Eine Einladung in Weiß

green BUILDING 01/2019 (#89)

Organisatorisch und wirtschaftlich bedingte  Umstrukturierungen achten es notwendig, die Kirchengemeinde in Kehl von vier kleinen Pfarrgemeinden auf eine Kirchengemeinde mit nur  noch drei Kirchen und zwei Gemeindezentren zu reduzieren.

Man entschloss sich dazu, die älteste Kirche in Kehl im Stadtteil Kehl-Dorf als    zentralen Ort der Kirchengemeinde  weiterzuentwickeln. Die bereits dort befindliche Verwaltung sollte durch den Neubau eines Gemeindehauses und die Sanierung der 1822 von Hans Voss, einem Weinbrenner-Schüler, erbauten Christuskirche zu einem multifunktionalen Gemeindezentrum erweitert werden.

Die Kirchengemeinde wollte darüber hinaus die Kirche neben Gottesdiensten  auch für Veranstaltungen unterschiedlichster Art öffnen, um damit zum einen den Erhalt des Gebäudes zu sichern, zum anderen aber auch den Kirchplatz in Kehl-Dorf zu einem einladenden öffentlichen Ort zu machen, der zusammen mit der Kirche den Stadtraum prägt und als Identifikationspunkt im heterogenen Umfeld wahrgenommen wird.

Städtebau
Die Gesamtkonzeption zielt darauf  ab, den Bereich zwischen Friedhofstraße und Kirchgasse neu zu ordnen, öffent liche Räume zu schaffen und die Kirche in ihrer Präsenz im Stadtraum zu stärken. Das neue Gemeindezentrum zieht sich als kompakter Baukörper auf den Bereich nördlich der Christuskirche zurück, belegt die Grundstücksgrenzen entlang der Pfarr- und Kirchgasse und definiert damit den vorhandenen Straßenraum neu.

Im Westen des Grundstücks entsteht im Zusammenspiel von Gemeindezentrum,  Christuskirche und Haus der Kirche der neue Gemeindeplatz. Die Freifläche fungiert als Bindeglied zwischen den drei Bauten der Kirchengemeinde. Sowohl der Haupteingang des Hauses der Kirche als auch des Gemeindezentrums werden direkt von dort erschlossen. Der wieder hergestellte, ursprünglich vorhandene Westeingang der Christuskirche ermöglicht die logische Einbindung derselben in das Gebäudeensemble, sodass eine campusartige Situation mit einer gemeinsam nutzbaren Außenfläche entsteht.

Im Süden befindet sich der Kirchplatz mit dem darauf zentral ausgerichteten Haupteingang der Christuskirche. Im Zuge der Sanierung und städtebau - lichen Neuordnung wurde der Platz zur Friedhofstraße hin geöffnet, die unübersichtliche Rampenanlage am Eingang wurde zurückgebaut und durch ein neues Portal ersetzt.

Gemeindehaus
Die räumliche Konzeption des Gemeindehauses  ähnelt der eines Kreuzgangs, dessen zentrales Element allerdings  ein Innenhof, sondern der Veranstaltungssaal der Gemeinde darstellt. Durch eine größere Raumhöhe und ein seitliches Oberlicht, das der Belichtung und Belüftung dient, ist dieser zentrale, stützenfreie Gemeindesaal von außen abzulesen. Rundherum ist die Erschließung und ein entlang der geschlossenen Fassade verlaufendes Band von Nebenräumen angeordnet, welche durch zwei große Fensterflächen unterbrochen wird, die die Belichtung sowohl der Besprechungs- und Gruppenräume als auch der Flurzone gewährleisten.

Über Faltwände lassen sich der Veranstaltungssaal und die beiden angrenzenden Gruppenräume in zahlreichen Kombinationen zusammenschalten. Somit wird eine maximale Flexibilität in der Nutzung gewährleistet. Bei größeren  Veranstaltungen fungiert zudem das längs entwickelte Foyer des Gemeindehauses mit Haupteingang zum Gemeindeplatz als Bindeglied zwischen  Außenraum, Gemeindesaal und Kirchenraum. Es entsteht dadurch ein zusammenhängendes   Raumkontinuum mit  wechselnden Qualitäten, das Neu und Alt sowie Innen- und Außenraum miteinander verbindet und darüber hinaus  im Alltag eine Beziehung zwischen den beiden Gebäudeteilen herstellt.

Material
Ganz im Sinne von Weinbrenners  Klassizismus wird die Architektur des Gemeindehauses von einer durchgängigen,klaren geometrischen Ordnung,  präzisen Details, dem Umgang mit Licht und einem puren und nachvollziehbaren Materialeinsatz bestimmt.

Der Neubau wurde mit mineralisch gedämmten Hochlochziegeln gemauert. Die Struktur des monolithischen Ziegelmauerwerks bleibt als technisches  Ornament sichtbar, da die Steine teilweise nur mit Kalk geschlämmt, teilweise  glatt gespachtelt wurden. So ergibt sich im Zusammenspiel der Ziegel, ihrer Endbehandlung und der wechselnden Lichtsituationen im Haus ein lebendiges  Spiel unterschiedlich strukturierter Oberflächen. Der Boden des Gemeindehauses wurde in allen Bereichen als geschliffener Zementestrich ausgeführt, dessen sichtbarer Zuschlag aus Rheinkies eine mit dem Ort verbundene Identität und Farbigkeit verleiht.

Die große Spannweite des Veranstaltungssaals wurde mit einem System  aus Trägern und Deckenelementen aus Sperrholz realisiert. Die Holzoberflächen wurden hell lasiert und an die Farbigkeit der geschlämmten Wände angeglichen.  In Kombination mit den seitlich angeordneten Oberlichtern ergibt sich ein  reizvolles Spiel der Konstruktion und  Struktur mit dem über den Tag wechselnden Lichteinfall. Bei Nacht kommuniziert das Gebäude sowohl über die großen Fenster, als auch über den aus dem Dach heraustretenden „Leuchtkörper“ mit seiner Umgebung.

Konzept Christuskirche 
Die Sanierung der alten Substanz der  Kirche verfolgte das Ziel, die ursprüngliche Gestalt und Farbigkeit der klassizistischen Kirche zu rekonstruieren, um dem Gebäude seine unverfälschte Qualität  und Identität zurückzugeben. In Kombination mit den neuzeitlichen Eingriffen entstand so ein neuer Ort, der sowohl  hinsichtlich der Gestaltung als auch in seiner Nutzung Tradition und Zukunft miteinander verbindet.

Die Reaktivierung des Westeingangs bedeutet funktional die Anbindung der  Christuskirche an den Gemeindeplatz, architektonisch die für einen authentischen Raumeindruck notwendige Symmetrie innerhalb eines klassizistischen Raumgefüges.

Um mit einem multifunktionalen Kirchenraum unterschiedlichsten Nutzungen, vom kleinen und großen Gottesdienst und der Kinderkirche bis zum Gemeindefest und Kirchenkonzert, gerecht zu werden, wurden die beste henden Kirchenbänke zugunsten einer flexiblen Bestuhlung aufgegeben. Weiter wurden ebenfalls alle Prinzipalien als  mobile „Möbelstücke“ konzipiert, um eine maximale Flexibilität des Kirchenraums zu gewährleisten. Das wichtigste neue Element ist allerdings eine in der Längsachse der Kirche verschiebbare und aufklappbare Wand, die unterschiedliche Raumzuschnitte und -Proportionen, sowie die Abtrennung kleinerer Rückzugsbereiche ermöglicht und damit die vielfältige Nutzung der Kirche wesentlich unterstützt.

Alle Einbauten wurden konsequent in Eiche natur gehalten und gehen damit in einen feinen Kontrast zum Bestand, der in seine helle, monochrome Farbgebung zurückgeführt wurde.

Der vorhandene, nicht originale Boden der Kirche wurde zurückgebaut und durch eine stufenlose Ebene ersetzt. Der neue Bodenbelag, ebenfalls ein geschliffener Zementestrich mit farbigem Zuschlag, setzt sich vom Kirchenraum ausdurch den Eingangsturm bis nach außen in Form einer Eingangsrampe fort.  Gemäß der ursprünglichen Konzeption wird der Kirchenraum über die großen, mit Klarglas versehenen Fensteröffnungen mit Tageslicht geflutet. Die hellen  und matten Wandoberflächen haben einen stark streuenden Charakter und  führen im Raum zu einer gleichmäßigen und hellen Ausleuchtung. In den Abendstunden erfolgt die Beleuchtung über abgependelte Leuchten aus Mattglas. Die Leuchten lassen sich durch ihre flexible Schaltbarkeit gut an die jeweilige Raumkonfiguration anpassen.

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