Ornamentale Tradition neu interpretiert

Freiform-Tragwerk für die neue Cambridge Mosque

Deutsches Ingenieurblatt 05/2018
Aspera, Inc.
Baukultur

In Cambridge entsteht eine Moschee, deren Innenraum Assoziationen an einen Paradiesgarten weckt – mit Bäumen, deren Astwerk sich zu einem tragenden und schirmenden Gewölbe ausbreitet. Die aufgehenden Träger der insgesamt 30 Stützen verflechten sich zu Mustern, die tradierte Bauformen des Moscheebaus aufgreifen, hier aber in moderner Bauweise verwirklicht werden.

Die neue Großmoschee, das New Mosque project, entsteht derzeit an der Mill Road von Cambridge und wird als Herzstück einen Gebetssaal für 1000 Gläubige beherbergen. Allein diese Zahl ist beeindruckend, dabei liegt die eigentliche Besonderheit in der ungewöhnlichen Konstruktionsweise des Gebäudes: Oberhalb der Tiefgarage wird das Projekt aus vorgefertigten Holzbauteilen errichtet. Die in jeder Hinsicht europäisch-modern geprägte Bauweise und Materialität verbindet sich dabei ungezwungen und bruchlos mit der traditionellen, vom Islam inspirierten Formensprache zu einem harmonischen Ganzen.

Seinen Kulminationspunkt findet das Miteinander beider Welten im freigeformten Dachtragwerk, das den Raumeindruck sowohl im rund 8,50 m hohen Gebetssaal als auch im etwas niedrigeren Eingangsbereich prägt. Der Entwurf spielt hier mit dem Motiv von Bäumen einer Oase, deren aufgehende und sich miteinander verflechtenden „Äste“ das tragende Gewölbe bilden und zugleich eine atemberaubende Raumatmosphäre des Beschirmt- und Geborgenseins erzeugen.
Schon im Massivbau wären die vielfachen, zweisinningen Rundungen und Verschlingungen eines solchen Gewölbes eine erhebliche Herausforderung gewesen. Hier wurden sie ganz im Sinne des Konzepts der „ökologischen Moschee“ aus mehrfach gekrümmten Fichten-Brettschichtholzträgern hergestellt. Neben den anspruchsvollen holzbautechnischen Lösungen war auch eine logistische Aufgabe zu lösen, denn die Bauteile des Tragwerks sowie alle Wände, Dächer und Decken wurden in der Schweiz vorgefertigt und nach einem genau getakteten Zeitplan per Lkw und Fähre nach England gebracht.

Vollständiges parametrisches Digitalmodell
Gerade das Urwüchsige und scheinbar Wilde des Dachtragwerks erforderte ein hohes Maß an Ordnung und Organisation. Deshalb wurden Digitalisierungsexperten mit der Entwicklung eines detaillierten parametrischen CAD-Modells der Holzkonstruktion beauftragt. Ausgehend von den Entwurfszeichnungen der Planer entstand so in enger Zusammenarbeit von Holzbauern, Digitalisierungsexperten sowie den Ingenieuren das komplett digitalisierte Vorfertigungs- und Montagekonzept der Konstruktion.

Die Form wurde so modelliert, dass der Gewölbeschub an jeder Stelle optimal ausgenutzt werden kann, was vergleichsweise kleine und vor allem an jeder Stelle gleiche Trägerquerschnitte von 160 × 250 mm ermöglichte. Gleichzeitig konnte die Rotationssymmetrie der Trägersegmente rund um die Stützen gewahrt werden, wodurch sich in der Produktion die Zahl der Gleichteile erhöhte und trotz der freien Form eine Fertigung mit rationellen Losgrößen möglich wurde. Auf diese Weise ließen sich die insgesamt 2746 Segmente auf nur 145 unterschiedliche Bauteiltypen reduzieren, die ihrerseits auf nur 23 verschiedenen Typen von Brettschichtholz- Rohlingen basierten.
Diese Rohlinge hatten es allerdings in sich: Das Holzbauunternehmen musste mit geraden, aber auch mit einfach und sogar zweifach gekrümmten Ausgangselementen arbeiten, die alle 5-achsig gefräst wurden. Das erforderte eine sorgfältige Produktionsstrategie und vor allem eine Weiterentwicklung der Software, die in Teilen quasi neu geschrieben wurde. Der Aufwand hat sich aber gelohnt. Nach dem Überspielen des Codes auf die CNC-Fräsen wurde nur noch ein Mann für die Überwachung der weitgehend automatisierten Prozesse benötigt.
Sorgfältig zu planen waren außerdem die Verbindungen der Segmente in der komplexen Tragwerkstruktur. Für die Hirnholzanschlüsse in Längsrichtung der Träger kamen u. a. Schlitzbleche und Idefix-Verbinder zum Einsatz. Querstöße wurden verblattet und verschraubt, jedoch nicht verleimt. In extrem gekrümmten Bereichen musste das Einfahren der Blattverbindungen sogar vorab digital simuliert werden, um die Geometrie der Montagesequenz zu überprüfen.

ProjektdatenProjekt: Neubau Cambridge MoscheeBauherr: Muslim Academic Trust, CambridgeArchitekt: Marks Barfield Architects, LondonHolzbau-Planung und Projektleitung Holzbau: Blumer-Lehmann AG, GossauHolzbau-Ingenieur: SJB Kempter Fitze, EschenbachDigitale Planung: Design-to-Production GmbH, Zürich

Logistik als Schlüssel für reibungslose Montage
Insgesamt 80 Lastwagenladungen mit knapp 3800 einzelnen Bauelementen legten die Strecke von Gossau im Kanton St. Gallen ins rund 1500 km entfernte Cambridge zurück. Die Logistik musste die Lkw-Transportbedingungen in verschiedenen Ländern Europas und auf der Fähre zwischen Rotterdam und Hull berücksichtigen. Noch wichtiger waren jedoch die richtige Zuordnung, Beschriftung und Reihenfolge aller Teile, denn nur, wenn jedes Bauelement zum richtigen Zeitpunkt auf der Baustelle eintrifft, funktioniert die Montage nach Plan. Bei einem sieben Tage dauernden Transport kann ein eventuell fehlendes Teil nicht mal eben so mit einem Anruf in der Firma nachbestellt werden. Das war aber auch nicht nötig, denn die Lade- und Lieferpräzision entsprach dem sprichwörtlichen Schweizer Uhrwerk. Die reibungslose Organisation und in der Folge die Montage ohne jede Unterbrechung war in den Augen der Projektbeteiligten neben der beeindruckenden Technologie und Architektur ein wesentlicher Teil des Erfolgs. Das war Voraussetzung für die nur ein knappes halbes Jahr dauernde Bauphase der gesamten Holzkonstruktion.
Während die aufgehenden Stützen aus nur wenigen, weitgehend vormontierten Einzelteilen bestehen, waren für die verflochtenen Gewölbe zwischen ihnen etwa 70 bis 80 Holzteile auf dem Boden zusammenzusetzen und zu verschrauben, die dann wie eine Krone mit einem Kranhub zum Einbauort gehoben wurden. Für den Zusammenbau lagen aus dem parametrischen Modell abgeleitete Montagepläne vor. Sie beruhten auf einer genau geplanten, logischen Nummerierung aller Einzelteile, die zu einer sich selbst erklärenden, fast intuitiven Reihenfolge führte. Wegen der Rotationssymmetrie rund um die 30 baumartigen Stützen wiederholten sich die Abläufe zudem, was die Arbeiten zusätzlich beschleunigte. Besondere Sorgfalt verlangte die Auswahl des jeweils richtigen Verbindungsmittels, waren doch insgesamt rund 39.000 Schraubverbindungen verschiedenster Art und Dimension zu berücksichtigen.

Tageslicht über Kuppel und Oberlichter
Die Besucher der Moschee erleben das Tragwerk mit seinem regelmäßigen Grundrissraster von 8,10 x 8,10 m als Inszenierung der besonderen Art: Sie treten zunächst in den etwas niedrigeren und durch Trennwände unterteilten Eingangsbereich ein, in dem sich ein Café und Begegnungsräume befinden. Erst danach erreichen sie den sichtbar höheren und ungeteilt großzügigen Gebetssaal mit seinen 16 Stützen in harmonischer 4-mal-4-Anordnung.Für die natürliche Beleuchtung des Raums mit Tageslicht ist über jeder der aufgehenden Stützen ein Oberlicht angeordnet, wobei der Lichteinfall dem Tragwerk Kontrast und eine fast grafische Wirkung verleiht. Gekrönt wird der Saal von einem weithin sichtbaren 9 m hohen Dom, der ebenfalls auf dem Boden montiert und dann mit dem Kran auf die Deckenkonstruktion gehoben wurde.
Die seitlich an den Dom anschließenden, insgesamt rund 2000 m² großen Flachdachbereiche entstanden als Holz-Rippendecken, die Außen- und Innenwände überwiegend als Holzrahmenkonstruktionen. Den raumseitigen Abschluss bilden jeweils Dreischichtplatten, die einen weißen Brandschutzanstrich erhalten und im Innenraum eine helle und freundliche Atmosphäre erzeugen. In den Baukörper integriert sind außerdem drei Treppen sowie zwei Wohnungen, die mit Brettsperrholzwänden und -decken ausgeführt wurden.
So besteht tatsächlich die komplette Kon-struktion der Moschee aus Holz. Der natürliche Werkstoff prägt den architektonischen Gesamteindruck und schafft zudem eine Atmosphäre der Anregung und Inspiration. Tradierte geometrische Muster des Moscheebaus verbinden sich mit einer modernen nachhaltigen Bauweise, was – in Verbindung mit der geplanten photovoltaischen Energiegewinnung und Regenwassergewinnung – die Bezeichnung als erste ökologische Moschee Europas rechtfertigt. Lediglich die kleinteilig strukturierte Klinkerfassade durchbricht den Materialkanon des Holzes. Diese wird zusammen mit der künftigen Vergoldung der Kuppel voraussichtlich Anfang 2019 die Funktion und Nutzung des Gebäudes nach außen klar kommunizieren.

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