Potenziale nutzen: Die Zukunft von Gebäuden sichern

Energieeffizienz und Klimaschutz

Deutsches Ingenieurblatt 10/2022
Energie, Umwelt, Betriebssicherheit
Bestandsgebäude müssen schnellstmöglich energetisch optimiert werden. Aber auch bei Neubauten sollten heute schon Standards zugrundeliegen, die den Erfordernissen der Jahre 2045/2050 entsprechen. Grund dafür sind die Vorgaben des Europäischen Green Deals und des deutschen Klimaschutzgesetzes sowie die massiv steigenden Energiepreise. Dieser Beitrag zeigt auf, wie pragmatische Lösungen den Energieverbrauch effektiver senken können.

Ein Beschluss des Pariser Klimaabkommens sieht vor, den Klimawandel zu bremsen und seine Auswirkungen abzufedern. Die Emissionen von Treibhausgasen (THG) sind daher so schnell wie möglich mit den zur Verfügung stehenden Techniken zu reduzieren. Zudem hat die EU sich mit dem Europäischen Green Deal ein rechtlich bindendes Ziel für die Klimaneutralität bis 2050 gesetzt. Für den Gebäudesektor bedeutet das, einen energieeffizienten und dekarbonisierten Bestand zu erreichen. Das deutsche Klimaschutzgesetz legt folgende Zielwerte fest: Der Gebäudesektor muss die THG-Emissionen im Jahr 2030 gegenüber dem Referenzjahr 1990 um bis zu 67 % senken. Im Jahr 2050 sollen dann die primärenergetischen Zielwerte für den nicht erneuerbaren Anteil für Wohngebäude bei 40 kWh/(m²*a) und für Nichtwohngebäude bei 52 kWh/(m²*a) liegen. Diese Werte sind durch die Novelle des Klimaschutzgesetzes im Mai 2021 für den Gebäudesektor gesetzlich festgeschrieben worden und bereits 2045 zu erreichen. Bei jährlichen Verstößen gegen die Grenzwerte ist seitens der Bundesregierung ein Sofortprogramm aufzulegen. Ein zusätzlicher Treiber für mehr Effizienz im Gebäudesektor sind die aktuell und vermutlich auch langfristig massiv steigenden Energie- und Rohstoffpreise. 

Gap-Analyse zum klimaneutralen Gebäude
Im Gebäudeenergiegesetz (GEG) wird ein Referenzgebäude für Neubauten definiert. Dabei handelt es sich um das gleiche Referenzgebäude wie im Jahr 2009, das bislang nur einmal eine Verschärfung um 25 % erfahren hat. Dieses Gebäude ist aber nicht innovativ und auch nicht mit allen zur Verfügung stehenden technischen Lösungen ausgestattet. Um die energie- und klimapolitischen Ziele zu erreichen, müssten nach vorsichtigen Schätzungen alle Gebäude – sowohl Neubauten als auch Bestandsgebäude – bis 2045 den Effizienzhaus-Standard 55 erfüllen. Referenz ist hierbei das Effizienzhaus 100 gemäß der Energieeinsparverordnung (EnEV). Das Effizienzhaus 55 benötigt, verglichen mit dem Referenzgebäude, nur 55 % der Primärenergie. Der Transmissionswärmeverlust beträgt 70 %. Damit ist der bauliche Wärmeschutz um 30 % besser. 

Insbesondere die Neubauten verfehlen die Möglichkeit, den Effizienzhaus-Standard 55 deutlich zu unterschreiten. Denn das wäre notwendig, um den erforderlichen Puffer in Bezug auf alle Gebäude aufzubauen. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus: Zwar ist zwischen 2000 und 2010 der spezifische Brennstoff- und Fernwärmebedarf um 26,4 % gesunken. Die Reduktion zwischen 2010 und 2019 betrug aber nur noch 2 %, was durch die gleichzeitige Erhöhung der Wohnfläche zunichte gemacht wurde. Der reale Wärmebedarf ist damit sogar gestiegen. Auch die vorgegebene Sanierungsquote von 2 % im Bestand wird nicht eingehalten, sondern liegt bei circa 1 %. All dies reicht nicht aus, um die genannten Ziele bis 2045 zu erreichen. 

Referenzgebäude nachschärfen und Möglichkeiten ausschöpfen
TÜV Süd empfiehlt, das im GEG definierte Referenzgebäude in folgenden wesentlichen Punkten nachzuschärfen: 

  • bessere Dämmungen an der Gebäudehülle
  • in Richtung eines Passivhauses
  • höherer Wärmerückgewinnungsgrad bei den Lüftungsanlagen
  • stärkere Nutzung der freien Kühlung
  • eine zum großen Teil erneuerbare Wärmeversorgung
  • Optimierung und Vernetzung der Technischen Gebäudeausrüstung (TGA) und der Gebäudeleittechnik (GLT)

Einerseits sollten alle Möglichkeiten für Optimierungen identifiziert und ausgeschöpft werden. Andererseits sind aber auch bestimmte Rahmenbedingungen notwendig, so beispielsweise ein rechtlich vereinfachtes Vorgehen bei der Einbindung dezentral erzeugter Energie in das Gebäude. Zudem muss der Ausbau der Fernwärme-Kältenetze zur Sektorenkopplung beschleunigt werden sowie eine weitere Sensibilisierung der Nutzer hinsichtlich des Energieverbrauchs erfolgen.  

In den Gesetzen wird jeweils auf den operativen Strom- und Wärmeverbrauch fokussiert. Berücksichtigt werden aber nicht die für den Neubau entstehenden THG-Emissionen. Denn für die Konstruktionen, die zu einem großen Teil aus Beton und Stahl bestehen, fallen hohe THG-Emissionen an, die mithilfe einer Lebenszyklusanalyse bilanziert werden können. Bei Neubauten kann der auch „graue Emissionen“ genannte Anteil von in Baumaterialien gespeicherten THG-Emissionen durchaus 30 bis 50 % der im Lebenszyklus auftretenden Emissionen ausmachen. Deshalb sollte beim Neubau der Fokus besonders auf der Materialauswahl liegen. Im Bestand hingegen ist die energetische Sanierung und die Optimierung in den Vordergrund zu stellen. 

Maßnahmen zur Erreichung der Ziele
Der Gebäudesektor braucht pragmatische Lösungen, um eine möglichst schnelle Reduktion bei den Treibhausgasen zu erreichen. Folgende Maßnahmen sollten sich laut TÜV Süd in diesen vier Säulen wiederfinden:
I. Einsparen von THG-Emissionen durch Verringerung des Energiebedarfs 
II. Ersetzen der fossilen Energieträger durch regenerative Energien
III. Einsparen von Ressourcen und Einsatz nachhaltiger und recyclebarer Rohstoffe IV. Kopplung des Gebäudes mit anderen Sektoren 

Diese Maßnahmen sollten bei jeder weiteren Investitionsentscheidung im Gebäudesektor berücksichtigt werden, unabhängig davon, ob es sich um einen Neubau, eine Modernisierung im Bestand oder einer Einzelmaßnahme handelt. Aus Sicht von TÜV Süd sollten Gebäude, die heute erstellt werden, bereits dem geforderten Standard für 2045/2050 entsprechen. Denn solche Gebäude werden hinsichtlich der THG-Emissionen in den nächsten drei Jahrzehnten keine umfangreichen Anpassungen benötigen, zukunftsfähig sein und wertstabil bleiben. 

Digitale Werkzeuge und Energiemonitoring einbinden
Digitale Werkzeuge und Prozesse können wesentlich dazu beitragen, klimapolitische Maßnahmen und Vorgaben umzusetzen. Auch beim Einsatz von Instrumenten wie Building Information Modeling (BIM) und bei der Erstellung von Ökobilanzen muss der gesamte Lebenszyklus des Gebäudes betrachtet werden. BIM kombiniert mit der digitalen Ökobilanz ermöglicht zu einem frühen Zeitpunkt eine optimierte Variantenbetrachtung, gerade hinsichtlich der Materialverwendung und der Fassadeneigenschaften. Mit der BIM-Methode können Neubauten und aufwendige Sanierungen ganzheitlich gedacht und optimiert werden, da sich bereits bis zu 30 % der im Lebenszyklus entstandenen THG-Emissionen in den grauen Emissionen befinden.  

Auf der anderen Seite ist es wichtig, den Gebäudebestand zu optimieren, da über 85 % der Gebäude im Jahr 2045 beziehungsweise 2050 noch bestehen werden und deren Emissionen einen massiven Einfluss auf die ganzheitliche Bilanz haben. Die Aufnahme des Ist-Zustands in Form eines Energiemonitorings oder einer Environmental, Social und Governance (ESG) Due Diligence liefert eine belastbare Datenbasis, um Einsparpotenziale zu identifizieren und geeignete Optimierungen vorzunehmen. Die TÜV-SÜD-eigene Entwicklung des Technical Monitorings ermöglicht es, in diesem Prozess unterstützend zu wirken, indem die Performance von Heizung, Lüftung, Sanitär und Kühlung (HLSK) gemessen und optimiert wird. Über die ganzheitliche Bewertung der verschiedenen Optionen können Einzelmaßnahmen mit einer Zeitschiene hinterlegt werden, um den Gebäudebestand kontinuierlich zu dekarbonisieren und die Konformität mit den Anforderungen sicherzustellen. 

Gebäudehülle und Anlagentechnik verbessern
Ziel sollte die Erreichung des Passivhausstandards sein, der 80 bis 90 % Einsparungen ermöglicht. Die Dämmung verringert auch den Stromverbrauch von Lüftungsanlagen, da diese nur noch die Frischluftzufuhr für eine hohe Raumluftqualität liefern müssen, statt große Wärme- und Kältelasten zu decken. Zur Senkung des Energiebedarfs sind verschiedene Maßnahmen bei der Versorgungsund Übertragungstechnik von Wärme, Kälte und Frischluft möglich. Die Kombination aus Photovoltaik( PV)-Anlagen und Wärmepumpen beispielsweise kann erneuerbare Wärme/ Kälte erzeugen. Dazu wird der im Sommer erzeugte Strom mittels PV-Anlagen genutzt, um Wärmepumpen zur Erzeugung von Kühl-/ Heizenergie einzusetzen. Eine weitere standortspezifische Kombination mit einer Wärmepumpe kann auch die oberflächennahe Geothermie sein. Diese kann mittels Brunnen oder Erdwärmekollektoren die entsprechende Wärme/Kälte im Sommer oder Winter bereitstellen. Bei erhöhtem Bedarf von Warmwasser ist der Einsatz von Solarthermie gegebenenfalls effizienter als die  Installation von PV-Anlagen. Bei Lüftungsanlagen sollte die Wärmerückgewinnung mindestens 80 % betragen. Die geförderten Luftmengen sind auf die hygienisch gewünschte Menge an Frischluft zu begrenzen. 

Sektorenkopplung vorantreiben
Die in Deutschland zur Verfügung stehende Primärenergie besteht überwiegend aus der solaren Einstrahlung und der Windkraft. Die Solarstrahlung kann mittels Solarthermie den Wärmesektor erneuerbarer gestalten. Die Umwandlung der Primärenergie in Strom hat den Vorteil, dass mit Strom alle anderen Sektoren versorgt werden können. Der Verkehrsund der Wärmesektor können also mittels Sektorenkopplung über Strom dekarbonisiert werden. Technologien hierfür sind die Elektrifizierung des Verkehrs sowie Power-to-X Lösungen. Unter Power-to-X wird die Umwandlung von Strom zu Gas, wie beispielsweise bei einer Elektrolyse von Wasser zu Wasserstoff, oder die Umwandlung von Strom zu Wärme mittels Wärmepumpen verstanden. Die Primärenergie aus Sonne und Wind ist fluktuierend, daher müssen zur Versorgungssicherheit entsprechende Speichermöglichkeiten und zur Effizienzsteigerung ein smartes Netz aufgebaut werden, das permanent Angebot und Nachfrage effizient verwaltet. Für den Gebäudesektor muss das Bewusstsein reifen, dass jedes  Objekt, im einfachsten Fall ein einzelnes Gebäude, mithilfe von smarten Netzen Wärme, Kälte und Strom als Verbraucher und Erzeuger aufnimmt oder einspeist. 

Sofortmaßnahmen nutzen
Es gibt Sofortmaßnahmen, um das Bestehende schnell zu optimieren. Das Einsparpotenzial durch bewusstes Nutzerverhalten beispielsweise liegt bei circa 5 %. Nutzern sollten die Einflussmöglichkeiten konkret aufgezeigt werden, um das Interesse am Energiesparen zu wecken. Ziel muss es sein, dafür zu sensibilisieren, wie mit einfachen Maßnahmen der Energieverbrauch signifikant gesenkt werden kann. Dazu zählen beispielsweise das stoßweise Lüften, die tageszeitabhängige Einstellung von Thermostatventilen, das Freihalten von Heizkörpern sowie die sparsame Nutzung von elektrischen Geräten. Der Einsatz von Smart Homes, die den Energieverbrauch tagesgenau aufzeichnen und die Laufzeiten einzelner Geräte und ihren Verbrauch darstellen, helfen Nutzern zu verstehen, wie die Energie verbraucht wird. 

Fazit
Beim Neubau sollten nur noch klimaneutrale Gebäude realisiert werden. Geeignete Maßnahmen dafür sind eine sehr gute Wärmedämmung mit Passivhausstandard sowie eigene Energieerzeugungssysteme und der Verzicht auf den Einsatz von fossilen Brennstoffen. Im Bestand sollte bei größeren Sanierungsmaßnahmen unbedingt die Gebäudehülle verbessert werden. Ebenso wichtig ist die Dekarbonisierung der Energieversorgung. Sofortmaßnahmen sind in erster Linie die Sensibilisierung der Nutzer und die Anpassung der Betriebsweise von Anlagen, beispielsweise bei den Temperaturen und Laufzeiten. Die Dekarbonisierung und die Klimaneutralität im gesamten Gebäudesektor sind nur mit dem Ausbau des Fernwärmenetzes sowie der Photovoltaik und Windenergie möglich.

Internet: www.tuvsud.com/advimo

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