Ein Museum für Ludwig Erhard

Neubau im Umfeld unterschiedlichster Bedingungen

Deutsches Ingenieurblatt 7-8/2021
Bildung, Forschung und Kultur
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Forschung und Technik
In Fürth, der Geburtsstadt von Ludwig Erhard, ist ein Dokumentations-, Ausstellungs-, Forschungs- und Begegnungszentrum für Ludwig Erhard und die Soziale Marktwirtschaft entstanden. Der Neubau befindet sich gegenüber dem Geburtshaus des ersten Wirtschaftsministers und zweiten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, das zu diesem Zweck saniert und in das Gesamtkonzept integriert wurde. Entstanden ist ein Gesamtkomplex, der städtebaulich mit dem historischen innerstädtischen Kontext harmoniert, wobei der Neubau die Farbigkeit der Umgebungsbebauung aufnimmt

Das Grundstück in der Fürther Innenstadt liegt in einem denkmalgeschützten Umfeld mit stark begrenzten Zufahrts- und Andienungsmöglichkeiten. In die Konzeption und die Umsetzung des Tragwerks mussten die Planer den in dem bereits sehr beengten Baufeld liegenden U-Bahnhof „Fürth Rathaus“ mit das Grundstück schräg querenden Tunnelröhren und einer bis zu 1,50 Meter unter dem Gelände liegenden Zugangskalotte einbeziehen. Letztlich gab gerade diese Randbedingung den Anstoß für kreative Tragwerkslösungen. 

Der zu etwa 50 % im Baufeld liegende und in offener Bauweise errichtete Bahnhof und sein Zugang waren in den Neubau zu integrieren. Ein zwischen den beiden bergmännisch gebauten Tunnelröhren verbliebener gewachsener und in geringer Tiefe anstehender Sandsteinblock diente bei der Gründungskonzeption als steifer Fixpunkt. Bereits in dem vorgeschalteten Realisierungswettbewerb wurde für den Gebäudegrundriss eine größtmögliche Flexibilität durch Stützenfreiheit in den Ausstellungsräumen herausgearbeitet. Gebäudekubatur, Tragwerk, Fassade sowie raumbildender Ausbau ließen sich nicht unabhängig voneinander betrachten, sondern mussten als Einheit betrachtet und dementsprechend interdisziplinär beplant werden. So konnte nur durch das Zusammenwirken aller Planungsbeteiligten der Wettbewerbsentwurf mit hohem gestalterischem Anspruch umgesetzt werden.  

Ein Gebäude von hoher Strahlkraft
Versetzt zueinander gestapelte Kuben verleihen dem Gebäude sein prägnantes Aussehen. Das Geburtshaus von Erhard liegt gegenüber dem Rathaus und der Neubau sollte gestalterisch das denkmalgeschützte innerstädtische Umfeld durch Farbigkeit und Materialität aufnehmen. 

Die fugenlose vorgesetzte Sichtbetonfassade trägt nur sich selbst und ist nicht primär am Lastabtrag des Gebäudes beteiligt. Sie ist über Edelstahleinbauteile thermisch vom Gebäude entkoppelt und zwängungsarm angeschlossen. Die Betonage der Ortbetonfassade erfolgte gegen Ansicht des neugebauten eine Kerndämmung aus Foamglas, im Wesentlichen mit einhäuptigen Wandschalungen. Um sich an die Sandsteinbebauung der Umgebung anzupassen, wurde der Sichtbeton mit regionalen Zuschlagstoffen eingefärbt und zusätzlich steinmetzartig bearbeitet. Dieses sogenannte Stocken, Scharrieren und Spitzen wurde in einem erhöhten Vorhaltemaß der Betonüberdeckung tragwerksplanerisch erfasst. Die großformatigen Fassadenflächen wurden so in ihrer optischen Wirkung zusätzlich zu den Versätzen der Kuben gebrochen. 

Im Inneren des Museumsbaus schließt an das großzügige Foyer im Erdgeschoss der Bereich für die Museumspädagogik und die Garderoben an. 

Das 1. und 2. Obergeschoss bieten Flächen für Dauer- und Sonderausstellungen und das 3. Obergeschoss wird als Multifunktionsbereich für Veranstaltungen genutzt. Im 4. Obergeschoss, das als eingerücktes Staffelgeschoss umgesetzt ist, befinden sich die Technikzentralen. Aufgrund der geometrischen Randbedingungen des U-Bahn- Bauwerks erhielt der Neubau lediglich eine Teilunterkellerung. Der Vertikallastabtrag des monolithischen, fugenlosen Stahlbetonbaus erfolgt über die beiden Außenwandachsen und eine durchgehende Innenwand. Hieraus ergaben sich die stützenfreien Geschossebenen mit Deckenspannweiten von 10,90 Metern. Die Deckenebenen bestehen aus additiv aneinandergereihten Halbfertigteilen mit einem Ortbetonverguss. Die geforderte minimierte Konstruktionshöhe von 58 Zentimetern bei einer Schlankheit von l/19 wurde durch eine Vorspannung der Elemente mit Monolitzen ohne Verbund erreicht. Bei den Entwürfen spielte die Zulieferung an die eingeschränkt zu erreichende Baustelle insbesondere bei maximal möglichen Transportlängen und Gewichten eine wesentliche Rolle.

Für die Sichtbeton-Kappendecken im Innenbereich wurden im Fertigteilwerk mit hoher Präzision Halbfertigteile mit konkaven Deckenuntersichten hergestellt. Um hier das optimale Ergebnis zu erzielen, wurden Musterelemente mit verschiedenen Schalungsmaterialien von Holz über Stahl bis hin zu Glasfaserkunststoffen erprobt, schlussendlich erfolgte die Herstellung auf einer Stahlschalung. Für eine einheitliche Oberflächengüte und Farbigkeit der Ortbetonwände wurde der Sichtbeton im selben Fertigteilwerk wie die Deckenelemente hergestellt und mit Fahrmischern auf die Baustelle transportiert. Um die Transportzeiten zu minimieren, erfolgten die Betonagen der Sichtbetonwände nur in den frühen Morgenstunden vor dem Berufsverkehr. Bei den Innenwandkonstruktionen wurden exakt definierte Schalungsansichten umgesetzt, auf die die Arbeits- und Betonierfugen in ihrer Anordnung reagieren. Sichtbar bleibende Arbeitsfugen wurden vermieden. Dieses Vorgehen erfolgte in enger Abstimmung mit dem Rohbauunternehmen.  

Interdisziplinarität machte die Umsetzung erst möglich
Durch die querenden U-Bahn-Tunnel mussten die zulässigen Überbauungslasten bereits bei der Vorplanung der Gebäudesituierung Eingang in die Grundrissüberlegungen finden. Die in den Bereichen mit geringer Überdeckung liegenden Betonkubaturen der Kalotte waren maßgebend für die Tragwerksfindung. Die sich aus der Gestaltung ergebenden geschosshohen und teilweise offenen Kuben erwiesen sich für die Aktivierung der räumlichen Tragwirkung und der gezielten Steuerung des Lastabtrags mit der Verteilung im Baugrund als das Mittel der Wahl. Ein parametrisiertes Gesamtsystem wurde in der Vorplanung als FE-Modell direkt an eine Halbraumberechnung des Bodens gekoppelt. Die steifen Baugrundbereiche über dem Sand-steinstempel, die Tunnelbereiche wie auch der nicht überbaubare Kalottenbereich wurden zusätzlich modelliert. Die Kalotte selbst benötigte aus infrastrukturellen Anforderungen der Verkehrsbetriebe Fürth eine echte Entkopplung – rechnerisch und baulich. Auch diese musste im Modell abgebildet werden, da in diesem Bereich das massive, lastabtragende Fluchttreppenhaus angeordnet ist.

Planerisch wurde dies über Rückhängungen von vertikalen Bauteilen über Wandschotte in Verbindung mit Zentrierungen in den Deckenscheiben erreicht. Die geforderte Entkopplung wurde über Setzungsplatten realisiert, die nach einem Ausspülvorgang einen echten Hohlraum erzeugten. Im Planungsablauf war zusätzlich eine getrennte Prüfung des Standsicherheitsnachweises des Gebäudes von seiner Gründung über der U-Bahn aus formalen Gründen notwendig. Dieser Prozess konnte mittels Lastübergaben auf Geländeniveau erfolgreich koordiniert werden.   

Erst die intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit der Architekten mit zahlreichen Teildisziplinen des konstruktiven Ingenieurbaus – Tragwerksentwicklung, Tiefbau, Spannbetonbau, Fertigteilbau, Sichtbetonbau, Schalungsplanung, Baustellenlogistik und der Haustechnikplanung – hat die funktionale und gestalterische Umsetzung des ambitionierten Entwurfs ermöglicht. Durch das Gründungskonzept mit der gezielten Steuerung der Lastpfade bis in den Baugrund ließ sich das durch die U-Bahn-Bauwerke baulich kaum nutzbare Baufeld überhaupt entwickeln.  

BAUTAFEL

Objekt: Neubau Ludwig Erhard Zentrum
Standort: Fürth
Bauzeit: 2016–2018
Bauherr: Stiftung Ludwig-Erhard-Haus, Fürth

ARCHITEKTEN + INGENIEURE
Tragwerksplaner:
Tragraum Ingenieure PartmbB, Nürnberg
Architekt: Reinhard Bauer Architekten, München
Haustechnik: Ottitsch GmbH & Co. KG, München

BAUAUSFÜHRUNG
Beton- und Stahlbetonbau: 
GS Schenk GmbH, Fürth
Fassade: GS Schenk GmbH, Fürth

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