Die drei Elemente des Purpose

Who, Why & What Die drei Elemente

Deutsches Ingenieurblatt 7-8/2021
TVN Production GmbH & Co. KG
Ingenieurbüro – Recht & Finanzen
Wie sehr sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Job engagieren, hängt primär davon ab, als wie sinnvoll sie ihre Tätigkeit erfahren. Deshalb sollten Führungskräfte wissen, aus welchen Wurzeln sich das auch „Purpose“ genannte Sinn-Empfinden ihrer Mitarbeiter speist

Vermutlich wünschen sich alle, die ein Unternehmen oder ein Team führen, dass sie mit hochmotivierten Menschen ihre Arbeit verrichten, die in ihrem Job einen Sinn sehen. Doch wie erreicht man das und verhindert, dass Aufgaben nur halbherzig oder aus Pflichterfüllung erledigt werden?  

Eine erste Antwort auf diese Frage gibt uns die Anekdote vom Steinbruch im Siebengebirge. In ihr fragt ein Besucher unmotiviert vor sich hin werkelnde Steinmetze, was sie denn täten. Sie antworten: „Wir behauen Steine.“ Da fällt der Blick des Besuchers auf einen hochmotivierten und -engagierten Steinmetz und er fragt ihn, was er denn tue. Seine Antwort: „Ich baue am Kölner Dom mit.“ Dieser Steinmetz hat in seiner Alltagsarbeit einen höheren Sinn gefunden, deshalb arbeitet er  hochmotiviert und -konzentriert.  

Sinn kann man als Chef nicht verordnen
Von zentraler Bedeutung ist hierbei das Wort „gefunden“, denn Selbständige und Vorgesetzte können ihrer Belegschaft zwar befehlen,  was und wie sie etwas zu tun haben. Sie können ihnen aber nicht vorgeben, welchen Sinn sie darin zu sehen haben. Das funktioniert nicht! Den Sinn – oder neudeutsch „Purpose“ – müssen Menschen in ihrer Arbeit stets selbst finden. Sie müssen für sich erkennen: „Das ist mein Ding und ergibt für mich Sinn.“ Das ist für ihre Arbeitsmotivation extrem wichtig, denn: Nur wer seinen Sinn gefunden hat, übernimmt Verantwortung. 

Ein Vorreiter beim Formulieren dieses Zusammenhangs war Simon Sinek. Er stellte 2006 den „Golden Circle“ vor, den er in seinem 2009 erschienenen Buch „Start with why. How great leaders inspire everyone to take action” (deutscher Titel: „Frag immer erst, warum. Wie Top-Firmen und Führungskräfte zum Erfolg inspirieren”) näher erläuterte. Ihm zufolge müssen Unternehmen, um langfristig Erfolg zu haben, ihrer Kundschaft und ihren Angestellten einen übergeordneten Sinnzusammenhang aufzeigen, der es ihnen ermöglicht, sich mit Ihnen zu identifizieren. 

Hierfür müssen Sie ihnen Antworten auf folgende drei Fragen geben:

  • What? (Was wollen wir erreichen?)
  • How? (Wie wollen wir es erreichen?) und
  • Why? (Warum wollen wir es erreichen?)

Dabei erachtet er die Why-Frage als die zentrale und die am schwierigsten zu beantwortende Frage, da sie letztlich den Purpose, also den Sinnzusammenhang, schafft. Diese Gedanken, die Sinek primär auf Unternehmen gemünzt hatte, griff der Ökonomiepsychologe Aaron Hurst in seinem 2014 erschienenen Buch „The Purpose Economy“ auf und bezog sie auf den individuellen Purpose von Menschen – beruflich wie privat. Dabei vertritt er die These: Nur wenn ein Mensch wertschätzt, für wen und warum er arbeitet, und sich zudem mit dem, wie er es tut, identifiziert, entsteht bei ihm ein Gefühl von Sinn und Zufriedenheit. Demzufolge unterscheidet Hurst beim Purpose in Anlehnung an Sinek folgende drei Dimensionen: Who? (Für wen arbeite ich?), Why? (Warum arbeite ich?) und How? (Wie arbeite ich?) Die Who-Why-How-Trilogie von Hurst hilft Unternehmen zu ermitteln, welche Angebote sie ihren Arbeitskräften zum Bilden eines eigenen Purpose machen können. 

Who – Für wen arbeite ich?
Auf wen oder was Menschen beim Arbeiten ihre Energie fokussieren, divergiert: Manche haben eher einzelne Personen(-gruppen) im Blick, andere das Unternehmen bzw. die Organisation und wieder andere eine bestimmte Gemeinschaft/Community oder die Gesellschaft insgesamt. 

Fokus Menschen: Viele Personen arbeiten bevorzugt für Menschen, die sie persönlich kennen und wertschätzen. Das kann die vorgesetzte Person sein, es können aber auch Menschen aus dem Kollegium sein, die sie nicht im Stich lassen möchten. Ebenso kann dies Kundschaft sein, zu der sie eine persönliche Beziehung entwickelt haben. Oder Personengruppen, für die sie Sympathien hegen – zum Beispiel Menschen mit einer Behinderung. Fokus Unternehmen/Organisation: Bei anderen Personen speist sich die Motivation primär daraus, dass sie sich als Teil eines größeren Ganzen verstehen, zu dessen Wohlergehen oder Erfolg sie ihren Beitrag leisten möchten. Zum Beispiel, indem sie für ihr Unternehmen eine strategisch wichtige Software entwickeln. Dabei kann ihr Stolz, dieser Organisation anzugehören, sich ebenfalls aus unterschiedlichen Wurzeln speisen. Zum Beispiel daraus, dass diese im Bereich einer Technologie marktführend ist. Oder dass sie sehr expansiv ist. Oder dass ihre flache Hierarchie den Teammitgliedern große Gestaltungsspielräume lässt.

Fokus Gesellschaft/Gemeinschaft: Wieder andere Personen ziehen den Sinn primär daraus, dass sie mit ihrer Arbeit in ihren Augen einen Beitrag zum Wohlergehen oder zur Weiterentwicklung der Gesellschaft leisten. Dies kann die Gesellschaft als Ganzes sein, wenn das Unternehmen zum Beispiel im Gesundheits- oder Umweltschutzbereich aktiv ist oder zu technologischen Innovationen beiträgt. Dies kann aber auch eine lokale oder regionale Gemeinschaft sein. Zum Beispiel, wenn Menschen sich dem Wohlergehen der Personen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld, beispielsweise ihrer Nachbarschaft, verpflichtet fühlen. 

Hieraus resultiert die Frage: Für wen arbeitet Ihr Unternehmen? Für einzelne Menschen oder Personengruppen? Für andere Unternehmen/ Organisationen oder die Gesellschaft? Je stärker sich Ihre Beschäftigten mit dem „Who“ identifizieren können, desto selbstverantwortlicher und engagierter arbeiten sie. Also sollte Ihr Unternehmen auf diese Frage eine Antwort haben. 

Why – Warum arbeite ich?
Laut Hurst gibt es zwei Arten des Warums: Entweder machen Menschen etwas, weil sie an das Prinzip „Karma“ glauben oder weil sie der Welt und den Menschen zu mehr „Gerechtigkeit“ verhelfen möchten.  

Karma: Ans Karma zu glauben, bedeutet für Hurst, dass man überzeugt ist: Das, was ich „Gutes“ tue, fällt irgendwie auch positiv auf mich zurück. Dasselbe gilt für schlechte Taten. Menschen, die ans Karma glauben, erachten es sozusagen als ein physikalisches Gesetz, das man nicht aushebeln kann. Sie sind überzeugt, dass Systeme sich letztlich immer wieder von selbst ins Gleichgewicht bringen. Deshalb haben sie in der Regel ein liberales Wirtschaftsverständnis. Sie vertrauen auf das freie Spiel der Kräfte und sind überzeugt, dass sich die Märkte immer wieder von selbst ausbalancieren. Und bezogen auf das Individuum neigen sie zur Auffassung, jeder sei – unabhängig von seiner Herkunft – seines Glückes Schmied. 

Gerechtigkeit: Diesem Credo steht diametral das Denken der Menschen gegenüber, die ihr „Warum“ an Gerechtigkeit ausrichten. Sie sind überzeugt: Es bedarf Reglementierungsund Steuerungsmechanismen, um Gerechtigkeit sicherzustellen. Das motiviert sie, einen aktiven Beitrag zum Schutz der (potenziell) Schwachen oder Bedrohten zu leisten. Das können einzelne Mitmenschen oder Konsumierende ebenso wie die Umwelt oder Freiheit sein.  

Deutlich lässt sich diese Dualität auch in der aktuellen Debatte über das Thema Digitalisierung widerfinden. Während manche Menschen in ihr, überspitzt formuliert, die Lösung aller Menschheitsprobleme sehen, sehen andere primär die Gefahren, die von ihr ausgehen. So zum Beispiel, dass sich Monopole bilden, die den Wettbewerb aushebeln, oder Überwachungssysteme entstehen, die die bürgerliche Freiheit bedrohen. Also fordern sie eine staatliche Steuerung dieser Entwicklung, um aus ihrer Warte höherwertige Güter wie Freiheit, Gerechtigkeit und fairen Wettbewerb zu bewahren. 

Hieraus resultiert die Frage: An wen richtet sich das „Warum“ Ihrer Organisation? Eher an Menschen, die ans „Karma“ glauben, oder solche, die für „Gerechtigkeit“ eintreten? Angenommen, Ihr Unternehmen bietet seiner Belegschaft die ideale Plattform, um technische Innovationen zu entwickeln, dann zieht diese Tatsache allein gewiss Ingenieurinnen und Ingenieure mit einem Karma-Glauben an. Anders sieht dies bei potenziellen Angestellten aus, die das Thema Gerechtigkeit beseelt. Sie interessiert eher: Was produzieren Sie? Rüstungsgüter oder Medizintechnik? Luxusgüter für Superreiche oder für die Allgemeinheit? Und wie sieht die Ökobilanz aus?  

How – Wie arbeite ich? 
Das „How“ beschreibt die Art und Weise, also die Strategie und Taktik, mit der Menschen und Unternehmen ihre Ziele erreichen möchten: community-orientiert, menschenzentriert, strukturgetrieben oder wissensbasiert?

Community-orientiert: Nicht wenige Organisationen sind vor allem deshalb so erfolgreich, weil es ihnen gelingt, ein Netzwerk von unterstützenden Personenkreisen aufzubauen. So wie zum Beispiel die Alumni-Netzwerke vieler privater Hochschulen oder die Fan-Gemeinde von Apple. Auch viele Start-ups haben eine Community, die an sie und ihre Vision glaubt und deshalb auch über solche Plattformen wie Kickstarter und Startnext finanziell unterstützt. 

Menschen-zentriert: Andere Organisationen erreichen ihre Ziele aufgrund ihrer starken Menschenzentrierung. Sie glauben zum Beispiel, dass eine Unternehmenskultur, die den Mensch „Mitarbeiter“ in den Mittelpunkt stellt, zu den besten Ergebnissen führt. Oder dass Unternehmen, die ihre Kundschaft konsequent in den Fokus ihres Bestrebens stellen, nachhaltig Erfolg haben.  

Struktur-getrieben: Strukturgetriebene Unternehmen glauben an den Markterfolg durch standardisierte Abläufe und Prozesse, Vorgaben und Regelungen. Sie legen zum Beispiel auf das Erfüllen gewisser Normen und Qualitätsstandards sowie das Erlangen bestimmter Zertifikate einen hohen Wert.  

Wissensbasiert: Organisationen, die über Wissen am Markt erfolgreich sein wollen, sammeln und analysieren Daten und investieren viel Zeit und Geld in die Forschung & Entwicklung sowie in die Weitergabe von Wissen. Jeder dieser Wege spricht unterschiedliche Menschen an und kann zum Erfolg führen. Daraus resultiert die Frage: Für welches „How“ steht Ihre Organisation primär? Welchen Menschen bietet sie eine Andockstelle, um hieraus ihren persönlichen Sinn abzuleiten? Diese Frage zu beantworten, ist wichtig, denn: Je stärker sich Ihre Beschäftigten außer mit dem „für wen“ und dem „Warum“ Ihrer Organisation auch mit deren „Wie“ identifizieren, umso selbstverantwortlicher agieren sie und umso bereitwilliger übernehmen sie eigeninitiativ Verantwortung. 

Purpose in der Praxis
In ihrem Privatleben sehen die meisten Menschen ganz selbstverständlich abhängig von ihren individuellen Werten einen Purpose oder Sinn – zum Beispiel: Ich möchte meiner Familie ein behagliches Heim schaffen meinen Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen, ein glückliches und erfülltes Leben führen.  

Damit korrespondieren ihre Lebensziele, zum Beispiel:

  • das Haus renovieren, damit …, 
  • ausreichend Geld verdienen, um …, 
  • genügend Freizeit haben, um…. 

Meist handelt es sich bei den privaten Zielen um etwas, das sich die Menschen bildhaft vorstellen können, etwas sehr Konkretes. Im Job fehlt ihnen oft eine solche Ausrichtung – auch aufgrund der arbeitsteiligen Prozesse. In ihm fühlen sie sich nicht selten als ein unbedeutendes Rädchen in einem unüberschaubaren großen Ganzen, das tut, was es tun muss. Einen Sinnzusammenhang sehen sie hierin oft nur mittelbar – zum Beispiel: Ich muss mich und meine Familie ernähren. Das ist an sich nicht negativ, weil dieses Motiv letztlich auch die Fragen „Who“ und „Why“ beantwortet, wenn auch aus Unternehmenssicht eher auf eine ex- als intrinsische Art und Weise. Dessen ungeachtet sind solche Personen oft extrem wertvolle Angestellte, insbesondere, wenn es um das Erledigen der operativen Alltagsarbeit geht. Sie bilden sozusagen das Rückgrat vieler Unternehmen.  

Das Sinn-Empfinden nährt die intrinsische Motivation
Wenn es jedoch um das Besetzen von Schlüsselpositionen geht, sollten Unternehmen auch auf eine purpose-bezogene Passung bei der Personalfrage achten, denn diese Menschen treiben ihre Organisation letztlich voran. So fällt es zum Beispiel Personen, die beim „Warum“ primär der Faktor Gerechtigkeit interessiert, vermutlich in einer Non-Profit-Organisation eher leicht, einen Sinn für sich zu kreieren, als im Investmentbanking-Bereich für Superreiche einer Privatbank. Und eher wenig Engagement und Kreativität werden sie darin zeigen, neue, lukrative Steuersparmodelle für deren „Top-Klientel“ zu entwickeln.   

Deshalb sollten Unternehmen klar kommunizieren, wofür sie stehen – nicht nur im Bereich Marktbearbeitung, sondern auch dem der Führung, ähnlich wie dies zum Beispiel Amazon tut. Je klarer diese Kommunikation ist, umso besser können potenzielle Teammitglieder antizipieren, welche Möglichkeiten ihnen eine Organisation bietet, um für sich persönlich einen Sinn in ihrer künftigen Arbeit zu finden und eine hohe Selbstverantwortung und Eigeninitiative zu zeigen. Umso weniger Zeit und Energie müssen aber auch ihre künftigen Führungskräfte im Arbeitsalltag investieren, um ihrer Belegschaft den großen Sinnzusammenhang aufzuzeigen, weil diese von sich aus überzeugt sind: „Hier bin ich am richtigen Ort.“ und entsprechend stark intrinsisch motiviert sind. 

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