispiel von Polónyi angeführt, mehrere Prüfingenieure bedient und somit als freier Mitarbeiter unterwegs ist, ist also unzulässig. Ein solches Vorgehen ist bei Bekanntwerden durch die Anerkennungsbehörden zu ahnden. 

Stichprobenhafte Kontrollen während der Abnahmen entfalten im Übrigen nur dann die gewünschte Wirkung, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt durchgeführt werden. Eine Freigabe z. B. zum Betonieren darf erst dann erfolgen, wenn die Bewehrung an allen (!) wesentlichen Stellen ordnungsgemäß eingebaut und gemäß dem Vier-Augen-Prinzip kontrolliert worden ist. Den von Prof. Polónyi vermuteten (und teils auch in der Praxis stattfindenden) Eingriffen durch Installateure u. a. in das Bewehrungsnetz  darf durch den richtig gewählten Zeitpunkt der Abnahme kein Spielraum überlassen werden.  

Zu Recht betont Prof. Polónyi, dass wir stolz auf unser bereits vor Jahrzehnten geschaffenes und bewährtes Vier-Augen-Prinzip sein dürfen.

Es ist jedoch entsprechend seiner Anregung in keinem Fall durch einen allein verantwortlichen und qualifizierten Projektleiter zu ersetzen. Und keinesfalls kann ein Ersatz durch das z. B. in Frankreich übliche Verfahren unter Einsatz einer Versicherungspolice herbeigeführt werden.  

Hierbei handelt es sich um ein völlig anderes Modell im Umgang mit Verantwortlichkeiten. Das Versicherungsunternehmen ersetzt nicht den Staat mit seinen vorsorgenden, die Bauherrschaft schützenden Regelungen. Ein Versicherungsunternehmen schätzt unter wirtschaftlichen Kriterien Risiken ab und veranlasst daraufhin das Erforderliche. Das kann bedeuten, dass die Prüfung einer Tragwerksplanung oder die stichprobenhaften Kontrollen nicht durchgeführt werden, wenn das Versicherungsunternehmen das Risiko für angemessen hält. Kommt es jedoch zum Ergebnis,  dass Prüfungen durchgeführt werden müssen, wird es den „Prüfer seines Vertrauens“ auswählen und diesem klar vorgeben, was und in welchem Umfang zu prüfen ist. Das heißt dann aber auch, dass es sich nicht um einen von einer Behörde anerkannten Prüfingenieur handeln muss, sondern vielmehr, dass das Versicherungsunternehmen seine eigenen Leute vorhält.  

Ist der Schadensfall aber erst einmal eingetreten, bleibt ein Umtausch (auch bei Rückendeckung durch eine Versicherung) ausgeschlossen. Der Wunsch von Prof. Polónyi, mit Versicherungen Sanierungszeiten zu verkürzen und nachfolgende juristische Prozeduren zu vermeiden, läuft bei näherer Betrachtung vollständig ins Leere. Das Modell, nach dem im Ergebnis ein Versicherungsunternehmen die Spielregeln beim Bauen bestimmt, aber nicht mehr der Gesetz- und Verordnungsgeber, ist ein anderes. Aber wollen wir das? Meine Antwort darauf lautet: Nein, das wollen wir nicht! Es ist weder das bessere Modell, noch kann es das günstigere Modell sein. Denn am Ende wird ein Versicherungsunternehmen mit seiner Tätigkeit Gewinn erwirtschaften wollen. Im Ergebnis fahren wir in Deutschland besser mit der immer auf Vorsorge bedachten Prüfung durch Prüfingenieure.  

Den Projekterfolg bestimmt das Team Beim Thema der Ausschreibung von Prüfingenieurleistungen legt Prof. Polónyi zu Recht den Finger in die Wunde der leider verstärkt auftauchenden unsachgemäß gewählten Vergabekriterien. Hier kann im Vordergrund nur die persönliche Eignung des Prüfingenieurs stehen, eventuell ergänzt durch ausreichende Erfahrung mit ähnlichen Projekten, der Möglichkeit einer Unterstützung durch erfahrene, festangestellte Mitarbeitende und das Kriterium der Ortsnähe. Keinesfalls ist der Umsatz als Vergabekriterium in der Vergabe von Prüfleistungen geeignet.  

Im Geiste Polónys besteht sicher Einvernehmen darüber, dass der Projekterfolg stets wesentlich von der Atmosphäre im Team abhängig ist. Teamerfolg erfordert Vertrauen zueinander. Gute Ergebnisse setzen voraus, dass Menschen mit Respekt und Vertrauen zusammenarbeiten. Gute Ingenieurarbeit wird begleitet von gelebter Vertrauenskultur.  Diese ist und bleibt auch ein unverzichtbarer Baustein für ein stabiles und leistungsfähiges Vier-Augen-Prinzip.  

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