Zukunft des Bauens: biobasierte nachhaltige Baumaterialien und -technologien

Symposium
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Naturmaterial am Bau
Baustoffe

Sympoisum der Georg-August-Universität und von Smarter Habitat

Nachhaltiges Bauen im Einklang mit ökologischer, ökonomischer und sozial-humanitärer Verantwortung war das zentrale Thema beim Symposium "Die Zukunft des Bauens", das in Kooperation des Münchner Start-up Smarter Habitat und dem Büsgen-Institut der Georg-August-Universität Göttingen am 27. Februar 2023 im dortigen Institutshörsaals stattfand. Sowohl die Vorträge als auch die Podiumsdiskussion zeigten auf, wie neue, zukunftsfähige Ansätze den Paradigmenwechsel hin zu einem nachhaltigen, CO₂-neutralen Bauen künftig beschleunigen können. Damit der Wandel gelingt, muss die Maxime lauten: Im Schulterschluss von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik diese Transformation mit hoher Innovations- und Investionsbereitschaft schnellstens umsetzen – darin waren sich Referenten und Teilnehmer einig.

"Wir können Gebäude anders denken, wir können Bauen anders denken!"

Die Eröffnungsrede von Martin Prösler, Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V. (DGNB) und Inhaber der in diesem Themenbereich seit langem beheimateten Agentur Proesler Kommunikation, war Weckruf und Appell zugleich. Unter der Überschrift "Popcorn – Sinn und Zuversicht" forderte er in seiner Keynote alle an der Bauwende beteiligten Akteure auf, gemeinsam, mit einer klaren, auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Zielsetzung und voller Zuversicht vorwärts zu marschieren.

Das Momentum für den Wandel sei aktuell groß und es geschehe viel: Die Baubranche, die in der Vergangenheit eher als innovationsträge galt, habe sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Hier bestehe großes Interesse, konventionelle Baumateriaien durch biobasierte zu ersetzen.

  • Als Beispiel nannte er einige Start-up-Projekte (Begrünung von Steildächern, Brückenbau aus Flachs oder Reisabfälle als Dämmstoff), die in diesem Bereich einen kräftigen Schub ausgelöst hätten.
  • Es brauche aber auch Unternehmer wie Datty Ruth (Gründer von Smarter Habitat), die mit Mut und Risikobereitschaft ihre zukunftsorienterten Produktideen mittels neuartiger Geschäftsmodelle umsetzen wollen.
  • Es brauche die Wissenschaft, die bereits jahrelang zu nachhaltigen Lösungen für den Bausektor forscht und wertvolle Erkenntnisse hat.
  • Und es brauche für den Wandel ein neues, zuversichtliches Denken, gepaart mit Innovations- sowie Investitions-Offenheit.

Dem Bausektor soll mit Gründung von Smarter Habitat ein biobasiertes, kosten- und ressourcenschonendes Baumaterial aus pflanzlichen, regional verfügbaren Rohstoffen angeboten werden.

Alternativen für Gipsplatten & Co.

In mehrjähriger Forschungs- und Entwicklungsarbeit in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut IMWS und der dort ansässigen C3 Technologies GmbH in Halle (Saale) sowie der Arbeitsgruppe "Chemie und Verfahrenstechnik von Verbundwerkstoffen" der Universität Göttingen wurden die material- und verfahrenstechnischen Grundlagen für die ecoHAB©-Paneele von Smarter Habitat für die industrielle Fertigung gelegt. Sie eignen sich insbesondere für den Trockenbau und weisen als zirkuläre, grüne Alternative zu den bislang verwendeten rohstoff-, energie- und kostenintensiven Produkten wie z.B. Gipsplatten ein hohes Substitutionspotenzial auf. Neben hervorragenden physikalischen Eigenschaften sind die Leichtbau-Paneele zudem wiederverwendbar, recyclebar und kompostierbar – anders als Gipskarton- und Gipsfaserplatten, von denen 2020 laut Statista allein in Deutschland 265 Mio. m² produziert und rund 280.000t (2019) als Abfall in Deponien entsorgt wurden.

Einen schnellen globalen Rollout will Smarter Habitat über zwei Geschäftsfelder erzielen: Zum einen ist dies die Errichtung einer Pilotfabrik im rheinland-pfälzischen Ramstein zur Fertigung von Kleinserien und die Serienproduktion für Trockenbau-Paneele für den deutschen und europäischen Markt.

Mit Popcorn im Kino fing alles an

Um "Popcorn als idealen Verbundwerkstoff für Leichtbau-Paneele" drehte sich der Vortrag von Prof. Dr. habil. Alireza Kharazipour, Leiter der Arbeitsgruppe "Chemie und Verfahrenstechnik von Verbundwerkstoffen" am Büsgen-Institut der Universität Göttingen. Auf der Suche nach einem geeigneten Ersatz für den Rohstoff Holz und auch für Kunstoff bei der Verbundwerkstoffherstellung kam ihm schon vor 15 Jahren anlässlich eines Kinobesuchs beim Popcorn-Essen die Idee, diese natürliche Ressource näher zu erforschen. Dabei setzt das Institut für seine Experimente stärkehaltige Getreide­sorten wie Futtermais, Reis oder Hirse ein, die sich durch ihre strukturgebenden und dimensions­­stabilisierenden Eigenschaften auszeichnen und nicht als Nahrungsmittel verwendet werden. Der zunächst im Labor­maßstab entwickelte Herstellungsprozess wird heute weitestgehend auch bei der industriellen Fertigung eingesetzt: Die Körner werden zu Maisgries gemahlen und anschließend in einer (automatisierten) Banddurchlaufmaschine unter großer Hitzezufuhr aufgepufft (expandiert). Danach wird das gepoppte Material in einem Mischaggregat dem Coating-Prozess unterzogen, in dem es verleimt und danach in einem speziellen Verfahren hydrophobiert und gegen Schädlingsfraß imprägniert wird. Zum Schluss wird das Material gepresst und Form gebracht.

Für die industrielle Fertigung sieht hier eine energieschonende Radiowellen-Technologie, die eine dreidimensionale Formung innerhalb von Sekunden ermöglicht. Die Anwendungsbereiche der popcornbasierten, ultraleichten Verbundwerkstoffe sind vielseitig: als Kernlagen für Dämmplatten, als Verbundplatten für Wandinnenverkleidungen oder als so genannte Sandwich-Platten, die als Leichtbau-Paneele, Raumtrenner, Akustikwände u.v.m. eingesetzt werden können. Die hochmoderne 2D- und 3D-Formungstechnologie erlaubt darüber hinaus auch die Fertigung individueller Verpackungen – ein idealer Ersatz für das nicht recyclebare Styropor – bis hin zu Kinderspielzeug und Möbeln. Seinen Vortrag schloss Professor Kharazipour mit der Danksagung an die Dozenten und Studenten, die bei diesen Entwicklungen mitgewirkt haben, sowie den Kooperations­partnern aus der Industrie und den Lizenznehmern, die dafür sorgen, dass die universitäre Forschung in marktreife Produkte umgesetzt wird und somit einen wertvollen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.

Prozesstechnologien für Biogranulate

Einer der Kooperationspartner der Universität Göttingen ist die CEREX AG mit Sitz im schweizerischen Bleienbach bei Bern. Ihr Inhaber und Geschäftsführer Rudolf Bichsel betonte eingangs in seinem Vortrag, wie wichtig es angesichts des Klimawandels ist, umweltschädlichen Kunststoffschaum wie z.B. EPS (Expandiertes Polystyrol/Styropor) durch Biopartikelschaum, der mit Bioklebstoffen verarbeitet wird, zu ersetzen. Die Basis bildet eine einzigartige Prozesstechnologie, die das Unternehmen in jahrelanger Arbeit für die Herstellung von Cerealien entwickelt und die es in diesem Bereich zum Weltmarktführer gemacht hat.

Dieses Wissen und das CEREX-eigene, weitestgehend patentierte Know-how wird jetzt auch für die Verarbeitung von Biogranulaten als Verbundwerkstoff eingesetzt – stets unter der Prämisse, der Bauindustrie ein rein pflanzliches und nachhaltiges Material anzubieten. Verwendet wird hierfür ausschließlich Futtermais (s.g. Industriemais), da der Popcorn-Mais aufgrund seiner Schalenteile und niedriger Erträge ungeeignet ist. In einem ersten Schritt wird der Mais gereinigt und in einer speziell entwickelten Mahlanlage granuliert. Im darauf folgenden Puffing-Prozess wird das Granulat expandiert. Beim Coating wird das aufgepuffte Material mit einem wärmereaktiven Bio-Leim mit integriertem Schädlingsschutz behandelt und hydrophobiert. Für die Formgebung wird die Radiowellen-Technologie eingesetzt (Kurtz-Ersa WaveFoamer), mit der das biobasierte Material in unterschiedlichste Formen – für den Bausektor vornehmlich zu Platten – gepresst wird.

Alles in allem steht somit ein biobasiertes Baumaterial zur Verfügung, das vielseitig einsetzbar, robust und durch die richtige Beleimung schwer brennbar ist. In Tests wurde nachgewiesen, dass selbst bei 1.300 Grad° nur die Außenschicht schmilzt bzw. verkohlt. Weiterer Vorteil: Durch Verbrennung über Biogasanlagen oder als Düngemittel nach der Verrottung kann das Material im Sinne der Nachhaltigkeit in einen natürlichen Kreislauf zurückgeführt werden.

"In 20 Jahren werden pflanzenbasierte Baumaterialien Standard sein!"

"Wenn die Differenz der ausgestoßenen Emissionen und der Emissionen, die durch Produktion von CO₂-freier Energie eingespart werden, innerhalb eines Jahres Null oder kleiner als Null ist, spricht man von klimaneutralem Bauen." Mit dieser akademischen Definition leitete Privatdozent Dr. Markus Euring, Leiter der Arbeitsgruppe „Holzwerkstoffe und Hybrid­materialien am Burckhardt-Institut der Universität Göttingen und CAO des dortigen Biotechnikums, seinen Vortrag ein.

An erster Stelle steht hier die Nutzung nachwachsender Rohstoffe mitsamt ihrer Vorteile: Sie sind kreislauffähig, können sortenrein getrennt werden und ihre Wertschöpfungskette durch Nutzungskaskaden vertiefen (Recycling, energetische Nutzung, Wiederverwertbarkeit etc.) – kurzum, sie machen Gebäude zu neuen Rohstoffquellen. Zudem weisen sie einen niedrigen CO₂-Fußabdruck auf – insbesondere Popcorn bzw. Mais, der als C4-Pflanze mehr CO₂ bindet als vergleichbare nachwachsende Rohstoffe und schneller Biomasse aufbaut. Hinzu kommen weitere CO₂-Einsparungen im Herstellungsprozess und beim Transport.

Daher ist es naheliegend, diesen Rohstoff in Baumaterial einzusetzen: Er speichert Wärme und eignet sich somit bestens als Dämmstoff und kann aufgrund seiner hohen Schallabsorbtion ideal im Wohnungsbau genutzt werden. Als Plattenmaterial wird dieser natürliche Rohstoff durch ebenfalls biobasierte Bindemittel und Beschichtungen wasserabweisend und schädlingsresistent gemacht und weist hinsichtlich Brandschutz und Stabilität sehr erfreuliche Ergebnisse aus.

Brandschutz – ein wesentlicher Faktor für nachhaltiges Bauen

Von der Firma IGNI Global Protection srl mit Sitz im rumänischen Timişoara war Dipl. Oec. Franz Angerer, Marketing/Sales, als Referent eingeladen. Das Unternehmen hat sich mit seinen biologischen Brandschutzmitteln einen Namen gemacht und ist Kooperationspartner von Smarter Habitat. Franz Angerer war es sehr wichtig zu betonen, dass alle Brandschutzmittel des Unternehmens biologisch abbaubar sind – also "grüne Produkte". Sie sind nach der höchsten Brandschutzklasse A1 und der höchsten Rauchdämmungsklasse S1 zertifiziert und haben darüber hinaus eine extrem hohe thermo-isolierende Wirkung. "Durch die Komponenten, mit denen wir unsere Produkte herstellen, sind wir in der Lage, sie ganz individuell auf ihre Anwendung hin anzupassen," nannte er einen weiteren Vorteil und ergänzte: "Wir können sie auf die unterschiedlichsten Trägermaterialien anpassen – von den vorgestellten Modulbauwänden über Holz, Kunststoff bis hin zu Fiberglas, das vor allem im Schiffsbau verwendet wird, können wir sie flähendeckend anpassen."