Wie dauerhaft sind textilbewehrte Brücken?

Bilanz nach zehn Jahren

Deutsches Ingenieurblatt 10/2019
Objekte

Neue Bauverfahren werden häufig kritisch betrachtet. Eine der gängigsten Fragen lautet: „Wie dauerhaft ist das System?“ oder einfacher gesagt: „Hält das Ganze auch noch in 100 Jahren?“ Selbstverständlich müssen sich auch glasfaser- und carbonbewehrte Brücken dieser Frage stellen. 2010 wurde eine der ersten in Albstadt errichtet – fast zehn Jahre später ist ein guter Zeitpunkt für eine erste Bilanz.

In Albstadt-Lautlingen auf der Schwäbischen Alb war eine Fußgängerbrücke aus Stahlbeton in die Jahre gekommen. Sie wies optische Mängel, wie zum Beispiel Rostfahnen, auf und stellte ein Risiko für den Straßenverkehr dar. So fielen Betonfragmente auf eine Bundesstraße, die unter der Brücke verlief, und gefährdeten den Verkehr.

Die Folge: Die Brücke musste demontiert und durch eine neue ersetzt werden. Da in dieser Gegend die Textilindustrie eine lange Tradition hat, stand die Gemeinde Albstadt dem Thema textilbewehrter Beton sehr offen gegenüber. Nachdem eine Machbarkeitsstudie erwies, dass es möglich ist, die 97 m lange Brücke mithilfe von Glasfaserbeton zu errichten, entschieden sich die Bauherren dazu, dies in die Tat umzusetzen. Da das Bauen mit glasfaserbewehrtem Beton zu dem Zeitpunkt noch nicht lange erprobt und eine Zulassung im Einzelfall (ZiE) erforderlich war, zeigten die Verantwortlichen gleich auf zwei Wegen, dass die Brücke den Belastungen standhalten würde: rechnerisch und durch umfangreiche Bauteilversuche. Um den aktuellen Zustand der Brücke richtig einschätzen zu können, ist es sinnvoll, einen Blick auf die verwendeten Materialien, die Konstruktionsdetails und die Bauteilversuche zu legen. 

Textile Bewehrung bei Brückenbauten
Der Einsatz von textilbewehrtem Beton war und ist für Brückenbauten noch etwas Besonderes. Doch diese Bauweise hat einen großen Vorteil: die fehlende Korrosionsanfälligkeit der nichtmetallischen Bewehrung. Bei der Brücke in Lautlingen bedeutete dies, dass die Betonüberdeckung auf nur 1,5 cm reduziert werden konnte. Bei einem vergleichbaren Stahlbetonbau wären mindestens 5 cm Überdeckung erforderlich gewesen. Ferner konnte durch die Kombination von textilbewehrtem Beton mit einer Vorspannung ohne Verbund eine Schlankheit von 1:35 erzielt werden, die für Betontragwerke außergewöhnlich ist. Im Gegensatz zur üblichen Brückenbauweise, bei der auf die Betonoberfläche noch eine Schicht Asphalt zum Korrosionsschutz der Stahlbewehrung aufgetragen wird, war diese bei dem Projekt in Lautlingen nicht erforderlich. Deshalb wurde eine Betonrezeptur entwickelt, die den hohen Anforderungen an Oberflächenqualität und die Verarbeitbarkeit gerecht wird und in die Betonfestigkeitsklasse C50/60 fällt. Aufgrund der strengen Winter  mit hohen Schneemengen in Albstadt werden große Mengen an Tausalzen verwendet. Zudem wird die Brücke im Winter regelmäßig mit einem Schneeräumfahrzeug von Schnee befreit. Für  die Planer der Brücke bedeutete dies gleich zweierlei: Sie mussten einerseits den mechanischen Abrieb des Schneepflugs berücksichtigen und andererseits dafürsorgen, dass der Beton der Expositionsklasse XF4 gerecht wird. Hinsichtlich des Abriebs gingen die Planer auf der sicheren Seite liegend davon aus, dass sich in 80 Jahren die Betonoberfläche aufgrund mechanischer Einwirkungen um einen Zentimeter reduzieren werde.

Aktueller Zustand der Brücke
Zusammengefasst lässt sich also sagen: Bei der Planung haben die Ingenieure sowohl die Merkmale berücksichtigt, die das Bauen mit Textilbeton mit sich bringt, als auch die Besonderheiten, die eine klimatisch anspruchsvolle Gegend wie die Schwäbische Alb beinhaltet. Dies führte dazu, dass sich die Brücke heute – nach fast zehn Jahren Nutzung – in einem sehr guten Zustand befindet.

Da die Bewehrung aus Glasfasergittern nicht rostet, sind weder Rostfahnen sichtbar noch Abplatzungen wie bei der alten Stahlbetonbrücke. Der Einsatz von Tausalz hat der Brücke bis heute nicht geschadet. Die Oberfläche des Gehwegs ist tadellos, genauso wie die Stabilität des gesamten Bauwerks. Zum gleichen Ergebnis kommt auch Nico Köllnick, der bei der Breinlinger Ingenieure Hoch- und Tiefbau GmbH angestellt ist und im Auftrag der Stadtverwaltung Albstadt die Brücke in Lautlingen nach DIN 1076 geprüft hat. Er sagt hierzu: „Alle Brücken sind regelmäßig einmal im Jahr auf offensichtliche Mängel und Schäden zu besichtigen. Hierbei schaut man sich die neuralgischen Stellen, wie zum Beispiel Stützenfüße, an und kontrolliert, ob sie Auffälligkeiten aufweisen.“ Als er die Brücke in Lautlingen geprüft hatte, kam Herr Köllnick zu dem Ergebnis: „Die Brücke ist in einem sehr guten Allgemeinzustand.“ Denn der Zustand, den die Brücke in Lautlingen aufweist – obwohl sie klimatisch bedingt hohen Anforderungen ausgesetzt ist, zeigt, dass glasfaserbewehrte Ingenieurbauwerke eine Perspektive sein können. Voraussetzung hierfür sind natürlich eine ähnlich gute und gewissenhafte Planung, wie sie für die Brücke in Lautlingen stattgefunden hat, und eine sorgfältige Bauausführung.

Bei der Recherche zu diesem Text sprach Claudia Ahwany mit Nico Köllnick. Der Bauingenieur hat das VFIB-Zertifikat zur Bauwerksprüfung nach DIN 1076 und untersuchte die glasfaserbewehrte Brücke in Albstadt-Lautlingen.

Ahwany: Welche Aufgaben haben Sie im Zusammenhang mit der Brücke in Lautlingen übernommen?
Köllnick: Unser Ingenieurbüro hat von der Gemeinde den Auftrag bekommen, mehrere Brücken von Albstadt zu besichtigen und auf sichtbare Schäden zu prüfen. Dabei war auch die Fußgängerbrücke aus Textilbeton im Stadtteil Lautlingen. Die durchgeführte Prüfung erfolgte als Besichtigung nach DIN 1076 ohne Verwendung von Besichtigungsgeräten oder -einrichtungen als intensive, erweiterte Sichtprüfung. In dieser Sichtprüfung haben wir auch die Funktionsteile der Brücke, z. B. Lager, Gelenke, Übergangskonstruktionen sowie Verankerungen, kontrolliert. 

Ahwany: An welchen Stellen sind Brücken typischerweise anfällig für Schäden?
Köllnick: Überall dort, wo tausalzhaltiges Oberflächenwasser direkt oder als Sprühnebel Kontakt mit stahlbewehrtem Beton hat. Das kann an den Fußpunkten der Stützen und Widerlager sein. Es kann auch an der Oberfläche den Brückenkappen sein. Zudem sind die Entwässerungsbereiche und bewegliche Teile der Brücken, wenn diese mit der Zeit undicht werden, anfällig für Schäden.

Ahwany: Wie entstehen diese?
Köllnick: Infolge von Ablagerungen und Anhaftungen aus tausalzhaltigen Streumitteln können über Jahre hinweg Chloride in die Belagsflächen und Oberflächen aus unbeschichtetem Stahlbeton sowie durch offene oder undichte Fugen oder Abdichtungen in den ungeschützten Stahlbeton eindringen. Neben der flächigen Korrosion unter Sauerstoffreduktion durch Karbonatisierung der Betondeckung kann die Depassivierung auch durch Chloride eingeleitet werden. Als Transportmittel im Beton kommt dabei dem Wasser eine entscheidende Rolle zu. Je nach Feuchtegehalt und der Porosität des Betons können Chloride kapillar, aber auch durch Diffusion transportiert werden. Durch die Chloride wird die Passivschicht lokal zerstört und der Stahl korrodiert. Erfahrungsgemäß ist davon auszugehen, dass die Bewehrungskorrosion in den Stahlbetonbauteilen infolge von Chloriden rapide zunimmt. Durch fortschreitende Korrosion ist mit Querschnittsreduzierungen und somit auch Beeinträchtigungen der Tragfähigkeiten zu rechnen.

Ahwany: Waren diese an der Brücke in Lautlingen zu erkennen?
Köllnick: Nein, es gab keine Anzeichen von Bewehrungskorrosion an der Lautlinger Textilbetonbrücke.

Ahwany: In Anbetracht des Alters der Brücke, wie war ihr Allgemeinzustand?
Köllnick: Der sichtbare Allgemeinzustand der Brücke war sehr gut.

Ahwany: Wenn man davon ausgeht, dass die nächsten fünf Jahre die Brücke den gleichen Belastungen ausgesetzt ist wie bisher, wie schätzen Sie ihren Zustand in fünf Jahren ein?
Köllnick: Nach weiteren fünf Jahren wird sich am Allgemeinzustand der Brücke nichts ändern unter der Voraussetzung, dass eine regelmäßige Bauwerksunterhaltung, d. h. Wartung und Pflege, wie bei anderen Brücken auch, durchgeführt wird.

Ahwany: Welche Vor- und Nachteile hat Ihrer Meinung nach glasfaserbewehrter Beton im Brückenbau?
Köllnick: Die Vorteile von glasfaserbewehrtem Beton sind, dass nur eine geringe Betondeckung erforderlich ist und somit die Bauteildicken und das Eigengewicht der Bauteile reduziert werden können. Da die Bewehrung korrosionsbeständig ist, sind die Bauteile langlebiger. Nachteilig ist, dass der Aufwand für das Bauen mit textilbewehrtem Beton noch sehr hoch ist, da es keine Regelwerke bzw. bauaufsichtlichen Zulassungen gibt. Im Moment ist für jede Verwendung die Zustimmung und Prüfung im Einzelfall erforderlich.

Ahwany: Was sollte im Zusammenhang mit der Brücke in Lautlingen noch erwähnt werden?
Köllnick: Es ist eine innovative Entwicklung für den Ingenieur-u. Hochbau, welche mit Sicherheit ein guter Weg für die Dauerhaftigkeit von Betonbauteilen in Zukunft ist und sein wird.

Ähnliche Beiträge