Raumverluste oder Wärmebrücken sind vermeidbar

Raumverluste oder Wärmebrücken sind vermeidbar

Deutsches Ingenieurblatt 05/2022

Um die Klimaschutzziele bis 2030 zu erreichen, müssten die Emissionen im Gebäudebereich in Deutschland um mehr als 40 Prozent sinken. Doch wie soll das gelingen, wenn gleichzeitig drei Viertel der rund 240 Millionen Immobilien in Europa als energetisch ineffizient gelten? Moderne und nachhaltige Wärmedämmverbundsysteme (WDVS), die beim Bau oder der Sanierung von Gebäuden zum Einsatz kommen, haben unterschiedliche Vor- und Nachteile, die bei der Planung berücksichtigt werden sollten. Etwa, wenn es den Wärmeleitwert, die Recycelbarkeit und Platzfragen betrifft.

Für mehr Klarheit in Bezug auf WDVS sorgt seit November 2021 ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Duldungspflicht bei nachträglicher Wärmedämmung: Wer einen Altbau an der Grundstücksgrenze dämmt, darf damit bis maximal 25 Zentimeter in den Garten des Nachbars ragen. Bei der Planung von Neubauten gilt allerdings, dass die Wärmedämmung innerhalb der Grundstücksgrenzen bleiben muss. Dies hat unterschiedliche Konsequenzen für die an den Dämmungsarbeiten beteiligten Gewerke. Bauunternehmen müssen gemäß dem BGH-Urteils eine Neukalkulation aufstellen, die von der Art des Baus abhängt. Die unterschiedlichen Anforderungen für Alt- und Neubauten sind präzise zu berechnen und dann die passenden Wärmedämmstoffe auszuwählen. Seit gegen Ende 1950er-Jahre zum ersten Mal ein Wärmedämmverbundsystem in Deutschland eingesetzt wurde, hat die Branche zahlreiche Dämmstoffe mit unterschiedlichen Eigenschaften hervorgebracht. Sie alle haben zum Ziel, sowohl die Heizkosten als auch den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Doch nicht alle sind für jeden Einsatzzweck geeignet.

Dämmstoffe für den Einsatz in WDVS – die Klassiker
Ein synthetisch-organischer Dämmstoff, der seit den 1960ern verwendet wird, ist expandiertes Polystyrol (EPS), auch bekannt als Styropor. Der Dämmstoff-Klassiker ist sehr preisgünstig, leicht und langlebig – bis zu 40 Jahre und mehr. Er verfügt, abhängig von der Beschaffenheit der Dämmplatte, über einen Wärmeleitwert von 0,031 bis 0,040 Watt pro Meter und Kelvin (W/mK). Allerdings ist Polystyrol wegen einer Reihe von Eigenschaften umstritten. So entwickelt das Material im Brandfall giftige Dämpfe. Auch lässt es keine Feuchtigkeit durch, was dazu führen kann, dass sich in Innenräumen Schimmel und auf der Putzseite Algen bilden. Zudem ist die Entsorgung von EPS-Dämmstoffplatten, deren wichtigster Rohstoff Erdöl ist, nicht ganz unproblematisch.

Eine synthetisch-anorganische Alternative stellt Mineralwolle, zum Beispiel Stein- oder Glaswolle, dar. Sie bietet gute Wärmeleitwerte zwischen 0,035 und 0,040 W/mK. Zudem sind Mineralwolldämmplatten nicht brennbar, halten bis zu 50 Jahre und haben eine bessere Ökobilanz. Denn Steinwolle etwa lässt sich recyceln und neuer Steinwolldämmstoff kann daraus hergestellt werden. Allerdings müssen mineralische Dämmstoffe vor Feuchtigkeit geschützt werden, sonst büßen sie einen großen Teil ihrer Dämmeigenschaften ein.

Wenn Ökologie für Bauherren eine wichtige Rolle spielt, können Holzfaser-Dämmplatten das Mittel der Wahl sein, da sie sehr gut recycelt werden können. Dafür müssen Abstriche bei der Dämmleistung und dem Brandschutz – Baustoffklasse B2, also normal entflammbar – gemacht werden. Was die Wärmeleitfähigkeit angeht, liegen sie bei 0,040 bis 0,055 W/mK. Auch können sie nur dort verwendet werden, wo das Material nicht dauerhaft feucht wird. Bei sachgemäßem Einsatz haben sie eine vergleichbare Lebensdauer wie EPS.

Wenn Wärmedämmung eine Platzfrage ist
Wer effektiveren Wärmeschutz wünscht, hat zwei Möglichkeiten: Eine dickere Schicht des jeweiligen Dämmmaterials oder einen Dämmstoff zu wählen, der im Hinblick auf die Dämmung eine besonders gute Wärmeleitfähigkeit vorweist. Eine erhöhte Dämmstoffdicke ist der einfachere Weg, aber nicht immer gangbar. Zum einen, weil der BGH geregelt hat, dass die Nachbarn eine nachträgliche Dämmung bei einem Mehrfamilienhaus nur dulden müssen, wenn sie nicht mehr als 25 Zentimeter über die Grundstücksgrenze hinausragt. Bei Neubauten ist eine Überschreitung der Grundstücksgrenze ohnehin nicht vorgesehen. Zum anderen kann bei der Aufbringung auf die Fassade eine dicke Dämmschicht den architektonischen Gesamteindruck der Immobilie stören. Unter Umständen sind sogar der Ausbau des Dachüberstands oder eine Änderung der Anschlusssituation erforderlich, was mit Kosten verbunden ist. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass dickere – weil gedämmte – Mauern den Lichteinfall ins Innere minimieren und der Eindruck einer „Schießscharten-Optik“ entsteht. Muss innen gedämmt werden, macht die Raumsituation ohnehin besonders platzsparendes Dämmen erforderlich, um Raumhöhen oder weiteren Nutzraum möglichst nicht zu vermindern. In diesen Fällen werden in der Regel Hochleistungsdämmstoffe eingesetzt.

Unterschiede bei Hochleistungsdämmstoffen
Polyurethan-Hartschaum (PUR) ist ein Hochleistungsdämmstoff synthetisch-organischen Ursprungs. Er besteht aus einem mit Zellgas aufgeschäumten Kunststoff. Der niedrige Wärmeleitwert zwischen 0,024 und 0,029 W/mK und damit die guten Dämmeigenschaften beruhen auf den eingeschlossenen Gasbläschen. Im Hinblick auf die Ästhetik und eine lange Gebrauchsdauer wird das Material oft gewählt. Der Grundstoff für die Herstellung von Polyurethan-Hartschaum ist allerdings wie bei EPS Erdöl. Das bedeutet, dass auch dieses Material, sollte es in Brand geraten, giftige Emissionen freisetzt. Zudem sind der Energieaufwand und der Erdölverbrauch beim Produktionsprozess sehr hoch. Das läuft dem eigentlichen Verwendungszweck, Energie und Ressourcen einzusparen, zuwider. Ökologischer und vielseitig verwendbar dämmen sogenannte Vakuumisolationspaneele (VIPs). Beim druckstabilen Kernmaterial handelt es sich um ein verpresstes, mikroporöses Pulver. Es wird mittels einer besonderen Technik luftleer gepumpt und in einer speziellen Folie gasdicht so verpackt, dass weder Luft noch Wasserdampf eindringen können. Alle verwendeten Materialien sind gesundheitlich unbedenklich und recycelbar. Im Vergleich mit anderen konventionellen Dämmstoffen isolieren Vakuumisolationspaneelen bis zu zehnmal besser: Der Wärmeleitwert liegt bei 0,004 bis 0,008 W/mK. Ob bei der Dämmung von Dächern, Böden, Brüstungselementen, Balkonen und Wintergärten sowie weiteren Innen- und Außendämmungen: Architekten und Planer können mit VIP rund 80 Prozent des Platzes einsparen.

Bei ordnungsgemäßer Verbauung und Anwendung können VIPs bis zu 50 Jahre halten. Ein Manko ist, dass beim Handling eine gewisse Vorsicht angezeigt ist. So darf der gasdichte Folienmantel nicht beschädigt werden, etwa durch den Zuschnitt beim Einbau oder beim Anbringen von Befestigungslösungen. Gegenüber klassischen WDVS haben Dämmmaterialien wie VIP den Vorteil, dass eine nachhaltige Wärmedämmung keine Platzfrage mehr ist. Aufgrund der sehr guten Dämmleistung auch in dünnen Materialstärken lassen sich Raumverluste oder Wärmebrücken vermeiden und damit nicht nur die Anforderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) erfüllen. Den Planenden und den Ingenieurinnen und Ingenieuren gewähren VIP mehr Freiheiten bei der Gestaltung sowohl im Innen- als auch im Außenbereich. Dies erleichtert auch bei Sanierungsvorhaben an denkmalgeschützten Bauten die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben, da die Fassadenoptik weitgehend erhalten bleibt.

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