Wahlprüfsteine der planenden Berufe in Deutschland

Bundestagswahl 2021

Deutsches Ingenieurblatt 05/2021
Politik

Die Wahlen zum Deutschen Bundestag im September 2021 werfen ihre Schatten voraus. Die Bundesingenieurkammer adressiert – wie auch in den vergangenen Jahren – bestimmte Forderungen und Positionen an die Politik, die aus ihrer Sicht für die beruflichen Belange der Ingenieurinnen und Ingenieure wesentlich sind.

Zur Bündelung der Kräfte und zur Erhöhung der Schlagkraft konnten sich auch dieses Mal die 18 Organisationen und Verbände der planenden Berufe in Deutschland, die Mitglieder des sog. „Verbändegesprächs“, einer informellen Plattform in Berlin für den gemeinsamen Austausch über aktuell relevante Themen, auf gemeinsame Wahlprüfsteine verständigen. Diese Wahlprüfsteine werden nun den demokratischen Parteien zur Beantwortung zugeleitet.

An der Formulierung der einzelnen Punkte hat die Bundesingenieurkammer im Redaktionsteam federführend mitgewirkt. Die Bandbreite der relevanten Aspekte ist dabei groß und reicht von der Forderung bezahlbaren Wohnraums über Maßnahmen zum Klimaschutz und die Umsetzung der Digitalisierung des Planungs- und Bauwesens bis hin zur Bündelung der Zuständigkeiten für das Planen und Bauen in einer künftigen Bundesregierung.

Die planenden Berufe sorgen dafür, dass die gebaute Umwelt dem gesellschaftlichen Wandel gerecht werden kann. Hierfür bedarf es jedoch adäquater und verlässlicher Rahmenbedingungen für die planenden Berufe in Deutschland, die diese von der Politik einfordern.

Die Punkte der gemeinsamen Wahlprüfsteine im Einzelnen
1. Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch soziale Bodenpolitik und bezahlbaren Wohnraum

Jährlich müssen weiterhin rund 400.000 – vor allem bezahlbare – Wohnungen in Deutschland gebaut werden. Die gesellschaftlich relevante Boden- und Baulandfrage steht dabei oft im Konflikt mit wirtschaftlichen Interessen der Handelnden. Hier bedarf es daher der zusätzlichen Schaffung von Anreizen, z. B. steuerlicher Natur, sowie schlüssiger Konzepte etwa für die Nachverdichtung, die Gebäudeaufstockung oder den Umbau von Nichtwohngebäuden.

2. Integrierte Entwicklung | Stärkung der Infrastruktur
Im Bereich der öffentlichen Infrastruktur besteht nach wie vor ein erheblicher Ausbau- und Sanierungsstau. Hier braucht es geeignete langfristige Maßnahmen, die eine nachhaltige und funktionierende Infrastruktur gewährleisten. Auch ist die Förderung der ländlichen Räume angesichts des hohen Siedlungsdrucks auf die Städte auszubauen. Wichtig in diesem Zusammenhang sind dabei vor allem die Stärkung nachhaltiger Mobilität und die Schaffung von Synergien zwischen peripheren und stadtnahen ländlichen Räumen. Der Breitbandausbau ist zu beschleunigen.

3. Bau- und Ressourcenwende vorantreiben
Nachhaltigkeitsaspekte müssen beim Planen, Bauen und Betreiben stärkere Berücksichtigung finden. Bauwerke werden sich künftig auch daran messen lassen müssen, welchen energetisch-ökologischen Fußabdruck Errichtung, Betrieb und Rückbau hinterlassen. Wir brauchen eine konsequente Bau- und Ressourcenwende. Dafür bedarf es konkreter Maßnahmen im Hinblick auf Förderprogramme und gezielter ordnungs- und steuerrechtlicher Impulse.

4. Klimaresiliente Entwicklung von Städten
Zunehmende Extremwetterereignisse wie Starkregen stellen insbesondere Städte vor große Herausforderungen. Die Klimaresilienz von Städten muss daher – etwa durch Entsiegelung und mehr Stadtgrün – gestärkt werden. Hilfreich sind dafür gesetzliche und förderpolitische Maßnahmen für eine klimaangepasstere Stadtentwicklung und -gestaltung.

5. Praxisnahe Umsetzung der Digitalisierung des Planungs- und Bauwesens
Vom BIM-Kompetenzzentrum des Bundes „BIM Deutschland“ müssen künftig spürbare Mehrwerte für Auftraggebende und die gesamte Wertschöpfungskette Bau ausgehen. Es bedarf dringend geeigneter Fördermaßnahmen und Informationsangebote, um die Digitalisierung weiter voranzutreiben. Auch der öffentliche Sektor weist deutlichen Nachholbedarf auf – die Verwaltung muss umgehend modernisiert und zukunftsfähig gemacht werden.

6. Stärkung der Freiberuflichkeit
Ingenieurinnen und Ingenieure tragen hohe gesellschaftliche Verantwortung. Als freiberuflich Schaffende sind sie als Treuhänder nicht nur denjenigen verpflichtet, die Aufträge vergeben, sondern in besonderer Weise auch dem Gemeinwohl. Ein starker Mittelstand mit robusten betrieblichen Strukturen und eine ausgeprägte Freiberuflichkeit bilden das Rückgrat unseres Standorts.

Das bewährte System der beruflichen Selbstverwaltung muss gestärkt werden. Es sichert die Qualifikationen der Berufsangehörigen sowie die Qualität der Leistungen und entlastet somit den Staat. Die Nachwuchskräftesicherung bei den planenden Berufen ist dabei erfolgskritisch für die Bewältigung anstehender Herausforderungen.

7. Qualitätssicherung auf hohem Niveau
Die Verantwortung für die Errichtung und die Gestaltung der gebauten Umwelt sollte ausschließlich Personen vorbehalten sein, die ihre Qualifikation im Ingenieurwesen oder der Architektur nachgewiesen haben und die einer fachlichen Aufsicht unterliegen. Die Qualifikationsanforderungen an Ingenieurinnen und Ingenieure sind zudem durch Festlegung konkreter technisch-naturwissenschaftlicher Ausbildungsanforderungen, insbesondere in den ingenieurrelevanten Fächern, sicherzustellen.

8. Eine zukunftsfeste Honorarordnung
Nach der Anpassung an die Vorgaben des EuGH-Urteils vom Juli 2019 bedarf es nun einer weitreichenden Novellierung und Modernisierung der HOAI im Hinblick auf die Leistungsbilder und die Honorartafeln. Planungsleistungen sind erfolgskritisch für Bauprojekte – die Honorare der Planenden müssen daher zwingend auskömmlich und fair sein.

9. Qualitätsorientierte Gestaltung der Vergabe öffentlicher Aufträge
Der Preis darf bei der Vergabe von Planungsleistungen keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Wer beim Planen spart, zahlt beim Bau und Betrieb erheblich mehr. Nur eine von der Bauausführung unabhängige Planung ermöglicht dabei die für Bauende notwendige Qualitätssicherung in wirtschaftlicher, funktionaler und gestalterischer Hinsicht. Es ist Aufgabe bei der öffentlichen Auftragsvergabe, den Planungswettbewerb über alle Planungsdisziplinen hinweg als Regelverfahren zu etablieren. Die Kompetenz der öffentlichen Hand als Bauherrin ist dabei weiter zu stärken.

10. Umsetzung praxisgerechterer Normung
Die Zahl neuer Normen hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Die Kluft zwischen technischen Normen und allgemein anerkannten Regeln der Technik nimmt dabei weiter zu. Es ist notwendig, Normprojekte im Bauwesen auf deren Relevanz und das Kosten-Nutzen-Verhältnis zu prüfen. Um Sicherheit und Qualität der Bauplanung und -ausführung in Deutschland auch künftig zu gewährleisten, muss Normung auch international gemeinsam mit der Politik aktiv beeinflusst werden.

11. Förderung des Exports von Planungsleistungen
Deutsche Planungsqualität ist international gefragt. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Planung muss gegenüber den zahlreicher werdenden Komplettangeboten – Planung und Ausführung aus einer Hand – insbesondere aus dem Ausland gestärkt werden. Die bestehenden Instrumente der Außenwirtschaftsförderung müssen daher besser koordiniert und an die Bedürfnisse der Planerinnen und Planer angepasst werden.

12. Ein eigenständiges Bauressort
Der Planungs- und Bausektor ist volkswirtschaftlich von erheblicher Relevanz. Die bestehende Verteilung der Aufgaben für das Planen und Bauen hat sich aus unserer Sicht im Hinblick auf eine kohärente Bau- und Infrastrukturpolitik nicht bewährt. Insbesondere mit Blick auf die anstehenden Herausforderungen ist die Bündelung der Kompetenzen in einem einheitlichen und starken Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung, Mobilität und Infrastruktur unerlässlich.

Mit den gemeinsamen Wahlprüfsteinen richten wir Fragen an die zur Wahl stehenden demokratischen Parteien. Wir möchten wissen, wie sie zu den genannten Punkten stehen und welche Maßnahmen sie planen, um die für Planerinnen und Planer notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen und zu gewährleisten. Die Antworten der Parteien werden wir selbstverständlich zeitnah kommunizieren. Darüber hinaus werden wir als Bundesingenieurkammer natürlich auch weiterhin den Dialog und den direkten Austausch mit der Politik suchen und da, wo nötig, entsprechend Überzeugungsarbeit leisten.

Die Wahlprüfsteine stehen auf der Webseite der Bundesingenieurkammer unter
www.bingk.de zum Download zur Verfügung.

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