Nutzung von Synergien in der Siedlungswasserwirtschaft

Neue Herausforderungen für wasserwirtschaftliche Anlagen

Deutsches Ingenieurblatt 7-8/2020
Gesamtausgabe
Meinung

Klimatische Veränderungen und zunehmende Starkregenniederschläge und Hochwasser erfordern künftig wasserwirtschaftliche Maßnahmen, die den gesamtheitlichen Umgang mit Niederschlagswasser umfassen. Die schadensfreie Ableitung von Regenwasser in Gewässer über Rückhaltesysteme zur Regenwasserbewirtschaftung steht dabei im Vordergrund. Zu der Fragestellung: „Was geschieht mit dem Niederschlagswasser aus urbanen Einzugsgebieten?“ werden nachfolgend praktische Ansatzmöglichkeiten für die Verwendung und Nutzung von Niederschlagswasser mit Synergieeffekten in den Bereichen der Abwasserbeseitigung und des Brandschutzes aufgezeigt. Den Belangen der Gewässergüte und dem Schutz der sensiblen Ressource Trinkwasser kommt ebenfalls große Bedeutung zu. Die vielseitige Verwertung, Rückhaltung und gefahrlose Abgabe von Niederschlagswasser an den Wasserkreislauf wird unter dem Sammelbegriff des „multifunktionalen Regenwassermanagements“ beschrieben.

Die demografische Entwicklung, der fortschreitende Klimawandel mit Temperaturanstieg, Starkregenrisiken und Überflutungsgefährdungen sowie Ressourcenknappheit mit steigenden Energiepreisen und Anforderungen an den Gewässerschutz erfordern zur Verbesserung der Lebensbedingungen innovative Technologien zur Umstrukturierung der Wasserwirtschaft. Aufgrund der Häufigkeiten und Intensität von Regenereignissen besteht akuter Handlungsbedarf. Die Technischen Systeme der Siedlungswasserwirtschaft sind verbesserungsbedürftig und die baulichen Anlagen sowie die Betriebsführung müssen wegen des Klimawandels und der Bevölkerungsrückgänge flexibel und nachhaltig optimiert werden.
Hinsichtlich der Langlebigkeit und Kapitalintensität wird es notwendig, die Infrastruktur zu verbessern und anzupassen. Auch muss sie sich in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeit unter verschiedenen Belastungssituationen (mit Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten) in adäquate Verhältnisse verändern. Angestrebt wird die Entwicklung einer zukunftsfähigen Wasserwirtschaft mit multifunktionellen Infrastruktursystemen und sektorenübergreifender Erschließung ungenutzter Potenziale sowie ihre Anpassung an die Klimafolgen.

Bewirtschaftung von Niederschlagswasser mit Synergieeffekten

Innovative und anwendungsreife Lösungen werden im Folgenden dargestellt. Sie können in die Regenwasserbewirtschaftung implementiert werden und weisen Synergieeffekte für die Abwasserbeseitigung und die Trinkwasserversorgung sowie den Gewässerschutz auf. Dabei richtet sich der Blick auf die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen:
Die Projektkonzeption enthält exemplarische Maßnahmenvorschläge zur Modernisierung und Optimierung der Abwasserbeseitigung in Neubaugebieten, Gewerbegebieten, Tourismus- und Freizeiteinrichtungen sowie baulichen Anlagen im Bestand anhand zukunftsfähiger Herausforderungen. Durch die Integration innovativer Lösungsansätze lassen sich nachhaltige Verbesserungen erzielen sowie der wasserwirtschaftliche Systemverbund zwischen der Abwasserbeseitigung und der Trinkwasserversorgung anhand klimatischer und demografischer Veränderungen in der Siedlungswasserwirtschaft anpassen.
Darüber hinaus werden alternative Möglichkeiten zur multifunktionalen Speicherung und Nutzung von Regenwasser in urbanen Siedlungsgebieten aufgezeigt unter Reduzierung der Abflussspitzen von Abwassermengen mit Regenwasserrückhaltungen an Vorflutern (Vermeidung von urbanen Sturzfluten). Durch die Modernisierung einer geordneten Abwasserbehandlung im ländlichen Raum können Umweltgefährdungen (z. B. lokale Überflutungen) vermieden werden. Durch die Reduzierung hydraulischer Belastungen wird der Gewässerschutz durch Retention von Niederschlagswasser während des Regenereignisses aufrecht erhalten.

Hohe hydraulische Belastungen bei Spitzenabflüssen

Nach Niederschlägen kann der Wasserabfluss von Gebieten mit hohem Versiegelungsgrad und Bebauungsdichte über das Ableitungssystem hohe hydraulische Belastungen für die Wasserläufe darstellen – mit erheblichen Folgen für die Gewässerökologie durch die stoßartige Ablaufbeschleunigung. Das Regenwasser der Niederschläge muss daher durch Planungsstrategien des integrierten Regenwassermanagements mit einem zusammenhängenden, funktionsfähigen und wirkungsvollen Netzwerk naturnah und dezentral bewirtschaftet und an die extremen Witterungsverhältnisse (z. B. schwere Unwetter mit Starkregen) angepasst werden, um kapitale Schäden zu vermeiden.

Gewährleistung der Betriebssicherheit im Abwassertrennsystem

Die Einsparung von Trinkwasser durch neuartige Sanitärsysteme und geringe Gefälleverhältnisse in Freispiegelleitungen führen darüber hinaus zu betriebsbedingten Problemen in der Abwasserbeseitigung. In den Schmutzwasserkanälen kommt es daher häufig zu Ablagerungen mit daraus resultierenden Verstopfungen (Reduzierung der Leistungsfähigkeiten von Abwasserrohrsystemen) und auch Beschädigungen mit Rückstaubeeinträchtigungen bis hin zu Geruchsproblemen und Korrosion von Rohrmaterialien und Schachtbauwerken.
Die Betriebssicherheit der Abwasserbeseitigungsanlagen im Trennsystem (Teilströme Schmutz- und Regenwasserableitung) wird wie nachfolgend beschrieben gewährleistet: Niederschlagswasser der versiegelten Erschließungsflächen mit Dachentwässerungen werden im Siedlungsgebiet dezentral einem unterirdischen Ingenieurbauwerk zur Regenwasserspeicherung mit Retentionsfunktion zugeleitet.

Vorhaltung und Bereitstellung von Löschwasser für den Brandschutz

Die Platzierung kann z. B. unter Neuanlagen von Kinderspielplätzen, Erholungsflächen oder Sportanlagen unterirdisch mit Erdüberdeckung unter Verkehrsbelastungen ohne eigenen Platzbedarf erfolgen. Die Lage (Entfernung Löschbereich im Umkreis von 300 m Radius) sowie die Größe des Speichervolumens (Grundschutz 96 – 192 m³) werden gemäß DVGW-Arbeitsblatt W405 Tabelle 1 „Richtwerte für den Löschwasserbedarf (m³/h) unter Berücksichtigung der baulichen Nutzung und der Gefahr der Brandausbreitung“ ausgelegt. In regenfreien Trockenperioden mit Niederschlagsmangel und einhergehenden hohen Temperaturen wird die Gefährdung durch Feuer zudem gesteigert und das Brandrisiko nimmt überproportional zu.
Am Zulauf zum Regenwasserbehälter wird ein ausreichend dimensionierter Schmutz- und Schlammfang vorgeschaltet. Dieser soll Verunreinigungen im abfließenden Regenwasser zurückhalten, um die Reinigungskosten mit Ablagerungen in der Wasserzisterne zu reduzieren. Der Behälterüberlauf wird über den Vorfluter bzw. ein versickerungsfähiges Mulden- bzw. Rigolensystem zur Grundwasseranreicherung abflusswirksam reduziert und ins Gewässer abgeleitet.

Intervallspülung der Schmutzwasserkanalisation

Ein Spülschacht wird am Regenwasserspeicher nachgeschaltet und an den zu unterhaltenden Schmutzwasserkanal im Freispiegelgefälle angebunden. Sobald ein definierter Wasserstand im Bauwerk erreicht ist, wird ein mechanischer Vorgang automatisch in Gang gesetzt. (Die Schwimmkugel des Entlüftungsventils wird durch Auftrieb des Sollwasserstands aktiviert.) Die angestaute Wassermenge strömt schwallartig in die angebundene Schwemmkanalisation und reinigt so ohne Einsatz von Fremdenergie kontinuierlich die verstopfungsgefährdenden Abwasserleitungen der Schmutzwasserkanalisation. Durch das Absenken des Wasserstands wird das Ventil wieder bis zum nächsten Überstauereignis verschlossen.

Multifunktionales Regenwassermanagement beim Umgang mit Niederschlägen

Nachfolgende Synergieeffekte mit entsprechenden Herausforderungen für Stadt und Land ergeben sich durch den Rückhalt von Niederschlagswasser und die Implementierung von interdisziplinärer Brauchwassernutzungen im Wasserhaushalt:

  • Aufbau von Redundanzen bei Infrastruktursystemen der Ver- und Entsorgung
  • Klima-Resilienz aufgrund von Hitze und Trockenstress
  • Modifikation/Transformation der Vulnerabilität der Niederschlagswasserbehandlung
  • Assimilation der Regelung und Steuerung von unbelastetem Abwasser
  • Brauchwassernutzung durch Niederschlagswasserspeicherung
  • dezentrale Grundwasseranreicherung durch oberflächennahe Versickerung
  • permanente Vorhaltung/Bereitstellung von Löschwasser im Siedlungsgebiet
  • Brauchwasserbereitstellung als vorbeugender und abwehrendem Brandschutz
  • Steigerung der Trinkwasserqualität aufgrund der Zielnetzplanung des Verteilungsnetzes
  • Effizienzsteigerung aufgrund geminderter Netzspülung der Trinkwasserrohrleitung
  • Reduzierung des Zeit- und Personalaufwands bei Wasserversorgungsunternehmen
  • Senkung von Energiekosten zur Trinkwasseraufbereitung
  • Einsparung beim Trinkwasserverbrauch als Ressourcenschutz
  • Intervallreinigung der Freispiegelleitungen der Schmutzwasserkanalisation
  • Minimierung des Kostenaufwands bei der Unterhaltungsreinigung des Kanalnetzes
  • zeitverzögerte Rückhaltung der Spitzenabflüsse bei Starkregenniederschlägen
  • Entlastung wassersensibler Entwässerungssysteme
  • Bewahrung der Gewässerökologie und Erhaltungsschutz der Biodiversität
  • Reduzierung des Überflutungsrisikos und der Gewässerverunreinigung

Nutzung von Potenzialen für die öffentliche Sicherheit als Daseinsvorsorge

Darüber hinaus wird die örtliche Löschwasserversorgung durch netzunabhängige Entnahmestellen (unterirdische Löschwasserbehälter: ULB) erweitert. Infolge von Zielnetzplanung der Wasserversorgung aufgrund von nutzungsabhängigen Faktoren wird die Stagnation von Trinkwasser (geringe Wasserdurchsatzrate aufgrund des demografischen Wandels) vermieden. Die hygienischen Sicherheitsaspekte mit verbesserten Lebensbedingungen durch die Trinkwasserqualität sind dabei durch die Anpassung der Leitungsdimensionierung im Rohrnetz gewährleistet.

Einhaltung der Hygieneverordnungen im Trinkwasserverteilungsnetz

Bei Neuplanungen bzw. Überprüfungen von Bau- und Gewerbegebieten können darüber hinaus wasserwirtschaftliche Interessen mit Synergieeffekten unter multifunktionellen Gesichtspunkten nach dem Stand der Technik erzielt werden. Durch o. g. Ersatzmaßnahmen liegt die ständige Bereitschaft für die Entnahme von Löschwasser im umliegenden Bereich vor. Somit wird der lebensnotwendige Wasserkreislauf geschlossen und es werden zusätzliche Ausgaben für Betriebskosten zur Instandhaltung und Wartung eingespart. Darüber hinaus steht im Umkehrschluss kostenloses Regenwasser als wertvoller Löschwasservorrat zur Verfügung.
Gesonderte Löschwasserleitungen, die parallel zum reduzierten Rohrstrang der Trinkwasserverteilung verlaufen, können zusätzlich eine größere Flexibilität der Brauchwasserzuleitung mit langen Nutzungsdauern in Hinblick auf die bestimmungsgemäße Verwendung erreichen und den Wirkungskreis erweitern. Die Teilströme Brauchwasser und Trinkwasser lassen sich so voneinander trennen. In Zukunft sind laufende Systemmodifikationen der Abwasserbeseitigung bzw. Wasserversorgung im Sinne des Verbesserungsgebotes mit fortwährenden Investitionen der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastrukturen notwendig, um unsere elementaren Lebens- und Sicherheitsstandards aufrecht zu erhalten.

Wahrung der öffentlichen Sicherheit mit Ordnung unter Naturschutz- und Umweltaspekten

Unter dem Motto „Niederschlagswasser, aber mit Sicherheit“ und dem Gesichtspunkt der Partizipation lässt sich das Projekt in die Bevölkerung kommunizieren. Das trägt auch zum Verständnis für die vorliegenden Gefährdungen bei, verbessert die allgemeine Sicherheit und ruft ein neues Umweltverständnis hervor.
Unbelastetes Niederschlagswasser aus den versiegelten Einzugsgebieten kann als Löschwasser zum Brandschutz aufgewertet, zur Kanalreinigung verwendet und im Wasserkreislauf dem Gewässer im Sinn eines Multifunktionellen Regenwassermanagements abflussverzögert und daher unschädlich abgeschlagen werden. Darüber hinaus kann es durch oberflächennahe Versickerung über die belebte Oberbodenschicht zur Anreicherung von Grundwasser dienen.
Weiterhin kann das Verteilungsnetz der Wasserversorgungsanlagen künftig verbrauchsabhängig zum Schutz vor Stagnation ausgelegt und ohne kostenintensive Netzspülungen zur Einhaltung der Hygienebedingungen für Trinkwasser als Lebensmittel Nr. 1 wirtschaftlich betrieben werden. Zudem werden Druckschwankungen mit daraus resultierender Beschädigung des Rohrleitungsnetzes der Trinkwasserversorgung während der Löschwasser- entnahme im Brandfall vermieden.

Fazit

Infolge von Klimawandel und Bevölkerungsrückgang sind die bislang angewandten technischen Systeme der Siedlungswasserwirtschaft verbesserungsbedürftig. Die Anlagen und der Betrieb müssen daher nachhaltig optimiert werden. Aufgrund der bislang geringen technischen Flexibilität der Abwasserentsorgung und Trinkwasserversorgung sind multifunktionelle Integrationsansätze zwingend notwendig, um mittels Planung und praktischer Umsetzung zukunftsfähige Wasserinfrastrukturen zu generieren. Daher wurden innovative Lösungsansätze zur Implementierung in der Regenwasserbewirtschaftung mit Synergieeffekten für die Abwasserbeseitigung und der Trinkwasserversorgung mit Gewässerschutz erarbeitet. Diese können in Hinblick auf die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen auch praktisch umgesetzt und an die Örtlichkeiten mit geringem Aufwand angepasst werden.
Die Projektkonzeption enthält exemplarische Maßnahmenvorschläge zur Modernisierung und Optimierung der Abwasserbeseitigung in Neubaugebieten, Gewerbegebieten, Tourismus- und Freizeiteinrichtungen sowie auch baulichen Anlagen im Bestand. Es werden Möglichkeiten mit Alternativen zur multifunktionalen Nutzung von Niederschlagwasser in urbanen Siedlungsgebieten unter Reduzierung der Abflussspitzen von Abwassermengen mit Regenwasserrückhaltungen an Vorflutern (Vermeidung von urbanen Sturzfluten durch Überstauereignisse der Abwassersysteme) aufgezeigt. Durch die Modernisierung einer geordneten Abwasserbehandlung im ländlichen Raum lassen sich Umweltgefährdungen vermeiden. Durch die Reduzierung hydraulischer Belastungen wird der Gewässerschutz durch Retention von Niederschlagswasser während des Regenereignisses kompensiert. Nach Niederschlägen kann der Wasserabfluss von Gebieten mit hohem Versiegelungsgrad und Bebauungsdichte über das Ableitungssystem übermäßige hydraulische Belastungen für die Wasserläufe mit erheblichen Folgen für die Gewässerökologie durch die stoßartige Ablaufbeschleunigung darstellen. Das Regenwasser der Niederschläge muss daher durch Planungsstrategien des integrierten Regenwassermanagement mit einem zusammenhängenden, funktionsfähigen und wirkungsvollen Netzwerk naturnah und dezentral bewirtschaftet werden und an die extremen Witterungsverhältnisse mit einhergehenden Starkregenniederschlägen angepasst werden, um kapitale Schäden zu vermeiden.
Unter Anwendung des Regenwasserbewirtschaftungskonzeptes können turnusmäßige Wartungen durch Spülfahrzeuge im Kanalnetz deutlich reduziert werden bzw. durch den Selbstreinigungseffekt teilweise entfallen (Kosteneinsparung Unterhaltungsleistungen).

Darüber hinaus kann das kostenlose Niederschlagswasser zusätzlich zur örtlichen Löschwasservorhaltung für den Brandschutz genutzt werden. Die Trinkwasserhygiene in den Verteilungsleitungen der Wasserversorgung wird durch die Systemtrennung gewährleistet und Netzspülungen sind zukünftig aufgrund reduzierter Leitungsdimensionierungen nicht mehr notwendig und die Ressourcen von aufbereitetem Trinkwasser werden zusätzlich geschont.
Weiterhin wird die örtliche Löschwasserversorgung durch netzunabhängige Entnahmestellen mit Netztrennung vom Trinkwasserverteilungssystem (Unterirdische Löschwasserbehälter zur Regenwasserspeicherung mit Retention) erweitert. Infolge der Zielnetzplanung der Wasserversorgung durch nutzungsabhängige Faktoren wird die Stagnation von Trinkwasser mit geringer Wasserdurchsatzrate aufgrund des demografischen Wandels vermieden. Bei Neuplanungen bzw. Modifikationen von Bau- und Gewerbegebieten können darüber hinaus wasserwirtschaftliche Interessen mit Synergieeffekten unter multifunktionellen Gesichtspunkten nach dem Stand der Technik erzielt und ein nützlicher Beitrag zum Umweltschutz mit Ressourcenschonung geleistet werden.

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