Absage ans Heizöl für klimaneutrale Meetings

Bivalenz im Kongresszentrum Davos

Bauplaner 7-8/2022
Videor E. Harting GmbH
Sport und Freizeit
Objekte
Green Engineering: Umwelt, Energie, Mensch
Der Schweizer Kurort Davos ist bekannt für ein vielfältiges Sport- und Freizeitangebot, sein gesundheitsförderndes Klima und seine ausgeprägten Gastgeberqualitäten. Eine der international bekanntesten Veranstaltungen, die Davos jährlich austrägt, ist das World Economic Forum (WEF), das Weltwirtschaftsforum. Im Juni 2020 stellte das WEF mit „The Great Reset“ (deutsch: „Der große Neustart“) eine Initiative vor, deren Anliegen es ist, die Weltwirtschaft nach der Covid-19-Pandemie gerechter, sozialer und nachhaltiger zu gestalten.

Ein Blick hinter die Kulissen des Weltwirtschaftsforums zeigt, dass seine Veranstalter schon seit vielen Jahren darum bemüht sind, große strategische Ziele auch in kleineren Maßnahmen vor der eigenen Haustür umzusetzen. Dazu zählt unter anderem auch die konsequent klimaneutrale Organisation des renommierten und international frequentierten Jahrestreffens. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet der Betrieb des Austragungsortes, des Kongresszentrums Davos mit seinen drei autonom führbaren Hausteilen, das vor rund zwei Jahren als erstes vollständig klimaneutrales Kongresszentrum der Schweiz ausgezeichnet wurde. Eine neue energetische Versorgungslösung des Gebäudekomplexes spielte dabei eine entscheidende Rolle.

Nachhaltiger in die Zukunft: Ein Energie-Verbund löst Monovalenz-Lösung ab
Mehrfach wurde das 1969 eröffnete Objekt in der Vergangenheit bereits umgebaut und erweitert. Berücksichtig wurden dabei immer auch Optimierungsmaßnahmen, die den Energieverbrauch und die Emissionsgrößen des Gebäudebetriebs senken sollten. Um eine auf Dauer umweltverträglichere Wärmeversorgung realisieren zu können, entschieden sich die Planer (Amstein + Walthert aus Chur) für eine Verbundlösung, die die energetische Bewirtschaftung der Tagungsgebäude mit dem Betrieb der angrenzenden Eishalle und des Erlebnisbads „Eau-là-là“ koppelte. Dieser Ansatz ließ signifikante Einsparungen des bislang ausschließlich eingesetzten Primärenergieträgers Öl erwarten, da erstmalig Abwärme-Kapazitäten in großem Umfang aus der Kälteproduktion in der benachbarten Eishalle nutzbar gemacht werden konnten. Gerade bei der energietechnologischen Sanierung im Bestand erweisen sich bivalente Systeme als wirtschaftlich sinnvolle und ökologisch wirksame Versorgungslösung, sofern die regenerativ erzeugten oder gewonnenen Wärme-/Kälteleistungen maximal effizient eingesetzt werden. Eine Technologie, die als Koordinationsinstrument für eine hocheffektive Zusammenführung und Nutzbarmachung unterschiedlicher, speziell niedertemperierter Volumenströme fungiert, ist der sogenannte Zortström. Er ist das Resultat einer bereits vor Jahrzehnten initiierten Forschungs- und Entwicklungsarbeit des Vorarlberger Unternehmens Zortea. Die Experten aus Hohenems beschäftigen sich fokussiert mit den Ursachen von Hydraulikproblemen in Versorgungsnetzen und der Optimierung von energetischen Sammel- und Verteilprozessen. Die daraus entwickelte Zortström-Anlage ist heute europaweit in mehr als 5.800 Energieversorgungslösungen erfolgreich in Betrieb.

Hoch effiziente Abwärmenutzung für Bad- und Gebäudebetrieb 
Unabhängig von seinem Einsatzfeld, seiner Größe und der Art und Anzahl der angeschlossenen Erzeuger und Verbraucher ist das Zortström-Prinzip grundsätzlich für alle Kontexte identisch: Die Technologie kombiniert die Funktionen einer hydraulischen Weiche und Verteilers mit exakter Temperaturtrennung (optional auch mit Speicherfunktion). An die Anlage lassen sich alle verfügbaren Wärme-/Kälteerzeuger (sowohl konventionell als auch regenerativ) sowie alle Verbraucherkreise eines Versorgungssystems getrennt voneinander anschließen und mit optimaler Arbeitstemperatur bzw. individuell definierten Soll-Vorlauftemperaturen ansteuern. Alle ankommenden und abgehenden Volumenströme werden komplett voneinander entkoppelt, sodass sich diese auch bei hohen Druck- und Temperaturdifferenzen ohne wechselseitige Beeinflussung führen lassen. Innerhalb der Anlage, eines flexibel zu installierenden zylindrischen Speichers, können beliebig viele Temperaturstufen präzise voneinander getrennt vorgehalten werden; dabei bleibt die Temperatur in jeder Stufe zu jeder Zeit stabil. Das Verfahren der hydraulischen Entkopplung und einer präzisen Temperaturtrennung ermöglicht es, Energie aus Wärme- oder Kältequellen mit unterschiedlichen Leistungsklassen in einem gemeinsamen System zusammenzuführen und dabei einem bevorzugten Erzeuger Vorrang einzuräumen, ohne dass es zu hydraulischen Störungen kommt… 

Auf diese Weise gelingt es auch, Abwärme – wie die aus der Eisproduktion der Eisporthalle und des Gebäudekomplexes in Davos – einzubinden und maximal effizient zur Versorgung des Kongresszentrums und des Wellnessbads einzusetzen. Die 5-stufige Zortström-Lösung mit Temperaturstufen zwischen 45 und 75 Grad Celsius regelt die die Energieflüsse aus der Abwärmenutzung sogar von Kleinkälteerzeugern wie etwa Kühlschränken. Ein Vorgang mit einem signifikanten Einfluss auf das Energiemanagement und seinen Ressourceneinsatz - immerhin beträgt die so gewonnene thermische Leistung rund 365kW Hochtemperaturabwärme aus der benachbarten Eishalle und ca. 150 kW Niedertemperaturabwärme aus dem Gebäude selbst. Hochtemperatur-Anforderungen und Spitzenlasten werden ergänzend durch Ölkessel mit 2 x 1.0 MW gedeckt.

Von der Planung in die Umsetzung: komplexes Engineering mit überzeugendem Ergebnis 
Die korrekte Zuordnung der Temperaturen in Abstimmung mit den einzelnen Leistungen in der richtigen Stufe erforderte bereits in der Planungsphase ein differenziertes Know-how und weitreichende Erfahrung im Handling von hydraulisch ausbalancierten Energieflüssen.

Die Schichtungsqualität, d.h. die absolut exakte Trennung der Temperaturstufen im Vorhaltesystem, spielte dabei eine wesentliche Rolle. Wäre diese unzureichend gewesen, hätte eine optimale Ansteuerung der Abwärmenutzung nicht funktionieren können und die hohen Effizienzpotenziale des Gesamtsystems wären verschenkt worden. 

Den Planern von Amstein + Walthert und den Ingenieuren von Zortea gelang es in enger Kooperation eine Präzisionslösung zu entwickeln, deren Effektivität sich in einer ausgesprochen positiven Verbrauchsbilanz spiegelt. Allein durch die heute mögliche Einbindung der Abwärme in die thermische Versorgungsstruktur vor Ort wird – ausgehend von vormals 500.000 Litern Heizöl - eine Primärenergieeinsparung von 180.000 Litern Heizöl pro Jahr erzielt, was einem CO2-Äquivalent von 478,8 Tonnen entspricht. Rechnet man die Einsparungen hinzu, die eine ebenfalls neu installierte Solaranlage erzielt, liegt die Gesamteinsparung am Gebäude sogar bei 200.000 Litern Heizöl jährlich. Heute wird die Abwärme aus den Kälteerzeugungsprozessen das ganze Jahr vollumfänglich genutzt. Diese Effizienzstrategie leistet einen wichtigen Beitrag für die Förderung von Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung in der Gemeinde Davos und setzt gleichzeitig ein Zeichen für eine verbesserte Umweltorientierung im internationalen Kongress- und Veranstaltungssektor.