Eine Entscheidung: Eigen- oder Fremdversorgung?

Zukünftige Wärmeversorgung eines Klinikums

Deutsches Ingenieurblatt 03/2018
Management

Bedingt durch den strukturellen Wandel in der Energieversorgung, weg vom reinen Verkauf von Commodity-Angeboten hin zum Verkauf von Dienstleistungen, überbieten sich die Akteure mit Angeboten an energieintensive Verbraucher wie z. B. Gesundheitseinrichtungen. Für die energieintensiven Verbraucher bedeutet dies eine unternehmerische Bewertung der Dienstleistungsangebote. Ein Beispiel aus der Praxis zeigt auf, wie die Marktveränderungen für die beteiligten Akteure positiv genutzt werden können.

In einem Klinikum zur medizinischen Grundversorgung mit 460 Belegungsbetten werden derzeit Um- und Neustrukturierungsmaßnahmen umgesetzt, die zu einem veränderten Wärmebedarf führen. Desweiteren enden im Jahr 2020 die Wärmelieferverträge des örtlichen Fernwärmelieferanten.In diesem Kontext wurde die Potthoff GmbH, ein Ingenieurbüro für Energiewirtschaft und -technik, beauftragt, technologisch und betriebswirtschaftlich zu untersuchen, welche zukünftige Wärmeversorgung – eigen oder wie bisher fremd – die wirtschaftlichste sei.
Im Folgenden ist beschrieben, wie die Vorgehensweise der Ingenieure und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen aussahen.

Zukünftige Erdgasversorgung:
Auf Basis des Wärmebedarfs wurde unter Ansatz der Wirkungsgrade der Referenzvariante der zukünftige Erdgasbezug ermittelt und bei potenziellen Erdgaslieferanten ein Angebot eingeholt. Da für die Erdgasversorgung in Nähe des Klinikums eine ausreichende Kapazität mit geeignetem Erdgasdruck vorhanden ist, kann die Versorgung über eine neue Erdgasmess- und Druckregelstation erfolgen. Die zukünftigen Erdgasbezugskonditionen sind in Tabelle 3 aufgeführt.

Beschreibung der bestehenden Fernwärmeversorgung:
Die Versorgung des Klinikums mit Fernwärme erfolgt aus einer externen Energiezentrale, in der erdgasbetriebene Heizkessel und ein Blockheizkraftwerk (BHKW) installiert sind.
Über ein strahlenförmiges Verteilnetz, bestehend aus einem Kunststoff-Mantel-Rohr-System mit Leckageüberwachung (KMR-Rohr, siehe Aufmacherbild), erfolgt die Anbindung des Klinikums. Die Wärmeübergabe erfolgt indirekt.

Ermittlung des zukünftigen Wärmebedarfs:
Der zukünftige Wärmebedarf wurde auf Basis der Verbrauchsabrechnung des Jahrs 2016 vorgenommen, wobei der zusätzliche Wärmebedarf durch Um- und Neustrukturierungen auf der aktuellen Entwurfsplanung basiert. Die Leistungen der Heizkessel und die des BHKW-Moduls sind Abbildung 1 zu entnehmen. Die zukünftigen Fernwärmebezugsdaten sind in Tabelle 1 eingetragen.

Ermittlung des zukünftigen Strombedarfs:
Der zukünftige Strombedarf wurde ebenso auf Basis der Verbrauchsabrechnung des Jahrs 2016 vorgenommen, wobei der zusätzliche Strombedarf durch Um- und Neustrukturierungen auf der aktuellen Entwurfsplanung basiert. In Abbildung 2 ist die Jahresdauerlinie des zukünftigen Strombedarfs für das Jahr 2016 aufgeführt. Die elektrische Leistung des BHKW-Moduls ist ebenfalls Abbildung 2 zu entnehmen.Die zukünftigen Strombezugsdaten sind in Tabelle 2 eingetragen.

Zukünftiger Rest-Strombezug:
Auf Basis des Strombedarfs und unter Abzug der Stromerzeugung des BHKW-Moduls ergibt sich die Höhe des zukünftigen Reststrombezugs.
Der elektrische Anschluss des BHKW-Moduls erfolgt in zehn neuen KV-Trafostationen mit Schaltanlage. Dies ist gleichzeitig der Netzintegrationspunkt des Netzbetreibers.

Beschreibung der zukünftigen Wärmeversorgung:
Als Referenz zur Fremdversorgung wurde für die Eigenversorgung eine betriebsbereite erdgasbetriebene Heizkesselanlage mit einem Blockheizkraftwerk konzipiert. Die Aufstellung der Anlagen ist in geeigneten Räumlichkeiten innerhalb des Klinikums möglich.

Zukünftige Erdgasversorgung:Auf Basis des Wärmebedarfs wurde unter Ansatz der Wirkungsgrade der Referenzvariante der zukünftige Erdgasbezug ermittelt und bei potenziellen Erdgaslieferanten ein Angebot eingeholt. Da für die Erdgasversorgung in Nähe des Klinikums eine ausreichende Kapazität mit geeignetem Erdgasdruck vorhanden ist, kann die Versorgung über eine neue Erdgasmess- und Druckregelstation erfolgen. Die zukünftigen Erdgasbezugskonditionen sind in Tabelle 3 aufgeführt. 

Rahmenbedingungen für den Einsatz der Anlagen für die Eigenversorgung:
Tatbestand des Anschluss- und Benutzerzwangs:
Ein Anschluss- und Benutzerzwang gem. der Gemeinde- und Kommunalsatzung besteht nicht, sodass eine Eigenversorgung vorgenommen werden kann.
Tatbestand der Fernwärmeverdrängung nach dem KWKG 2017:
Eine Verdrängung an Fernwärme gem. § 6 Abs. 2 KWKG 2017 liegt hier nicht vor, da die bestehende Fernwärmeversorgung unter 75 % mit KWK-Anlagen erfolgt.
Erfüllung der Anforderungen der EnEV 2014:
Bei der Planung der Um- und Neustrukturierungen sind die Kriterien der EnEV 2014 einzuhalten. Nach Angabe des Planers werden diese mit der Heizkessel-/BHKW-Anlage eingehalten.

Wirtschaftlichkeitsberechnung
Die Wirtschaftlichkeitsberechnung hat zum Inhalt, die zuvor dargestellten Versorgungsvarianten ökonomisch zu bewerten. Die Wirtschaftlichkeit der Variante „Fremdversorgung“ ist gegeben, wenn die Wärmegestehungskosten gleich oder kleiner sind als die der Variante „Eigenversorgung“.

Die Wirtschaftlichkeitskriterien sind die jährlichen Wärmegestehungskosten bzw. die spezifischen Wärmegestehungskosten (netto).
Die Berechnung wurde in Anlehnung an die VDI 2067-T1 vorgenommen.
Sie beinhaltet die Ermittlung der Kostenarten wie die kapital-, betriebs-, verbrauchsgebundenen- und sonstige Kosten. Als finanzmathematisches Verfahren wurde die „Annuitätenmethode“ angewendet. Die Wärmegestehungskosten werden nach der „Restwertmethode“ ermittelt.

Ermittlung der kapitalgebundenen Kosten:
Zur Ermittlung der kapitalgebundenen Kosten wurden die Anschaffungskosten für Bau-, Anlagen- und elektrotechnische Maßnahmen ermittelt. Ein Fremdkapitalzinssatz in Höhe von 4 % wurde beachtet, wobei die technische Nutzungsdauer der Maßnahmen gem. VDI 2067-T1 in Ansatz gebracht wurde.

Ermittlung der betriebsgebundenen Kosten:
Die betriebsgebundenen Kosten wurden ebenso gem. VDI 2067-T1 in Ansatz gebracht. Bezüglich der kostenintensiven Maßnahmen, wie z. B. dem BHKW, wurden die Kosten für einen „Vollwartungsvertrag“ mit nachfolgenden Leistungen berücksichtigt:

  • Zeitraum: 12 Jahre
  • alle Maßnahmen gem. Wartungs-/Instandhaltungsplan inkl. Ersatzteile
  • große Revision nach je ca. 50.000 Bh
  • Schmieröl (Verbrauch und Wechsel)
  • Übertragung und Kontrolle der Betriebswerte

Die Aufwendungen für Begehung und Bedienung der Anlagen wurden auf Basis eines mittleren Bruttogehalts in Höhe von 4.130,00 €/Monat bewertet. Die Zeitansätze sind der VDI 2067-T1 entnommen.

Ermittlung der verbrauchsgebundenen Kosten
Erdgasbezug:

Das wirtschaftlichste Angebot über die Belieferung des Klinikums mit Erdgas, basierend auf den Daten in der Tabelle 3, ergab einen Erdgaspreis in Höhe von 3,54 ct/kWh (netto).
In diesem Preis sind die Preisbestandteile wie Netz- und Messstellenentgelt, Konzessionsabgabe und Erdgassteuer enthalten.

Fernwärmebezug:
Der Fernwärmelieferant hat dem Klinikum, basierend auf den Fernwärmebezugsdaten in Tabelle 1, nachfolgendes Angebot unterbreitet:

Ermittlung des internen Strompreises:
Die Ermittlung des internen Strompreises wurde auf Basis der Jahres-Schlussrechnung durchgeführt und ergab 14,69 ct/kWh (netto).

Anteil EEG-Umlage bei Eigenverbrauch:
Gemäß dem KWKG 2016 ist bei eigener Nutzung des selbst erzeugten Stroms ab dem Jahr 2017 ein Anteil in Höhe von 40 % zu entrichten. Die EEG-Umlage beträgt derzeit 6,88 ct/kWh, sodass der Anteil der EEG-Umlage 2,75 ct/kWh beträgt.

Ermittlung der Erlöse:
Die Erlöse aus der neuen zukünftigen Wärmeversorgungsanlage beinhalten die eingesparten Stromkosten (Stromerlöse).
Durch den Betrieb des BHKW wird der Strombezug reduziert. Es ergibt sich eine Kostendifferenz zwischen Vollstrom- und Reststrombezug (vermiedene Strombezugskosten). Diese Kostendifferenz kann gemäß KWKG 2016 nach zwei Bewertungsansätzen ermittelt werden.

Bewertung 1:
Ansatz der Differenzkosten Voll- und Fremdstrom (vermiedene Strombezugskosten); ganze oder teilweise „Nutzung“ des selbst erzeugten Stroms.

Bewertung 2:
Ansatz der KWK-Vergütungssätze; ganze oder teilweise „Einspeisung“ in das allgemeine elektr. Versorgungsnetz.Aus der Gegenüberstellung in Tabelle 5 wird ersichtlich, dass es vorteilhaft ist, die Erlöse gemäß dem Bewertungsansatz 1 zu ermitteln.

Bewertung der Steuern
Energiesteuer:

Laut Energiesteuergesetz wird der Einsatz von Erdgas für den Antrieb von Verbrennungsmotoren mit einem Steuersatz von 0,55 ct/kWh beaufschlagt. Seit dem 01.01.2018 beträgt dieser 0,442 ct/kWh und wurde bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung berücksichtigt.
Nach § 53a wird eine vollständige Steuerentlastung auf den Brennstoffeinsatz für die Erzeugung von elektrischer Energie gewährt, wenn die Steuer entrichtet und die Energie zur gekoppelten Erzeugung von Kraft und Wärme eingesetzt wurde.

Die Rahmenbedingungen sind:

  • Nachweis der Hocheffizienz
  • Jahresnutzungsgrad > 70 %

Diese Bedingungen werden erfüllt.

Stromsteuer:
Gem. § 5 des Stromsteuergesetzes unterliegt ein Letztverbraucher bei der Entnahme von Strom aus dem allgemeinen elektrischen Versorgungsnetz der Stromsteuer in Höhe von 2,05 ct/kWh.
Gem. § 9 ist derjenige von der Stromsteuer befreit, der als Betreiber einer Anlage mit bis zu 2 MW den selbst erzeugten Strom selbst verbraucht.
Auf Basis der zuvor dargestellten Bedingungen wurden die jährlichen Wärmegestehungskosten ermittelt.

Fragestellung „Eigen- oder Fremdversorgung“
Zum Vergleich der Fragestellung „Eigen- oder Fremdversorgung“ sind die Wärmegestehungskosten in der Tabelle 6 gegenübergestellt.
Auf Basis der in Tabelle 6 dargestellten Gegenüberstellung der Wärmegestehungskosten wurden mit dem Fernwärmelieferanten Gespräche bezüglich der Plausibilisierung der Wirtschaftlichkeitsberechnung sowie der in Tabelle 4 aufgeführten Angebotspreise geführt. Dabei ließ sich der Wärmegrundpreis in Höhe von 55,63 €/kW reduzieren.
Auf dieser Basis unterbreitete der Fernwärmelieferant dem Klinikum ein zweites Angebot, dessen zukünftige Fernwärmepreis-Bestandteile in Tabelle 7 aufgeführt sind.
Auf Basis der in Tabelle 7 aufgeführten Preisbestandteile wurden die Wärmegestehungskosten für die Fremdversorgung neu ermittelt. Das Ergebnis ist in der Tabelle 8 enthalten.
Aus der Tabelle 8 wird der wirtschaftliche Vorteil der „Fremdversorgung“ in Höhe von 4 % deutlich. Die Bedingung gem. Gl. 1 wird erfüllt. Eine Eigenversorgung ist somit nicht wirtschaftlich.

Unter der Annahme einer mittleren Nutzungsdauer von 15 Jahren und unter Ansatz des erzielten geringeren Fernwärmepreises spart das Klinikum ca. 670.000,00 € an Wärmegestehungskosten.
Dieses Kapital könnte beispielsweise für Maßnahmen der Anlagen-Ertüchtigung verwendet oder in die Installation von regenerativen Anlagen investiert werden.

Sensitivitätsanalyse
Die Sensitivitätsbetrachtung hat zum Inhalt, die wesentlichen Risiken der Wirtschaftlichkeitsberechnung zu bewerten.
Als Parameter, der großen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit hat, wurde die Veränderung des Erdgas- bzw. Fernwärmepreises bewertet.In Abbildung 4 sind die Wärmegestehungskosten in Abhängigkeit des veränderlichen Erdgas-/Fernwärmepreises aufgetragen.
Es ist ersichtlich, dass beide Versorgungsvarianten eine ähnliche Tendenz der Graphen aufweisen. Ab einer Preisreduzierung von ca. 10 % zeigt sich eine geringe Vorteilhaftigkeit der Eigenversorgung. Dieser Tatbestand resultiert daraus, dass bei konstanten Erlösen die Kosten, bedingt durch geringere verbrauchsgebundene Kosten, geringer werden.
Bei einer Preissteigerung ist die Fremdversorgung gegenüber der Eigenversorgung im Vorteil. Derzeit befindet sich der Erdgaspreis auf einem niedrigen Niveau. Eine weitere Verringerung ist in der Zukunft nicht zu erwarten.
Somit hat die Sensitivitätsanalyse als Ergebnis, dass die Vorteilhaftigkeit der Fremdversorgung, auch bei Veränderung des Erdgas- bzw. Fernwärmepreises, gegeben ist.
Auf Basis der Untersuchungsergebnisse hat sich das Klinikum für die weitere Fremdversorgung mit den geänderten Preisbestandteilen entschieden.

Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Durch den Wandel in der Energieversorgung überbieten sich die Akteure mit Dienstleistungsangeboten an energieintensive Verbraucher. Für die Verbraucher bedeutet dies eine unternehmerische Bewertung der Dienstleistungsangebote. Die jeweiligen Dienstleistungsangebote bedürfen somit einer fundierten fachlichen- und betriebswirtschaftlichen Bewertung durch ein neutrales Ingenieurbüro. Das vorliegende Beispiel aus der Praxis zeigt auf, wie konstruktiv und für beide Partner zum Vorteil eine B2B-Partnerschaft fortgesetzt bzw. entwickelt werden kann.

Die PDF mit sämtlichen Tabellen finden Sie hier...

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