Personenschutz und Werterhalt im Humboldt Forum

Gebäudeautomation für sicheren und klimaschützenden Museumsbetrieb

Deutsches Ingenieurblatt 03/2023
Hochbau
Bildung, Forschung und Kultur
Objekte
Brandschutz und Sicherheitstechnik

Der größte Anteil an Todesfällen und eine Vielzahl von Sachschäden bei Gebäudebränden sind auf aggressiven und toxischen Rauch zurückzuführen. Aus diesem Grund kommen digitalen Entrauchungssystemen insbesondere in öffentlichen Gebäuden eine wachsende Bedeutung zu.

In den ersten 365 Tagen seit seiner Eröffnung im Juli 2021 kamen rund 1,5 Millionen Gäste ins Humboldt Forum, um unter anderem die etwa 20.000 ausgestellten Exponate, darunter Kunst-, Wissenschafts- und Kulturschätze aus aller Welt, zu besichtigen oder eine der zahlreichen Veranstaltungen zu besuchen‑ Die Teilrekonstruktion des ehemaligen Berliner Schlosses stammt aus der italienischen Architektenschmiede von Franco Stella. Er erschuf im Auftrag des Bundestags ein Gebäude, das von Kontrasten nur so strotzt. Sein äußeres Erscheinungsbild zeigt eine Begegnung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, während sich im Innern auf über 40.000 m² Nutzfläche Wissenschaft, Kunst, Kultur und Bildung treffen. Nach über acht Jahren Bauzeit und Kosten von mehr als 640 Millionen Euro konnten die vier Träger – die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit den Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin, die Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Humboldt Labor sowie das Stadtmuseum Berlin mit der Ausstellung Berlin Global – den neuen Stadtraum in Berlins historischer Mitte mit Leben füllen.

Um Besucher und die ausgestellten Objekte zu schützen, hat Kieback&Peter ein BMS(Gebäudeautomation) im Humboldt Forum installiert, das die Heizungs-, Lüftungs- und Kälteanlagen (HLK) steuert und den Brandschutz durch ein wohldurchdachtes Entrauchungssystem ergänzt. Durch den Einsatz einer intelligenten Gebäudeautomation ist ein individuell angepasster, energieeffizienter, wirtschaftlicher und sicherer Betrieb der technischen Gebäudeausrüstung gewährleistet. Die Komplexität des Projekts erforderte eine smart konzipierte und den hohen Anforderungen gerecht werdende MSR (Mess-Steuer-Regel- und Leittechnik). Hierfür war die Installation von etwa 70 Automationsstationen DDC4000 und 285 Schaltschrankfeldern an insgesamt 46 Automationsschwerpunkten (ASP) im Humboldt Forum notwendig. Darüber hinaus installierten die Gebäudeautomationsexperten etwa 15.000 physikalische und 15.000 kommunikative Datenpunkte sowie 9 Etagenverteiler und etwa 1.900 lokale Vorrangbedienebenen (LVB).

Entrauchungsanlage mit hohen Sicherheitsanforderungen

Feuer und Rauch gehören zu den größten Gefahren, denen Menschen in Gebäuden ausgesetzt sind. 80 Prozent aller Brandopfer verbrennen nicht – sie ersticken am toxischen Brandrauch aus Kohlenmonoxid und Cyanid. Hinzu kommt eine Verringerung der Sichtweite oftmals in weniger als drei Minuten, die zur Orientierungslosigkeit führen kann. Um Menschen und auch wertvolle Gegenstände zu schützen, ist eine Gewährleistung der sicheren automatisierten Entrauchung im Brandfall also unabdingbar, insbesondere in öffentlichen Gebäuden mit hohen Besucherzahlen und einzigartigen Kulturobjekten.

Was den Schutz im Brandfall anbelangt, ist im Humboldt Forum eine SIL2-Zertifizierung (Sicherheits-Integritätslevel) der ASi-Controller, die mit den Entrauchungsklappen verbunden sind, vorgeschrieben. Das Sicherheits-Integritätslevel, auch Sicherheitsanforderungsstufe genannt, wird zur Beurteilung elektrischer, elektronischer bzw. programmierbar elektronischer (E/E/PE)-Systeme eingesetzt und beurteilt die Zuverlässigkeit von Sicherheitsfunktionen. Aus dem angestrebten Level ergeben sich die sicherheitsgerichteten Konstruktionsprinzipien, die eingehalten werden müssen, um das Risiko einer Fehlfunktion zu minimieren. Da die Gebäudeautomation im Humboldt Forum auf DDC(Direct Digital Control)-Controllern basiert und sich die Kommunikationsmittel von ASi-Reglern (Modbus-Protokoll) und DDC (BACnet) grundlegend unterscheiden, haben die Gebäudeautomationsspezialisten ein „Übersetzungs“-Programm im Gateway geschrieben, damit die ASi-Regler mit dem BMS kommunizieren können.

Von den installierten ASP im Humboldt Forum haben die Experten allein sechs für die Entrauchung eingerichtet. Um die Sicherheit der Entrauchungskette zu gewährleisten, ist das Entrauchungssystem kanalmäßig autark und vom Lüftungssystem unabhängig verbaut. Dazu wurden in den Entrauchungskanälen diverse Entrauchungsklappen installiert. Damit sich im Brandfall das Feuer und der Rauch nicht unkontrolliert im Gebäude ausbreiten, erhielt das Lüftungssystem außerdem etwa 2.300 Brandschutzklappen.

Die Brandfallmatrix gibt vor, wie die einzelnen Entrauchungsbereiche eingeteilt werden. Sie bestimmt auch die Steuerungsmechanismen der Brandschutzklappen und Entlüftungsgeräte. Entdeckt die Brandmeldezentrale (BMZ) einen Brand im Gebäude, übergibt sie die Informationen an die ASi-Controller, die die Entrauchungsklappen und die Entrauchungslüfter ansteuern. Zudem werden über die DDC die Brandschutzklappen geschlossen und die Klima- und Lüftungsgeräte abgeschaltet. Über ein spezielles Entrauchungstableau kann die Feuerwehr außerdem jeden einzelnen Entrauchungsbereich und benachbarte Bereiche manuell ansteuern.

Wertvolle Objekte erfordern anspruchsvolle Raumautomation

„Was die HLK-Technik betrifft, ist das Projekt Humboldt Forum nicht nur allein durch seine Größe mit einer Bruttogeschossfläche von mehr als 96.000 m² sowie rund 100.000 m³ eingebrachtem Beton und 20.000 t verbautem Stahl ein sehr anspruchsvolles Projekt“, erklärt Michael Thoma, Leiter des Technischen Gebäudemanagements im Humboldt Forum. Auch durch die Unterschiedlichkeit der Objekte und ihre diversen Anforderungen an Raumtemperatur und Raumfeuchte sei das Universalmuseum eine echte Herausforderung, so Thoma weiter. Zahlreiche der ausgestellten Kostbarkeiten weisen eine große Diversität bezüglich ihrer Zeit- und Raumherkunft auf, wie z. B. das mexikanische Baumwolltuch „Lienzo Seler II“ aus dem 16. Jahrhundert, die Wandgemälde der Kizil-Höhle (6.-7. Jahrhundert) aus Xinjiang in China oder der hawaiianische Federmantel (vor 1819). Um diesen speziellen und unterschiedlichen Raumanforderungen gerecht zu werden, die nur geringfügigen Schwankungen unterliegen dürfen, ist jeder Ausstellungsbereich mit einer eigenen Vollklimaanlage (RLT-Anlage) ausgestattet. Zusammengenommen sind im neuen Museum auf der Spreeinsel 41 RLT-Anlagen verbaut.

Volle Kontrolle durch BMS-Realzeitdaten

Sensoren wie Temperatur- und Feuchtefühler messen die Werte in den Ausstellungsräumen. Anschließend sammeln Controller über Ein- und Ausgangsmodule die Informationen und sorgen so für angepasste Raumwerte, hohe Synergieeffekte, mehr Komfort und eine ökonomische Betriebsführung. Die einzelnen ASP, in denen die DDC verbaut sind, laufen im Hochleistungs-BMS zusammen, das die Informationen der DDC sammelt, visualisiert und bedienbar macht und eventuelle Stör- und Alarmmeldungen verarbeitet. Aber auch direkt vor Ort können Facility-Management-Mitarbeiter die DDC manuell über einen Farbtouchscreen bedienen und so die speziell auf das Universalmuseum zugeschnittenen Regel-, Optimierungs-, Steuerungs- und Überwachungsfunktionen bei Bedarf nutzen. Auf die multitaskfähige Echtzeitdarstellung der BMS-Software kann das Team außerdem durch das Netzwerk über mobile Endgeräte von überall im Gebäude zugreifen und Werte bzw. Funktionen bei Bedarf anpassen.

Das Temperatur- und Feuchtemanagement, insbesondere zur Erwärmung nach dem Entfeuchtungsprozess, übernehmen die in den RLT-Anlagen eingebauten Heizregister. Im Anschluss sind Konvektoren für die Feinarbeit zuständig. Entsprechend der Regel-abweichung wird die Zuluft über die zuständigen Register entweder erwärmt, abgekühlt oder entfeuchtet. Aktoren, wie externe Be-feuchter, sorgen für den passenden Feuchteanteil in der Raumluft, während CO2-Fühler die Belastung der Abluft messen. So regelt das Raumluftmanagement den Außenluftanteil der RLT-Anlage. Notfalls könnte das Facility Management sogar den Zuschauerstrom drosseln, um die konservatorischen Werte adäquat zu erhalten. Nicht nur funktional, auch zeitlich können die Vollklimaanlagen sowie die Teilklimaanlagen der Konferenz- und Sozialräume über das BMS gesteuert werden.

Kälte und Wärme durch Multivalenzsystem

Die energetische Bewirtschaftung des Humboldt Forums garantiert Ausfallsicherheit, Spitzenlastsicherung und eine breit gefächerte Bedarfsanpassung über ein Multivalenz-Konzept gesteuert durch die Gebäudeautomation. Allein auf der Kälteseite stehen sechs Kälteerzeuger bereit, um das außergewöhnliche Gebäude mit Hoch- und Niedertemperaturkälte zu versorgen: jeweils zwei Kälteverdichtermaschinen sowie zwei Wärmepumpen. Neben der regenerativen Freien Kühlung, die bei ausreichend kalter Außentemperatur über Rückkühler auf dem Dach für beide Kältebereiche erfolgt, ist der Eisspeicher das energetische i-Tüpfelchen zur Stromentlastung im Sommer. Er kann zu Hitzepeak-Zeiten abgetaut werden und wird nachts über die Kältemaschinen wieder mit Eis „beladen“.

Die beiden Wärmepumpen ermöglichen neben der geothermischen Wärmenutzung auch die Wärmeeinlagerung und erzeugen Niedertemperaturkälte für die Klimaanlagen. Sie versorgen die Heizkreise mit einer Vorlauftemperatur von rund 45 Grad Celsius, also beispielsweise für die Fußbodenheizung, die das Atrium erwärmt. Der restliche überwiegende Teil der Wärmeversorgung (Raumwärme mit Vorlauftemperaturen von über 45 Grad Celsius sowie Trinkwarmwasser) erfolgt über einen Fernwärmeanschluss.

Fazit

Beim Betrieb von Gebäuden stehen nicht nur die funktionale Zuverlässigkeit – gerade auch im Hinblick auf multivalente Energiesysteme –, Ökonomie, Ressourcen- und Klimaschutz im Fokus, auch die Sicherheit von Personen und der Erhalt wertvoller Objekte bei einem Störfall wie zum Beispiel einem Brandereignis rücken in den Vordergrund. Hierfür ist die Installation intelligenter Gebäudeautomationslösungen in vielen Bereichen heute unabdingbar: Sie dienen als effektives Instrument zur Führung eines modernen Gebäudemanagements. Durch die bereitgestellten Daten des BMS können energie- und kostensparende Maßnahmen abgeleitet, konservatorische Raumwerte und Prozesse optimiert, Fehler behoben und im Brandfall entraucht und das Feuer eingedämmt werden.

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