Baulicher Brandschutz mit Kalksandstein

Experten im Interview

bauplaner 05/2018
Bavaria Production Services GmbH
Brandschutz

Kalksandstein wird seit mehr als hundert Jahren für die Konstruktion von Innen- und Außenwänden eingesetzt. KS-Mauerwerk ist stabil, sicher und aufgrund seiner Herstellung und Zusammensetzung nicht brennbar – der Brandschutz fällt mit Wänden aus Kalksandstein somit optimal aus.

Mit der allgemeinen bauaufsichtlichen Einführung des Eurocode 6 (EC 6) zum 1. Januar 2015 gilt für die Bundesländer nun eine einheitliche Herangehensweise bei der Berechnung und Ausführung von Mauerwerk. Dies schließt auch die Anforderungen an den Feuerwiderstand bei Mauerwerksbauten ein. Welche Veränderungen beinhaltet der Eurocode 6 bei der Berechnung von Mauerwerk? Was ist speziell bei der Bemessung bei Kalksandsteinwänden – vor allem für den Brandfall – zu beachten? Wie gelingt gute Architektur unter Berücksichtigung der Brandschutzvorschriften? Drei Experten aus Wissenschaft und Praxis stellen sich den Fragen der Redaktion. 

Herr Professor Graubner, bei der Arbeit am Eurocode 6 waren Sie auf deutscher Seite maßgeblich beteiligt. Was regelt der Eurocode 6 genau?

Carl-Alexander Graubner: Vor etwa 30 Jahren begannen auf europäischer Ebene die Arbeiten an den Eurocodes, die der europaweiten Vereinheitlichung in der Berechnung und Bemessung von Tragwerken dienen. Zurzeit gibt es 10 Eurocodes für die Hauptbereiche des Bauens, darunter den Eurocode 6 zur Bemessung von Mauerwerksbauten. Dieser regelt beispielsweise, wie dick eine Wand sein muss, damit sie die von oben kommenden Last abträgt, oder welchen Stein ich für bestimmte Bauvorhaben verwenden muss, aus welchem Baustoff der Mörtel sein muss et cetera. Das war bei den nationalen Regelungen bisher völlig identisch. Mit den Eurocodes sollen die nationalen Festlegungen aber immer weiter reduziert, die Bemessungs- und Berechnungsverfahren europäisch einheitlich und auch einfacher werden. 

DIN EN 1996 – auch EC 6 genannt – besteht aus drei Teilnormen, wobei sich der erste Teil in die Normen DIN EN 1996-1-1 „Allgemeine Regeln für bewehrtes und unbewehrtes Mauerwerk“ und DIN EN 1996-1-2 „Allgemeine Regeln – Tragwerksbemessung im Brandfall“ gliedert. Letztere enthält die Bestimmungen zur Tragwerksbemessung für den Brandfall und wird in Deutschland ergänzt durch DIN 4102-4 (neu). Was ist bei der Bemessung von Kalksandstein im Brandfall zu beachten?

Carl-Alexander Graubner: Für den Kalksandstein ist der Brandfall problemlos, denn alle Steine aus KS sind normativ geregelt. Die Heißbemessung erfolgt daher einfach über einen tabellarischen Nachweis, das heißt, die Feuerwiderstandsdauer von Wänden beziehungsweise die erforderlichen Mindestwanddicken kann der Ingenieur aus Tabellen ablesen.

Macht der EC 6 die Arbeit von Tragwerksplanern in Deutschland leichter?

Carl-Alexander Graubner: Aus meiner Sicht macht der EC 6 insgesamt keinen großen Unterschied zur vorher gültigen DIN 1053. Wir haben die deutschen Regeln nach Europa überführen können. Ich würde sogar sagen, dass der EC 6 die Arbeit tatsächlich einfacher macht, denn mit dem sogenannten vereinfachten Verfahren aus EC 6, Teil 3 (DIN EN 1996-3: Vereinfachte Berechnungsmethoden für unbewehrte Mauerwerksbauten; Anm. d. Red.) können wir etwa 80 bis 90 Prozent aller Bauwerke aus Mauerwerk sehr effizient bemessen. 

Befürworten Sie europaweit vereinheitlichte Regeln für die Bemessung im Bauwesen, oder wäre Ihnen eine stärkere nationale Regelung lieber?

Carl-Alexander Graubner: Ich finde die europäische Anpassung grundsätzlich besser, weil die Baustoffhersteller mittlerweile auch europaweit produzieren. Natürlich produzieren sie in Polen andere Steine als in Deutschland oder Holland, aber wir kommen um die Vereinheitlichung gar nicht herum. Ein Europa mit gleichen Standards und Normen ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Es ist nur nicht einfach in der tatsächlichen Umsetzung.

Herr Spiekermann, bei vielen Ihrer Projekte haben Sie sich für Mauerwerk aus Kalksandstein entschieden. Warum?

Oliver Spiekermann: Wir bevorzugen den Kalksandstein, weil er ein Baustoff mit vielen positiven Eigenschaften ist. Er ist hoch tragfähig, gut schalldämmend, nicht brennbar, schützt vor sommerlicher Hitze und erfüllt in Kombination mit Dämmstoffen die Wärmeschutzanforderungen im Winter. Außerdem schätzen wir seine ökologische Qualität, denn er besteht nur aus Naturprodukten, also Kalk, Sand und Wasser. Er ist für unsere Architektur sehr gut geeignet. 

Für welche baulichen Anwendungsbereiche nutzen Sie Kalksandstein?

Oliver Spiekermann: Wir bauen damit sowohl Ein- und Mehrfamilienhäuser wie auch Wirtschaftsbauten und verwenden hauptsächlich die Produkte des Systems KS-QUADRO in den gängigen Formaten 11,5, 17,5 und 24. Bei manchen Projekten nutzen wir auch großformatige Planelemente.

Welche Rolle spielt der Brandschutz bei der Entscheidung für KS?

Oliver Spiekermann: Gerade in öffentlichen Gebäuden und Mehrfamilienhäusern stellt der Brandschutz eine entscheidende Größe dar. Ein großer Vorteil ist dann, wenn man zur Realisierung der Bauten nur einen Wandbaustoff braucht, um die Brandschutzvorschriften einzuhalten. Das ist mit Kalksandstein erfüllt, denn mit dem nicht brennbaren Baustoff können wir Außen- wie auch Innenwände errichten. Außerdem sind wir damit recht flexibel in der Umsetzung unserer Entwürfe im Bereich Brandschutz. Stellen wir zum Beispiel fest, dass zur Erfüllung der Brandschutzanforderungen die Wandstärken verändert werden müssen, lässt sich das mit KS-Produkten leicht bewerkstelligen: Aus einer 11,5er-Wand wird schnell eine 17,5er-Wand, indem wir einfach das gleiche Steinformat nehmen, jedoch für eine andere Wanddicke. 

Frau Professorin Heilmann, welche Vorteile sehen Sie beim Einsatz von Massivbauteilen wie Kalksandstein hinsichtlich Brandschutz? 

Sylvia Heilmann: Bauen ist heute so vielfältig, die Anforderungen sind so komplex. Es muss immer der Baustoff gefunden werden, der für den speziellen Einsatzort und die konkrete Funktion geeignet ist. Genau diese muss der Ingenieur und Bauleiter auch nachweisen. Brandschutztechnisch kann Kalksandstein punkten mit dem hohen Massenvolumen. Durch die hohe Rohdichte ist eine 11,5 Zentimeter dicke Kalksandsteinwand bereits feuerbeständig, sodass wenig Konstruktionsfläche benötigt wird. Und natürlich ist der nicht brennbare Kalksandstein für Sicherheitsbereiche wie Treppenräume und Flure prädestiniert. 

Eignet sich Kalksandstein bei Brandwänden? 

Sylvia Heilmann: Ja, natürlich. Plansteine aus Kalksandstein mit einer Rohdichteklasse von 1,8 (1800 kg/m3 Mauerwerk; Anm. d. Redaktion) sind bereits ab einer Dicke von 17,5 Zentimetern im Dünnbettmörtel als Brandwand geeignet. Aufpassen muss man aber auf die Ausführung der Anschlussdetails. 

Wie lassen sich gute Architektur mit bauordnungsrechtlichen und brandschutztechnischen Aspekten vereinbaren? 

Sylvia Heilmann: Ein Architekt würde antworten, wenn die Architektur sich allein von Bauordnungsrecht und Brandschutz leiten ließe, verlöre sie ihre Identität und Originalität. Aber klar ist auch, dass Architektur nur Bestand hat, wenn sie sicher und gebrauchstauglich ist. Beides wird vom Bauordnungsrecht abgedeckt. Dennoch wird trotz steigendem Sicherheitsbedürfnis die Fülle der einzuhaltenden Vorschriften kritisiert. Oder anders ausgedrückt: Die Menschen erwarten uneingeschränkte Sicherheit, lehnen aber gleichzeitig den Aufwand ab, den die Sicherheit nun einmal verlangt. Das ist ein Zielkonflikt, der nicht gelöst werden kann. Dennoch sollte jeder wissen: Auch mit noch so viel Geld wird es keine hundertprozentige Sicherheit geben.

Frau Professorin Heilmann, Herr Professor Graubner, Herr Spiekermann, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch

DIN EN 1996-1-2 und DIN 4102-4 (neu)

Alle für das Tragwerk bedeutsamen Baustoffe haben einen Eurocode erhalten, so beispielsweise auch Kalksandstein. Der Wandbaustoff leistet keinen Beitrag zum Brandgeschehen und wurde gemäß einer Entscheidung der Europäischen Kommission in das Verzeichnis von Bauprodukten der Kategorie A aufgenommen. Das KS-Mauerwerk wird somit über den Eurocode geregelt, das heißt, für die brandschutztechnische Bemessung von Mauerwerk ist die DIN EN 1996-1-2 anzuwenden. Die nationale Norm DIN 4102-4 hingegen regelt im Mauerwerksbau ausschließlich ergänzende konstruktive Details, die nicht über den Eurocode abgedeckt sind. Im Rahmen der Überarbeitung wurde die 4102-4 an die europäische Normung angepasst, redaktionell und technisch überarbeitet sowie anhand von Prüfergebnissen aktualisiert. Ergänzend zum Eurocode 6 enthält sie somit Anwendungs- und Ausführungsregelungen. Die bereits in der alten Fassung enthaltenen bekannten und brandschutztechnisch zu berücksichtigenden Anschlussdetails Wand-Decke und Wand-Wand wurden für Mauerwerkskonstruktionen übernommen. Jedoch ergänzt um neuere nachgewiesene Anschlussmöglichkeiten.  

DIN EN 1996-1-2/NA enthält für Mauerwerk aus genormten Steinen die tabellierten Werte für 

  • nicht tragende Wände, 
  • tragende raumabschließende Wände,
  • tragende nicht raumabschließende Wände,
  • tragende Pfeiler und
  • Brandwände. 

Diese sind jedoch anders als bisher nach Steinarten sortiert. So finden sich dort unter anderem eigene Tabellen für Kalksandstein-Mauerwerk. Die darin angegebenen Wanddicken für das Erreichen der jeweiligen Feuerwiderstandsklasse sind einzuhalten. Ergänzende Hinweise, vor allem zu brandschutztechnischen Anschlussdetails, liefert die neue DIN 4102-4.

Tragende Wände ohne Nachweis des Ausnutzungsfaktors 

Die Tragfähigkeit von Bauteilen ist im Brandfall insbesondere auch von der vorhandenen Auflast abhängig. Bei tragendem KS-Mauerwerk ist ein gesonderter Nachweis des Ausnutzungsfaktors (kleiner/gleich 0,7) im Allgemeinen nicht erforderlich. Die heiße Bemessung von Kalksandstein-Mauerwerk kann aufgrund der Einordnung als nicht brennbarer Baustoff nach Eurocode 6 einfach und ohne Mehraufwand über Tabellenwerte erfolgen. Damit kann der in der Praxis bewährte einfache tabellarische Nachweis auch weiterhin erfolgen. Die Tabellenwerte geben dabei einen schnellen Überblick über die Mindestwanddicke zur Einstufung in die Feuerwiderstandsklassen mit den neuen europäischen Bezeichnungen R, REI, EI, REI-M und EI-M. Erst wenn die Mindestwanddicke nicht direkt eingehalten wird oder für die verwendete Stein-Mörtel-Kombination nicht ermittelt werden kann, muss der Ausnutzungsfaktor für den Nachweis berechnet werden.

KS* stellt die Tabellenwerte komprimiert in der neu erschienenen Broschüre „Brandschutz mit Kalksandstein“ zur Verfügung. Diese kann unter ks-original.de bestellt oder heruntergeladen werden.