Sicherheit ist ein nicht verhandelbares Gut!

Verantwortung, Haftung und Vergütung: Bauwerksprüfung nach DIN 1076

Deutsches Ingenieurblatt 4/2021
FKT
Recht

In diesem nun dritten und abschließenden Teil zu den Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 schildern Vertreter des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, der Bundesingenieurkammer, der Autobahngesellschaft und des Deutschen Städte- und Gemeindebunds ihre Sicht auf die Notwendigkeit dieser Leistung. Die Fragen stellten die beiden Autoren. Gesprächspartner waren MinRat Prof. Dr.-Ing. Gero Marzahn (Referatsleiter Ingenieurbauwerke im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur), Dr.-Ing. Heinrich Bökamp (Präsident der Bundesingenieurkammer und der Ingenieurkammer NRW), Prof. Dr.-Ing. Christian Lippold (Leiter Geschäftsbereich Planung, Bau und Innovation bei der Autobahn GmbH des Bundes) und Prof. Dr.-Ing. Uwe Willberg (Leiter Geschäftsbereich Brücken- und Ingenieurbau bei der Autobahn GmbH Niederlassung Südbayern) sowie Timm Fuchs (Beigeordneter für Energiepolitik, Grundsätze der Verkehrspolitik, Ländliche Räume, Konzessionsverträge und Konzessionsabgaben beim Deutschen Städte- und Gemeindebund).

Fragen an Prof. Dr.-Ing. Gero Marzahn (BMVI): 

Die DIN 1076 wurde bereits 1930 als technisches Regelwerk eingeführt und bisher nur wenig verändert. Danach sind insbesondere alle sechs Jahre Hauptprüfungen vorgeschrieben, die handnah durchzuführen sind. Hat sich das Verfahren nach Ihrer Erfahrung bewährt und ist die Norm trotz neuer technischer Entwicklungen noch zeitgemäß?

Gero Marzahn: Die DIN 1076 stellt ein „zeitloses“ Regelwerk dar, das für die Gewährleistung der Sicherheit und Dauerhaftigkeit der Ingenieurbauwerke unverzichtbar ist; die Norm hat sich bewährt. Gerade die festen Zyklen zwischen den Haupt- und Einfachen Prüfungen lassen jederzeit einen guten und steten Überblick über den Zustand und dessen Entwicklung zu. In Ergänzung zur DIN 1076 ist eine Richtlinie des Bundes, die RI-EBW-PRÜF1, ebenfalls wichtig und anzuwenden. Diese Richtlinie geht auf die Besonderheiten von DIN 1076 ein und konkretisiert die normativen Anforderungen bei der praktischen Prüftätigkeit. Weil auch in der Bauwerksprüfung die Bedeutung und Anwendungsbreite digitaler Methoden, wie z. B. der Einsatz bildgebender digitalisierter Prüfverfahren oder auch KIbasierter Auswertemöglichkeiten, wachsen, ergeben sich Potenziale, aber auch Anforderungen hinsichtlich der technischen Weiterentwicklung beider Normen.

Teilweise wird behauptet, dass durch Digitalisierung, Monitoring und andere technische Entwicklungen Brückenprüfungen in der bisherigen Form künftig entbehrlich werden könnten. Wie ist die Meinung des BMVI dazu?

Gero Marzahn: Das BMVI unterstützt die Entwicklung der Digitalisierung und den Einsatz von Sensorik, Monitoringsystemen und anderer zukunftsweisender Verfahren zur Verstetigung des Überwachungsprozesses der Bauwerke. Diese Maßnahmen stellen moderne Hilfsmittel bei der Bauwerksprüfung und Bauwerkserhaltung dar und können die wichtige Arbeit der speziell ausgebildeten und kontinuierlich geschulten Bauwerksprüfingenieure gezielt unterstützen. Den Ingenieurverstand eines gut ausgebildeten Ingenieurs der Bauwerksprüfung können diese Hilfsmittel allerdings nicht ersetzen. Aus gutem Grund fordert DIN 1076: „Mit den Prüfungen ist ein sachkundiger Ingenieur zu betrauen, der auch die statischen und konstruktiven Verhältnisse der Bauwerke beurteilen kann.“

Gibt es — soweit Ihnen bekannt — bei Bund, Ländern oder Gemeinden Überlegungen, aus personellen oder finanziellen Gründen die eigentlich vorgesehenen Fristen für die vorgeschriebenen Bauwerksprüfungen zu verlängern?

Gero Marzahn: Grundsätzliche Überlegungen zur Änderung der Prüffristen sind nicht bekannt. Finanzielle oder personelle Gründe für die Verlängerung von Prüffristen darf es auch nicht geben, da es hier um die Sicherheit der Bauwerke und seiner Nutzer und somit um die Verkehrssicherheit gemäß den gesetzlichen Forderungen geht. Die bisherigen Fristen haben sich auch im internationalen Maßstab bewährt, sodass es keinen Grund gibt, davon abzuweichen. Allerdings lässt sich der Prüfumfang bedarfsgerecht steuern. So werden detaillierte Untersuchungen von besonderen Bauteilen, z. B. die magnetinduktive Prüfung der Seile von Schrägseilbrücken, heute zeitlich gestaffelt geprüft. Zu diesem Zweck wurden Prüfhandbücher für besondere Bauwerke oder Bauteile erarbeitet und dienen dem Bauwerksprüfingenieur zur Vorbereitung der Prüfung der betreffenden Bauwerke. Auf der BASt-Homepage werden Prüfhandbücher als Muster kostenfrei zum Download angeboten.

Haben Sie den Eindruck, dass die Baulastträger und auch die politisch Verantwortlichen sich durchgehend ihrer Verantwortung und auch der rechtlichen Konsequenzen einer unzureichenden Bauüberwachung bewusst sind?

Gero Marzahn: Für Brücken und Ingenieurbauwerke an Bundesfernstraßen sowie Landes- und Staatsstraßen ist dieses Bewusstsein im vergangenen Jahrzehnt stark gestiegen und inzwischen sehr ausgeprägt. Bei vielen Kongressen, sonstigen Fachveranstaltungen, Dokumentationen, Fortbildungen und Veröffentlichungen wird auf die Bedeutung der Bauwerksprüfung immer wieder hingewiesen. Auch im kommunalen Bereich werden diesbezüglich große Anstrengungen unternommen.

Aktuelle Unfälle in den vergangenen Monaten (Absturz eines Brückenteils auf eine Bahnlinie bei Voßhaar, Umkippen einer Lärmschutzwand an der BAB A3) haben gezeigt, dass nicht alle Gefahrenpotenziale bei Brückenprüfungen erkannt werden können. Müssen Brückenprüfungen verbessert oder angepasst werden?

Gero Marzahn: Bei der Weiterentwicklung der Regelwerke für die Bauwerksprüfung, wie z. B. die RI-EBW-PRÜF, fließen die Erkenntnisse aktueller Schadensfälle immer wieder ein, indem die vorhandenen Regelungen hinsichtlich ihres Verbesserungsbedarfs hinterfragt und ggf. nachjustiert werden. So führte der tragische Schadensfall an einer Lärmschutzvorsatzschale einer Stützwand dazu, dass ein Prüfhandbuch mit speziellen Prüfhinweisen für diese Bauwerksart entwickelt werden soll. Der Schadensbeispielkatalog der RI-EBWPRÜF, der den Bauwerksprüfern wertvolle Hinweise für eine objektivierte Schadensbewertung gibt, wird entsprechend fortgeschrieben.

Der Erhaltungszustand der Bauwerke an Bundesfernstraßen und anderen Straßen hat sich zwar in den vergangenen Jahren verbessert, ist aber insgesamt noch nicht zufriedenstellend. Welche Bedeutung haben Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 angesichts dieser Situation?

Gero Marzahn: Der Bauwerksprüfung nach DIN 1076 kommt gerade bei Bauwerken mit statischen oder sonstigen Defiziten eine besondere Bedeutung zu, da durch regelmäßige und ggf. auch zeitlich verdichtete Bauwerksprüfungen eine Kontrolle der Entwicklung und Bewertung vorgefundener Schäden möglich ist. Der Bund hat in den vergangenen Jahren erhebliche finanzielle Anstrengungen zur Verbesserung seines Bauwerkszustands auch bei der Brückenmodernisierung unternommen. Das Ergebnis zeigt sich an einem verbesserten Zustand und einer Anhebung der Tragfähigkeit des Bauwerksbestands.

Wie beurteilen Sie die Praxis vieler Baulastträger, einen hohen Anteil von Bauwerksprüfungen zunehmend an Ingenieurbüros zu vergeben?

Gero Marzahn: Die Vergabe der Bauwerksprüfung an Ingenieurbüros hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung zugenommen. Hierbei gilt es aber zu beachten, dass sowohl die beauftragten Ingenieurbüros als auch die beauftragende Verwaltung ihrer Verantwortung bewusst sind und jeweils auf eine nachweisbar gute Ausbildung und Sachkompetenz aufbauen können. Die Vergabe der Bauwerksprüfung an Dritte und ihre Durchführung müssen einem ständigen Controlling unterliegen, worauf sich auch die Anforderung nach sachkundigem Personal in der Verwaltung gründet, um die Leistungserfüllung zu überprüfen. Als günstig hat sich hier das „Vier-Augen-Prinzip“ erwiesen, bei dem eine Prüfung durch Dritte durchgeführt wird, und die darauffolgende Prüfung wieder durch die Verwaltung selbst erfolgt. Zur Sicherung einer hohen Qualität der Bauwerksprüfung auch bei Vergaben an Dritte soll das eingesetzte Personal Dritter einen erfolgreichen Grundlehrgang des VFIB oder darauf aufbauende Aufbaulehrgänge absolviert haben und dies durch ein Zertifikat nachweisen können.

Welche rechtlichen oder technischen Randbedingungen müssen nach Ihrer Meinung bei der Vergabe dieser Leistungen beachtet werden? Gibt es hierzu bundesweite Regelungen oder Empfehlungen oder sind solche künftig vorgesehen?

Gero Marzahn: Die Verantwortung für den verkehrssicheren Zustand der Ingenieurbauwerke verbleibt auch bei Beauftragung Dritter, z. B. an Ingenieurbüros, bei dem Straßenbaulastträger. Er muss die erforderliche Fachkunde anfordern und sich die Qualifikation des beauftragten Dritten nachweisen lassen. Dieses geschieht durch den Nachweis der Eignung des eingesetzten Prüfpersonals. Als nützliches Kriterium hat sich hierbei der Nachweis eines erfolgreich absolvierten Grundlehrgangs bzw. eines nachfolgenden Aufbaulehrgangs des VFIB erwiesen. Als Nachweis gilt hierfür ein erteiltes Zertifikat nach bestandener Prüfung. Bei der Zulassung zur Prüfung zur Erlangung des Zertifikats werden auch Ausbildung und Erfahrung abgeprüft. Darüber hinaus muss bei Vergaben an Dritte sichergestellt werden, dass die Vergütung der Leistung angemessen ist, damit der beauftragte Ingenieur mit der entsprechenden Sorgfalt vorgehen kann. Ein gutes Hilfsmittel ist hierbei die vom VFIB entwickelte „Empfehlung zur Leistungsbeschreibung, Aufwandsermittlung und Vergabe von Leistungen der Bauwerksprüfung nach DIN 1076“. Die Empfehlungen enthalten darüber hinaus wichtige Hinweise zu weiteren Anforderungen an externe Bauwerksprüfer. Gegenwärtig verfolgt der Bund Bestrebungen, die Modalitäten der Vergabe von Bauwerksprüfungen an Dritte in seinen Vergabehandbüchern zu adressieren.

Die Straßenbauverwaltungen und die Ingenieurkammern haben sich 2008 zur Förderung der Qualitätssicherung von Ingenieurinnen und Ingenieuren der Bauwerksprüfung im „Verein der Ingenieure der Bauwerksprüfung -VFIB“ zusammengeschlossen. Hat sich die Zusammenarbeit aus Ihrer Sicht bewährt und was erwarten Sie künftig vom VFIB?

Gero Marzahn: Zur Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Bauwerksprüfung bedarf es entsprechend gut ausgebildeter und kontinuierlich fortgebildeter Bauwerksprüfingenieurinnen und Bauwerksprüfingenieure. Um diesen Prozess zu fördern und als notwendiges Anforderungsmerkmal für Vergaben von Bauwerksprüfungen an Dritte zu entwickeln, wurde durch das seinerzeitige Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gemeinsam mit den Straßenbauverwaltungen der Länder und den deutschen Ingenieurkammern der „Verein für Ingenieure der Bauwerksprüfung (VFIB)“ gegründet. Durch den VFIB werden an vier Standorten (Bochum, Dresden, Feuchtwangen, Lauterbach) einwöchige Lehrgänge angeboten, in denen die Grundlagen der Bauwerksprüfung nach DIN 1076 vermittelt werden. Der Lehrgang schließt mit einer Prüfung und einem Zertifikat ab. Weitere Informationen zum VFIB sind unter www.vfib-ev.de verfügbar. Die Zusammenarbeit mit dem VFIB hat sich hervorragend bewährt und durchweg zu einer weiteren Verbesserung der Qualität der Bauwerksprüfungen geführt. Zukünftig sollten die Anstrengungen zur Verbesserung der Bauwerksprüfung vor allem bei den kleineren Kommunen noch weiter intensiviert werden, da nur ein durchgehend guter und sicherer Bauwerksbestand die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sicherstellt.

Fragen an Dr.-Ing. Heinrich Bökamp (Bundesingenieurkammer/Ingenieurkammer NRW):

Als Präsident der Bundesingenieurkammer und der Ingenieurkammer NRW sind Sie, Herr Dr. Bökamp, für alle Bereiche des Bauingenieurwesens zuständig. Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 sind dabei nur ein relativ kleiner Geschäftsbereich. Welche Bedeutung messen Sie dieser oftmals sehr anspruchsvollen Aufgabe zu?

Heinrich Bökamp: In sicherheitsrelevanten Fragen darf es keine Unterscheidung zwischen „groß“ und „klein“ geben. Sicherheit ist ein nicht verhandelbares Gut! Es ist ureigene Aufgabe des Staats, alles dafür zu tun, dass die Sicherheit seiner Bürger gewährleistet wird. Ein wertvoller und unverzichtbarer Baustein ist dabei unzweifelhaft die Bauwerksprüfung nach DIN 1076.

Für Bauwerksprüfungen sind fundiertes Wissen und langjährige Erfahrungen notwendig. Qualifizierte und erfahrene Ingenieure sind heute schon schwierig zu bekommen. Wie beurteilen Sie die künftige personelle Situation, insbesondere bei solch spezialisierten Aufgabengebieten?

Heinrich Bökamp: Die Personalsituation wird auch in den kommenden Jahren angespannt bleiben. Dies gilt im Besonderen für die Suche nach qualifizierten Ingenieurinnen und Ingenieuren. Bauwerksprüfungen erfordern Praxisnähe; hier wird nicht der EDV-Spezialist gesucht, sondern der erfahrene und mit dem nötigen Augenmaß ausgestattete Ingenieur.

Wie schätzen Sie die Zusammenarbeit zwischen den Ingenieurkammern und den Straßenbauverwaltungen innerhalb des VFIB ein?

Heinrich Bökamp: Der Zusammenschluss aller wesentlichen Akteure im Bereich der Bauwerksprüfung im VFIB war und bleibt ein Glücksfall im Ringen um sichere Bauwerke. Auch hier gilt: „Nur gemeinsam sind wir stark!“ Mit dem VFIB hat die Bauwerksprüfung in Gesellschaft und Politik die so dringend erforderliche Stimme bekommen. Bauwerksprüfungen haben in vielen Jahren an mangelnder Aufmerksamkeit gelitten. Hier hat der VFIB in den vergangenen Jahren vorbildliche und wertvolle Arbeit geleistet. Allen Akteuren gebührt ein besonderer Dank!

Im kommunalen Bereich und insbesondere bei kleineren Kommunen und Gemeinden führen oftmals Personal- und Finanzengpässe dazu, dass notwendige Bauwerksprüfungen und Erhaltungsmaßnahmen nicht rechtzeitig oder nicht in ausreichender Qualität durchgeführt werden. Wie kann man die Verantwortlichen besser unterstützen?

Heinrich Bökamp: An erster Stelle muss gerade in kleineren Kommunen die Bedeutung und Aufmerksamkeit auf die Bauwerksprüfung gestärkt werden. Hier tut Aufklärungsarbeit not. Jede noch so kleine Brücke kann bei Verzicht auf die regelmäßige Prüfung unbemerkt zu einem Standsicherheitsrisiko werden und damit zu einer Gefahr für Leib und Leben der sie benutzenden Menschen.

Wie für Bereiche des Brandschutzes bzw. der Rettungsdienste besteht auch im Bereich der Überwachung und Prüfung sicherheitsrelevanter Teile unserer Brücken und Ingenieurbauwerke die Pflicht des Staats, ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen.

In den vergangenen Jahren hat bereits eine große Zahl an Ingenieurinnen und Ingenieuren das Angebot des VFIB genutzt, einen Lehrgang für die Ausbildung zum Bauwerksprüfer zu besuchen. Hiermit ist gerade für kleinere Kommunen und Gemeinden mit geringem Personalbestand eine gute Möglichkeit gegeben, auf dem Markt eine entsprechende personelle Verstärkung zu akquirieren.

Von den Ingenieurbüros wird vielfach beklagt, dass Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 insbesondere im kommunalen Bereich nicht ausreichend und z. T. auch nicht auskömmlich vergütet werden. Für die statische Prüfung von Bauwerken werden in der RVP hingegen verbindliche Honorare vorgegeben. Halten Sie es für denkbar und zweckmäßig, auch für die Leistungen der Bauwerksprüfingenieure ähnliche Regelungen oder Empfehlungen einzuführen?

Heinrich Bökamp: Sicherheit ist nicht verhandelbar. Es ist zwingend notwendig, dass für sicherheitsrelevante Prüfleistungen ein verbindlicher Korridor für die Honorare existiert. Es muss sichergestellt sein, dass durch ausreichende Vergütung der Aufwand für die Prüfung nach DIN 1076 abgedeckt ist. Hier muss die Leistungserbringung im Vordergrund stehen und nicht ein letztlich für beide Seiten ruinöser Preiswettbewerb.

Seit 1.1.2021 ist die neue Autobahn GmbH des Bundes für Planung, Bau und Erhaltung der Autobahnen und einiger Bundestraßen zuständig. Hierzu gehört auch die regelmäßige Prüfung des sehr umfangreichen Bauwerksbestands. Welche Erwartungen haben Sie an diese neue Organisation und wie können die Ingenieurbüros hierbei unterstützend mitwirken?

Heinrich Bökamp: Mit der Gründung der Autobahn GmbH des Bundes ist ein mit vielen Hoffnungen ausgestattetes Instrument zum weiteren Ausbau und zur Sicherung einer leistungsfähigen Infrastruktur im Bereich der Autobahnen an den Start gegangen. Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, inwieweit die hohen Erwartungen an die Autobahn GmbH in die Tat umgesetzt werden können.

Die nunmehr länderübergreifende Zuständigkeit für die Bauwerke der Autobahnen bietet die Chance, auch die Bauwerksprüfung mit einem einheitlichen Raster und mit hohem Niveau auszustatten. Eine enge Zusammenarbeit mit dem VFIB ist dabei nicht nur wünschenswert, sondern unersetzlich.

Die Digitalisierung schreitet in vielen Aufgabenbereichen schnell voran. Wie wird sich das im Bauingenieurwesen auswirken und welche neuen Chancen können sich hierbei ergeben, z. B. im Bereich der Bauwerksprüfungen?

Heinrich Bökamp: Die Digitalisierung ist invielen Bereichen des Bauingenieurwesens bereits heute angekommen und wird vielfach eingesetzt. Auch in der Bauwerksprüfung stellt die Digitalisierung bereits jetzt ein wertvolles Instrument z. B. bei der Dokumentation oder Verarbeitung von Messdaten dar.

Im Zusammenspiel zwischen erfahrenen Ingenieurinnen und Ingenieuren und den neuen Bausteinen der Digitalisierung steht der Bauwerksprüfung eine leistungsfähige und sichere Zukunft bevor.

Fragen an Prof. Dr.-Ing. Christian Lippold und Prof. Dr.-Ing. Uwe Willberg (Autobahn GmbH):

Seit 1.1.2021 ist die Autobahn GmbH für rund 13.000 km Autobahnen zuständig. Wesentlicher Bestandteil sind hierbei die Ingenieurbauwerke, die regelmäßig geprüft und erhalten werden müssen. Wie werden Sie künftig die Bauwerksprüfungen nach DIN 1076, die bisher von den Straßenbauverwaltungen der Länder durchgeführt wurden, organisieren und wieviel Personal steht Ihnen dazu zur Verfügung?

Christian Lippold/Uwe Willberg: Die Autobahn GmbH hat die Autobahnen und auch einige Kilometer Bundesstraßen von den bisherigen Straßenbauverwaltungen der 16 Bundesländer inklusive aller Ingenieurbauwerke und auch einen Teil des Bauwerksprüfpersonals übernommen.

In den Bundesländern gab es bisher – je nach Größe des Zuständigkeitsbereichs – zwei unterschiedliche Organisationsformen der Bauwerksprüfungen, die „zentrale“ und die „dezentrale“ Organisation. Beide Organisationsformen haben ihre Vor- und Nachteile. Wir müssen jetzt in den nächsten Jahren die Bauwerksprüfungen in den zehn Niederlassungen teilweise neu organisieren bzw. aufbauen. Das dafür erforderliche Personal muss in einigen Niederlassungen noch eingestellt werden. Unser erstes Ziel ist, dass jede Niederlassung in ihrem Zuständigkeitsbereich die Bauwerksprüfung kurzfristig organisiert und die Durchführung in den kommenden Jahren sichert. Weitere Überlegungen werden im Anschluss daran erfolgen, allerdings wird es in jedem Fall eine Aufgabe der jeweiligen Niederlassung bleiben.

Schon bisher wurden von den Straßenbauverwaltungen in unterschiedlichem Umfang Bauwerksprüfungen an Ingenieurbüros vergeben. In welchem Umfang sollen die Bauwerke durch eigenes Personal geprüft werden und in welchen Fällen sollen künftig Bauwerksprüfungen an Externe vergeben werden?

Christian Lippold/Uwe Willberg: Ziel der Autobahn GmbH ist es, stets den Überblick über den Zustand ihrer Ingenieurbauwerke zu behalten. Dazu ist ein ausreichender Anteil an Bauwerksprüfungen in Eigenleistung zwingend erforderlich. Das hängt auch von den verfügbaren Personalkapazitäten ab. Je nach Niederlassung ist dieses Ziel unterschiedlich schnell erreichbar. Mittelfristig streben wir einen Eigenanteil von ca. 30 % bis 50 % bei den Bauwerksprüfungen an.

Die DIN 1076 schreibt u. a. vor, dass mit den Prüfungen ein sachkundiger Ingenieur zu betrauen ist, der auch die statischen und konstruktiven Verhältnisse der Bauwerke beurteilen kann. Viele Baulastträger verlangen hierfür als Mindestvoraussetzung ein Zertifikat des VFIB. Welche Anforderungen wird die Autobahn GmbH bei der Vergabe an Externe stellen?

Christian Lippold/Uwe Willberg: Auch für die Autobahn GmbH ist der sachkundige Ingenieur Garant für die Qualität der Bauwerksprüfung. Als bundeseinheitliches Qualitätsmerkmal für diese Ingenieure hat sich in den vergangenen 12 Jahren das VFIB-Zertifikat etabliert. Diesen Ansatz werden wir übernehmen. Dies bedeutet, dass sowohl unsere eigenen Bauwerksprüfer als auch externe Bauwerksprüfer ihre Qualifikation in der Regel durch das VFIB-Zertifikat nachweisen müssen.

Die Autobahn GmbH ist seit Oktober 2020 ordentliches Mitglied beim VFIB und im Vorstand vertreten. Wie stellen Sie sich die künftige Zusammenarbeit vor und welche Erwartungen gibt es an den VFIB?

Christian Lippold/Uwe Willberg: Wir halten den VFIB und das VFIB-Zertifikat für qualitativ hochwertige Bauwerksprüfungen in Deutschland für zwingend erforderlich. Wir werden unsere Bauwerksprüfer dort ausbilden lassen, werden aber auch gerne geeignete Ausbilder für die entsprechenden VFIB-Lehrgänge zur Verfügung stellen. Darüber hinaus wollen wir unsere Stärken und Interessen als Autobahn GmbH in den Gremien des Vereins einbringen. Nur durch eine Zusammenarbeit aller Baulastträger ist eine entsprechende Qualität der Bauwerksprüfung dauerhaft zu sichern. Dazu braucht es das Engagement aller Straßenbaulastträger im VFIB.

Der VFIB hat zur Qualitätssicherung von Bauwerksprüfungen eine „Empfehlung zur Leistungsbeschreibung, Aufwandsermittlung und Vergabe von Leistungen der Bauwerksprüfung nach DIN 1076“ erarbeitet, die auch vom BMVI zur Anwendung empfohlen wird. Wird dies auch für die Autobahn GmbH Grundlage für die Ausschreibung und Vergabe dieser Leistungen sein?

Christian Lippold/Uwe Willberg: Nachdem die VFIB-Empfehlung u. a. von erfahrenen Mitarbeitern der Straßenbauverwaltungen und von Ingenieurbüros erarbeitet wurde, gibt es für uns keinen Grund, diese Empfehlung nicht einzusetzen. Wichtig für uns sind einheitliche Leistungsbeschreibungen der Bauwerksprüfung in Deutschland, die ja Teil der Empfehlung sind. Darüber hinaus ist die Vereinheitlichung der Zustandsbewertungen nach der RI-EBW-PRÜF wesentliches Element, um einen Gesamtüberblick über den Zustand unserer Bauwerke zu erhalten. Die Aufwandswerte stellen außerdem eine gute Kalkulationsgrundlage für unsere Finanz planung dar.

Die Honorierung der Leistungen bei Bauwerks prüfungen nach DIN 1076 wird von den Straßenbauverwaltungen teilweise sehr unterschiedlich gehandhabt. Wird es hierfür bei der Autobahn GmbH eine einheitliche Regelung geben?

Christian Lippold/Uwe Willberg: Eine leistungsgerechte und angemessene Honorierung ist unseres Erachtens eine zwingende Voraussetzung für qualitativ hochwertige Bauwerksprüfungen. Dies gilt auch für die Autobahn GmbH. Eine einheitliche Vergütungsregelung in Analogie zur RVP der Prüfi ngenieure käme uns sehr entgegen. Dazu gibt es erste Gespräche des VFIB mit dem BMVI, die wir unterstützen.

Als länderübergreifende Zentralverwaltung bestehen für die Autobahn GmbH gute Chancen, das Fernstraßennetz in Deutschland nach übergeordneten Kriterien zukunftsfähig zu machen. Gibt es hierzu schon eine entsprechende Strategie oder ein umfassendes Ertüchtigungsprogramm?

Christian Lippold/Uwe Willberg: Wir streben in diesem Punkt eine enge Zusammenarbeit mit dem BMVI an. Die Autobahnen sind die Verkehrsadern in der Bundesrepublik Deutschland. Eine entsprechende Strategie und ein Ertüchtigungsprogramm werden wir in den nächsten Jahren in Zusammenarbeit mit dem BMVI entwickeln.

Fragen an Timm Fuchs (Deutscher Städte- und Gemeindebund)

Fragen an Timm Fuchs (Deutscher Städte- und Gemeindebund):

Die Kommunalverwaltungen sind für eine Fülle von unterschiedlichen Aufgaben zuständig. U.a. gehören hierzu auch die Überwachung, Unterhaltung und Erhaltung von Verkehrsbauwerken. Wird diese Aufgabe nach Ihrer Meinung, Herr Fuchs, ausreichend wahrgenommen?

Timm Fuchs: Den Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden ist bewusst, dass gerade ein so bedeutendes Thema wie die Sicherheit von Bauten und speziell von Brücken und damit die Bauwerksprüfung keine Unachtsamkeit erlaubt. Wir sehen insbesondere bei kleineren Kommunen aufgrund begrenzter personeller und fi nanzieller Ressourcen unzureichende Kenntnisse. Gerade, wenn aufgrund fehlender Verwaltungsgröße Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu viele Aufgabenbereiche abdecken müssen, gibt es hier Informations- und Aufklärungsbedarf. Die Zusammenarbeit mit dem VFIB, z. B. durch Informationsveranstaltungen, hat bereits deutliche Fortschritte gebracht.

Erhebungen in einigen Bundesländern, wie z. B. durch den Landesrechnungshof Rheinland-Pfalz 2013, haben gezeigt, dass in vielen Kommunen und Gemeinden Bauwerksunterlagen unvollständig sind, Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 nicht oder nicht in den vorgeschriebenen Fristen und kaum Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden. Woran liegt das und wie kann man das ändern?

Timm Fuchs: In Zusammenhang mit der Verkehrsinfrastruktur leben wir von unserer Substanz. Schon in den Kommunen beträgt der Investitionsrückstand allein in diesem Bereich aktuell 37 Milliarden Euro. Der Werteverzehr übersteigt damit deutlich die Neuinvestitionen. Ein Teil der bis vor der Krise guten Haushaltsentwicklung in Bund, Ländern und Kommunen war durch den Verzicht auf Zukunftsinvestitionen leider teuer erkauft. Teilweise können selbst dringend notwendige Instandhaltungsmaßnahmen nicht ausreichend umgesetzt werden. Nötige Investitionen und Reparaturen brauchen schlicht zu lange. Die Corona-Pandemie mit ihren umfassenden Auswirkungen auf die Kommunalfi nanzen darf diese Entwicklung jetzt nicht noch weiter beschleunigen. Den Kommunen als größte öff entliche Auftraggeber und Bauherren fehlen neben der fi nanziellen Unterstützung nicht selten auch investitionsfreundliche Rahmenbedingungen. Hier ist auch die Bundesregierung zur Abänderung aufgefordert. Im Zentrum unserer Forderungen als kommunaler Spitzenverband steht aber weiterhin die kommunale Finanzausstattung.

Wesentliche Ursachen für diese Situation sind u. a. fehlendes Personal und zu geringe Haushaltsmittel. Gibt es Strategien, um dies künftig zu verbessern?

Timm Fuchs: Den Abbau qualifi zierten Personals in Kommunen müssen wir daher nicht nur stoppen, sondern umkehren. Mit Blick auf die Konkurrenz in der Privatwirtschaft muss der öff entliche Dienst seine Vorteile ausspielen und Fachpersonal auch attraktiv vergüten. Die Kommunen sind sich dem bewusst und stellen entsprechend ihrer Möglichkeiten ein. Wir müssen aber auch das Bewusstsein stärken, dass es ausreichender Haushaltsmittel für laufende Aufgaben bedarf. Die Unterhaltung und Erhaltung von Verkehrsbauwerken muss immer wieder auf ihre Auskömmlichkeit hin überprüft werden. Derzeit wirdim Zuge der Verkehrswende auch politisch unserer Verkehrsinfrastruktur endlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Dieses Momentum sollten wir ungeachtet der zusätzlichen Herausforderungen für die Kommunen infolge der Corona-Pandemie nutzen, um die Bestandserhaltung zu stärken. Die gebauten Städte und Gemeinden in Deutschland bilden schließlich das Fundament, auf dem wir die tiefgreifenden Veränderungen wie den Umstieg auf alternative Antriebe und die Stärkung des ÖPNV und Radverkehrs bewältigen müssen.

Haben Sie den Eindruck, dass die Baulastträger und auch die politisch Verantwortlichen sich durchgehend ihrer Verantwortung und auch der rechtlichen Konsequenzen einer unzureichenden Bauüberwachung bewusst sind?

Timm Fuchs: Das Recht weist den Kommunen eine klare Verantwortung zu. Die Kommunen sind Straßenbaulastträger für ihre eigenen Gemeinde- und Kreisstraßen sowie Wirtschaftsstraßen. Hierbei handelt es sich nicht um eine freiwillige, sondern um eine Pflichtaufgabe der kommunalen Selbstverwaltung. Nach § 5 Abs. 2 des Bundesfernstraßengesetzes sind die Gemeinden mit mehr als 80 000 Einwohnern aber auch Träger der Straßenbaulast für Ortsdurchfahrten bei Bundesstraßen. Die Kommunen haben insofern dafür einzustehen, dass ihre Bauten allen Anforderungen der Sicherheit und Ordnung genügen. Entsteht aus der Missachtung dieser kommunalen Pflicht einem Dritten ein Schaden, folgt daraus für die Kommune eine Amtspflichtverletzung, sodass sie dem Dritten den ihm entstandenen Schaden zu ersetzen hat. Dies ist den Verantwortlichen vor Ort bewusst, muss jedoch gerade vor dem Hintergrund des Generationswechsels, den wir derzeit in vielen Kommunalverwaltungen erleben, immer wieder vermittelt werden.

Seit einigen Jahren sind auch die drei kommunalen Spitzenverbände ordentliche Mitglieder im VFIB. Inzwischen hat sich eine gute Zusammenarbeit entwickelt. Hat sich dieser Schritt bewährt und was könnte dabei verbessert werden?

Timm Fuchs: Die kommunalen Spitzenverbände sehen im VFIB einen ganz wesentlichen Partner. Gemeinsam mit unseren Mitgliedsverbänden in den Ländern werden regionale Fortbildungen für die Städte, Landkreise und Gemeinden organisiert. Es ist wichtig, dass die Angebote dezentral und im ganzen Bundesgebiet angeboten werden, um ein niedrigschwelliges Angebot für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ermöglichen. Gemeinsam müssen wir die Kooperation nicht nur zwischen unseren Institutionen, sondern auch zwischen den Kommunen und den VFIB-Ingenieuren vor Ort noch weiter intensivieren. Die Fortbildung und die Zertifizierung müssen dabei weiter im Fokus stehen.

Könnten im Bereich der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 verbindliche Empfehlungen zur Honorierung hilfreich sein?

Timm Fuchs: Eine auskömmliche Vergütung ist zwingende Voraussetzung für eine fachlich korrekte Bauwerksprüfung. Im Vordergrund muss daher in erster Linie die Qualität der beauftragten Leistung stehen. Was bei diesem Thema für die Beauftragung von Ingenieurbüros immer wieder zu betonen ist, gilt ebenso für kommunale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Bau- und Planungsämtern. In Folge finanzieller Engpässe gab es auch in den Kommunalverwaltungen in den vergangenen Jahren vielerorts einen Abbau qualifizierten Fachpersonals und damit des erforderlichen Know-hows. Auf beiden Seiten ist gut ausgebildetes und adäquat bezahltes Personal für eine systematische Bauwerksprüfung und Bauwerkserhaltung dringend notwendig. Nur so können sich Vertreter der Kommunen und Vertreter der privaten Akteure und damit auch Ingenieure der Bauwerksprüfung partnerschaftlich und auf Augenhöhe begegnen.

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