Entwicklung pragmatischer Handlungsoptionen für nachhaltige Gebäude

Teil 3: Nachhaltigkeit im Bauwesen

Deutsches Ingenieurblatt 12/2021
Gesamtausgabe
Videor E. Harting GmbH
Green Engineering: Umwelt, Energie, Mensch
Meinung

Vor dem Hintergrund des in Teil 1 und 2 dargestellten Ausgangsszenarios, das die Wertigkeit von Nachhaltigkeit trotz der angeführten Einschränkungen grundsätzlich untermauert, gilt es, der nachhaltigen Entwicklung des Bauwesens den Weg zu ebnen. Es ist höchste Zeit zu handeln und zwar pragmatisch! Der hinreichend bekannte Fokus ausschließlich auf Primärenergie- und Transmissionswärmebedarfe greift allerdings zu kurz. Wenn das Fernziel der Dekarbonisierung erreicht werden soll, wird dazu ein ganzheitlicher Ansatz benötigt. Dann muss im Neubau und im Bestand grundsätzlich nachhaltig geplant und gebaut werden. Es gilt, die notwendigen Prozesse und Projekte z. B. durch ordnungsrechtliche Ge- und Verbote zu fordern und – durch ökonomische Anreizmechanismen – zu fördern.

Die Förderrichtlinien der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die seit dem 01.07.2021 durch die „Bundesförderung für effiziente Gebäude“ [1] gültig sind, liefern hierzu erste konstruktive Ansätze. So werden Nachhaltigkeitszertifikate, die baubegleitend erarbeitet werden, sowohl mit einer höheren Fördersumme als auch einer um 5 % höheren Förderung belohnt. Dabei sollte analog zum Credo des DGNB-Systems für Sanierungen [2] im Zweifelsfall gelten: Erhalt statt Neubau! In diesem Zusammenhang fehlt heute eine einfach zu implementierende Regelung, mit der ältere – bisher noch nicht energetisch sanierte – Gebäude mit Entstehungsdatum z. B. vor der ersten Wärmeschutzverordnung [3] deutlich höher gefördert werden. Sanierungen pauschal und unabhängig vom Gebäudebaujahr und dem aktuellen energetischen Zustand zu fördern, erachten die Autoren als signifikante Fehlentwicklung.

Darüber hinaus müssen Komponenten bedient werden, die aktuell quasi ignoriert werden, inhaltlich und anwendermäßig hochgradig praktikabel und effektiv sind sowie erste substanzielle Vergleichsmöglichkeiten schaffen. Es handelt sich um „Lebenszykluskosten“ und „Ökobilanzen“. Um beide in Expertenkreisen durchaus bewährte Instrumentarien zu etablieren, ist eine pragmatische Anknüpfung an vorhandene Regelungen sinnvoll.

Forderungen bzgl. der Lebenszykluskosten („LZK“)
Die Investitionskosten werden definiert über die DIN 276 [4] und die Kostengruppen 100 bis 800. Die sogenannten Baunutzungskosten, inhaltlich mit den Betriebs- oder Folgekosten vergleichbar, werden spezifiziert in der DIN 18960 [5] und den Kostengruppen 100 bis 400. Bekanntermaßen betragen die Baunutzungskosten ein Vielfaches der originären Investitionskosten. Das gilt es nun durch ein entsprechendes Verhältnis der Kostenarten, Nutzungs- und Investitionskosten zu würdigen. Dabei entspricht der Dividend den Nutzungskosten, während die Investitionskosten den Divisor darstellen. Für eine erste Klassifizierung ist ein Verhältnis kleiner als 3 in Abhängigkeit vom Nutzungsprofil des Projekts, z. B. Wohnen, Büro, Gewerbe, erstrebenswert und grundsätzlich förderungswürdig. Das bedeutet, dass – über einen Betrachtungszeitraum von 50 Jahren hinweg – die Nutzungskosten höchsten dreimal so groß sind wie die Investitionskosten Alternativ ist ein Maximalwert, z. B. 2.000,- €, in Abhängigkeit von Wohnfläche, m² Wfl., oder Kubatur, m³ BRI, denkbar, der den durchschnittlichen Barwert in Euro der jährlichen Folgekosten beschreibt.

Die Basis zur Ermittlung der LZK bietet die Gefma-Richtlinie 220-1 [6] im Zusammenhang mit der DIN 276 [4] und der DIN 18960 [5]. Für die Berechnung stehen unterschiedliche Modelle bereit. Die statischen Methoden agieren rein periodisch und berücksichtigen den tatsächlichen Zeitpunkt des Zahlungsanfalls nicht. Da aber gerade der Fokus auf die Betrachtung der Gesamtnutzungsdauer gerichtet werden soll, ist dieses Modell nicht opportun. Vorteilhafter sind die dynamischen Methoden. Sie bilden den Zeitwert des Geldes durch Diskontierung künftiger Zahlungen und Zahlungsströme auf den Betrachtungszeitpunkt ab. Ermittelt werden die LZK dann über die sogenannte Kapitalwertmethode. Der Kapitalwert ergibt sich aus der Summe der Barwerte aller Zahlungen, die im Lebenszyklus des Gebäudes fällig werden. Damit lässt sich abwägen, in welchem Maß anfängliche Mehraufwendungen durch spätere Einsparungen kompensiert werden. Diese Methode erfasst somit exakt die gewünschte Betrachter-Perspektive, die den am Bau Beteiligten vermittelt werden soll.

Im DGNB-System steht ein vereinfachtes Verfahren der Kapitalwertmethode zur Verfügung, das sich für den Wohnungsbau anbietet [7]. Hilfsmittel sind ausgewählte Herstellungskosten (KGR 300 und 400 der DIN 276-1 [4]) sowie Nutzungskosten (Ver- und Entsorgungskosten von Wasser/Abwasser, Energie, Reinigungs-, Inspektions-, Wartungs- und Instandsetzungskosten der KGR der DIN 18960 [5]) über einen Betrachtungszeitraum von 50 Jahren. Auf Grundlage der zum Zeitpunkt des Bauantragsverfahrens vorliegenden Kostenberechnung lässt sich der Aufwand für eine entsprechende LZK-Berechnung für den durchschnittlich geübten Ingenieur mit ca. 3 bis 4 Stunden für das durchschnittliche EFH prognostizieren. Dieser Aufwandswert gilt in erster Näherung gleichermaßen für Neubauten und Bestandsimmobilien.

Forderungen bzgl. der Ökobilanz
In der Ökobilanz werden die Umweltwirkungen hinsichtlich des Treibhaus- und Versauerungspotenzials, des Ozonschichtabbau- und Ozonbildungspotenzials, des Eutrophierungspotenzials sowie des erneuerbaren und nicht erneuerbaren Primärenergiebedarfs subsummiert. Um die verwendeten Bauprodukte bzgl. ihrer Umweltwirkungen bewerten zu können, werden in Anlehnung an die DIN EN 15804 [8] bzw. ISO 14025 [9] sog. EPDs (Environmental Product Declarations) erstellt. Die EPD liefert die o. g. umweltbezogenen Informationen aus dem Lebensweg des Produkts. Es geht dabei um die Sachbilanz (Angaben zum Ressourcenverbrauch), die Wirkungsabschätzung (z. B. Treibhauseffekt oder Erschöpfung fossiler bzw. mineralischer Ressourcen) und um weitere Indikatoren (z. B. die Art und Menge des produzierten Abfalls).

EPDs können zudem ergänzende Angaben zu Umweltthemen (z. B. Gefahren für die menschliche Gesundheit) beinhalten. Das Bundesbauministerium hat die verfügbaren EPDs – mittlerweile mehr als 800 – in der Datenbank „Ökobaudat“ [10] zusammengefügt. Bei der Ökobilanz werden nun die Umweltwirkungen der einzelnen Bauprodukte in einer Input-Output-Betrachtung verknüpft und über den gesamten Lebenszyklus von der Rohstoffgewinnung bis zum Rückbau betrachtet. Diverse frei verfügbare EDV-Programme mit hinterlegten Datensätzen und Bauteilvorlagen reduzieren den zunächst hohen Aufwand zur Erstellung einer Ökobilanz deutlich.

Um einen anwendungsorientierten Einstieg zu bewerkstelligen, muss sich die Ökobilanz am Referenzgebäude – bekannt aus der EnEV 2018 und dem aktuellen GEG – orientieren. Das Referenzgebäude ist ökobilanzmäßig ausschließlich hinsichtlich der Gebäudehülle zu bewerten und in Relation zu den Werten eines nutzungsgleichen Neubaus zu setzen.

Als Diskussionsansatz wird zunächst eine ökobilanzielle Gleichwertigkeit zwischen Projekt und Referenzgebäude gefordert. Eine deutliche Unterschreitung der ökobilanziellen Parameter durch das Projekt wird im Zuge von Subventionsprogrammen finanziell gefördert. Das kann z. B. analog zu den bekannten KfW-Einstufungen mit 115, 100, 85, 70, 55 und 40 % des Bedarfs des Referenzgebäudes erfolgen. Der Ingenieuraufwand zur Erstellung der Ökobilanz für das o. g. EFH lässt sich mit ca. 6 bis 7 Stunden kalkulieren.

Umsetzung der Forderungen innerhalb der Landesbauordnungen
Im Zuge der geforderten Praktikabilität müssen diese Aufgaben nun ingenieurmäßig angebunden werden. Hier wird der Tragwerksplaner präferiert. Er muss künftig neben der Eigen- und Verkehrslast sowie der Schnee- und Windlast auch die „Umweltlast“ (im Sinn einer Belastung der Umwelt) als neue Komponente mit ständiger Einwirkung ermitteln. Diese semantischen Affinitäten haben sehr wohl ihren technischen Hintergrund. Bzgl. der Ökobilanz liegen dem Tragwerksplaner mit dem GEG-Nachweis alle relevanten Daten der Gebäudehülle vor. Hinsichtlich der Lebenszykluskosten tut er sich leicht mit Algorithmen innerhalb der Kapitalwertmethode und erhält Unterstützung der planenden Ingenieure und Architekten bzgl. der Investitionskosten durch die Kostenberechnung, die ihm durch seine Honorarermittlung per se bekannt sein sollte.

Je früher die Lebenszykluskosten und Ökobilanzen ermittelt und bewertet werden, desto größer ist die Chance, ein tatsächlich wirtschaftlich und ökologisch optimiertes Gebäude zu erhalten. Damit sich die Betrachtung des Lebenszyklus bei allen am Bau Beteiligten breiten Raum verschafft, muss diese zwingend gesetzliche Grundlage zur Genehmigungsfähigkeit von Gebäuden werden. Das kann unspektakulär und pragmatisch gelingen, wenn die Nachweise innerhalb des Bauantragsverfahrens eingefordert werden. Letzteres liegt in Länderhoheit – darauf wird später noch eingegangen – und wird regelmäßig aktualisiert. Insofern ist eine kurzfristige, pragmatische Umsetzung mit weitreichender Wirkung möglich.

Die Konsequenzen einer Ausweitung des Bauantragsverfahrens bezüglich der Berechnung von Lebenszykluskosten und Ökobilanz sind unter Kostenaspekten überschau- und verantwortbar. So führt ein Aufwand von zehn Ingenieurstunden bei einer Baumaßnahme mit Gesamtkosten von 250.000 € zu einer Kostenerhöhung von ca. 0,3 %. Diese schlägt sich in der Kostengruppe 700 nieder. Kosten und Nutzen stehen somit in einem angemessenen Verhältnis. Und der Mehrwert, der sich aus dem dann verfügbaren Datenmaterial generieren lässt, ist für alle Beteiligten greifbar. So werden die Effekte baulicher Varianten bzgl. der Baukonstruktion, z. B. Schichtenfolgen der Außenwand mit unterschiedlichen Materialien und Schichtdicken, oder bzgl. der technischen Gebäudeausrüstung, z. B. zentraler oder dezentraler Lüftungsanlagen, transparent und bewertbar.

Unternehmerische Situation in der Bauwirtschaft: Szenario bottom-up
Um mit dem erforderlichen Pragmatismus auf die o. g. Forderungen eingehen zu können, beleuchten wir nun die Ausgangssituation in der deutschen Bauwirtschaft. Nach über sechs Jahren Hochkonjunktur steht dieses Erfolgsmodell auch auf absehbare Zeit nicht zur Disposition. Die großen Baufirmen, die selbst Milliardenprojekte (meist) souverän abwickeln, werden an Bedeutung gewinnen, bezogen auf das gesamte Bauvolumen jedoch nach wie vor nur eine Nische besetzen. Den Löwenanteil der Projekte – kleinere Standardbauten ohne Leuchtturmcharakter – bestreiten dagegen klein- und mittelständisch sowie handwerklich geprägte Unternehmen. In diesem Marktsegment werden die Strukturen der am Bau Beteiligten und die dazugehörigen Entscheidungswege mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch mittelfristig weitgehend unverändert bleiben.

Es geht insbesondere um die Pflege langjähriger Beziehungen zu regional ansässigen Handwerkern in kleinteiligen und engmaschigen Netzwerken. Hier führen der extrem ausgeprägte Nachfragemarkt und die hohe Auslastung der Beteiligten bewusst oder unbewusst zu ausgeklügelten Abwehrstrategien gegenüber jeglichen Änderungen. Häufig erkennen die Bauschaffenden nicht einmal die Notwendigkeit eines Wandels, da sie auch mit ihrer traditionellen Arbeitsweise ertragreich agieren. So spielen bei der Mehrzahl der Bauvorhaben innovative Bauverfahren und Bauprozesse auch in der nächsten Dekade eine untergeordnete Rolle. Die bei den Marktführern der Branche seit Jahren etablierten Standards sind in vielen Unternehmen noch nicht angekommen. Häufig mangelt es schon an der technischen Ausstattung als Grundlage einer Digitalisierungs- und Automatisierungsstrategie.

Wer an der längst überfälligen Effizienzsteigerung der Baubranche teilhaben will, darf die o. g. Hindernisse nicht aus dem Auge verlieren. Deren Beseitigung ist darüber hinaus ein wesentlicher Schritt, wenn es darum geht, die ambitionierten Vorgaben des European Green Deal zu erfüllen und dabei im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig zu bleiben. Das muss bei allen Praktikabilitätsansätzen unbedingt Berücksichtigung finden. So gehen die digitale Transformation und die nachhaltige Entwicklung des Bauwesens einher mit einer pädagogisch didaktischen Aufgabe.

Wenn wir das Fernziel der Dekarbonisierung erreichen wollen, benötigen wir einen ganzheitlichen Ansatz sowie ein enges und möglichst reibungsloses Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Lehre und Gesellschaft. Die Optimierung einzelner Stellschrauben reicht nicht aus. Wir müssen zudem im Neubau und bei der Modernisierung – grundsätzlich und pragmatisch – nachhaltig planen und bauen, auch unabhängig von Nachhaltigkeitszertifikaten. Es gilt, die notwendigen Prozesse und Projekte dafür zu fordern und zu fördern.

Paradigmenwechsel top-down: Nachhaltigkeit fordern und fördern
Die Unternehmen der Bauwirtschaft benötigen für Ihre erfolgreiche Tätigkeit einen ausgewogenen und zuverlässigen Rechtsrahmen. Bürokratie und die weiterhin mangelnde Digitalisierung der Bauverwaltung schaden und behindern die komplexen, arbeitsteiligen Abläufe der Baubranche im privaten und öffentlichen Hochbau, im Verkehrswegebau oder im Spezialtiefbau, nicht zuletzt beim Bauen im Bestand. Auch die Verstetigung der öffentlichen Bauinvestitionstätigkeit ist für die Baufirmen und ihre koordinierte Kapazitätsplanung unabdingbar.

Die neue Bundesregierung, die sich aktuell konstituiert, muss als Impulsgeber für die 20. Legislaturperiode innerhalb eines zukunftsfähigen Top-Down-Ansatzes fungieren. Zu einem stabilen Rechtsrahmen zählt u. a. die Vereinheitlichung der Landesbauordnungen auf der Grundlage der Musterbauordnung. So werden einerseits intern beliebte Länderhoheiten abgebaut und gleichzeitig ein umfassender Beitrag zur Ressourcenschonung auch der Verwaltungskapazitäten geleistet. Andererseits kann dieser Ansatz vergleichsweise innovativen Bauweisen den Marktzugang erleichtern. So ermöglicht die LBO Berlins aktuell den Holzbau mit fast beliebigen Ausmaßen, während bei dieser Bauweise in NRW – aus vorgeschobenen Gründen des vorbeugenden Brandschutzes – nur bis zu vier Stockwerke erlaubt sind. Das ist nicht vermittelbar!

Die neue Bundesregierung muss das nachhaltige Bauen voranbringen, indem sie sich u. a. für marktwirtschaftliche Anreize einsetzt und statt nationaler Emissionshandelssysteme EU-weite Konzepte propagiert. Wie von den Autoren bereits dargelegt wurde, muss die Sanierungsrate im Gebäudebestand dramatisch gesteigert werden. Hilfsmittel der Politik sind hier spezifizierte finanzielle Zuschüsse und angepasste Abschreibungsmöglichkeiten.

Das serielle und modulare Bauen muss auch im Sanierungssegment Einzug halten. Entsprechende Marktentwicklungen muss die Regierung durch Förderprogramme unterstützen. Die Bedeutung und den Erfolg u. a. von Start-Ups haben die Autoren bereits beschrieben. Das Denken muss sich bzgl. der Projektierung wegbewegen vom Gebäude hin zum Quartier. Entsprechende Ansätze findet man u. a. bei der DGNB. Die vorhandenen Förderprogramme müssen die Beantragung und Abwicklung größerer Einheiten vereinfachen und das GEG muss die Anrechenbarkeit größerer Projekte ermöglichen.

Die Hochspannungsgleichstromübertragungstechnik (HGÜ) ermöglicht, verlustarm große Strommengen zu transportieren. Diese Strommengen sind elementar für die Bedarfsdeckung geplanter elektrischer Versorgungsszenarien. Dieses Mammutprojekt der deutschen Infrastruktur benötigt adäquate politische Unterstützung und Subventionierung.

Die Europäische Kommission hat mit dem European Green Deal und ihrem Circular-Economy-Aktionsplan die Richtung für eine ambitionierte Circular-Economy-Politik vorgegeben. Damit Recycling-Baustoffe auf dem Markt eine Chance bekommen, muss geregelt werden, unter welchen Bedingungen gütegesichert hergestellte, hochwertige RC-Baustoffe aus dem Diktat des Abfallrechts entlassen werden, weil sie primärbaustoffadäquat und ökologisch unbedenklich als Baumaterial eingesetzt werden können. In einem rohstoffarmen Land wie Deutschland spielt Kreislaufwirtschaft eine Schlüsselrolle bei der Sicherung einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft. Deutschland braucht klare Verantwortlichkeiten und Abläufe in Entsorgungswegen durch ein einheitliches und praktikables Probennahme- und Analyseverfahren auf der Grundlage der Abfallverzeichnisverordnung. Unmittelbar am Entstehungsort muss entschieden werden können, ob ein Material verwertet werden kann oder deponiert werden muss.

Wir dürfen jedoch „Kreislaufwirtschaft“ nicht mit „Abfallwirtschaft“ gleichsetzen. Kreislaufwirtschaft ist mehr! Sie berücksichtigt bereits in der Produktentwicklung die Rohstofferzeugung und die Rückführung von Material in den Wertschöpfungskreislauf am Nutzungsende. Nachhaltige Produkte werden aber nicht nur bzgl. Recyclingfähigkeit, sondern auch in Hinblick auf ihre Nutzungsphase optimiert. Es geht um das Reparieren defekter sowie das Aufbereiten veralteter Produkte. Und es geht um die Wiederverwendung ausrangierter Produkte, wenn sie in gutem Zustand sind. Dabei spielen digitale Produktpässe eine maßgebliche Rolle, auch im Zusammenhang mit Urban Mining.

Die Pandemie hat den Reformbedarf der öffentlichen Bauverwaltungen besonders offengelegt. Diese benötigen zudem eine deutlich bessere personelle Ausstattung, die vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen geschult und digitale Antragsplattformen eingerichtet werden. In diesem Zusammenhang muss auch an einheitlichen, nachhaltigkeitskompatiblen Ausschreibungsverfahren gearbeitet werden, um diese bundes- respektive EU-weit einzuführen.

Der Masterplan BIM muss auf alle Bausparten heruntergebrochen und für alle öffentlichen Projekte des Bunds und der Länder verbindlich werden. Das geht einher einerseits mit einer Standardisierung der Schnittstellen, die die Interaktion aller Projektbeteiligten in entsprechenden Cloud-Lösungen ermöglicht. Andererseits ist hierfür eine flächendeckende Netzinfrastruktur auf Glasfaserebene nötig.

Schließlich muss die neue Bundesregierung nicht nur national denken und handeln, sondern auf europäischer Ebene den EU Green Deal für Investitionen in nachhaltiges Bauen nutzen.

Fazit
„Die Phase des Theoretisierens muss endlich vorbei sein, die Kommission formuliert darum nicht nur konkrete Zielvorstellungen, sondern vor allem einen gangbaren Weg, wie Nachhaltigkeit tatsächlich umgesetzt werden kann.“ Wie die Autoren schon beim Einstieg in den ersten Teil dieser Artikelserie erwähnt haben, stammt diese Aussage nicht etwa aus dem Jahr 2021, sondern von 1998 [11]. Wenn wir das Fernziel der Dekarbonisierung erreichen wollen, benötigen wir den ganzheitlichen Ansatz sowie das genannte Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Lehre und Gesellschaft. Es gilt, die notwendigen Prozesse und Projekte zu fordern und zu fördern. Ökobilanzen und Lebenszykluskosten müssen gesetzliche Grundlage zur Genehmigungsfähigkeit von Gebäuden werden. Basis für eine erfolgreiche deutsche Bauwirtschaft ist ein ausgewogener und zuverlässiger Rechtsrahmen. Dabei geht es auch um eine zeitgemäße Kreislaufwirtschaft, welche neben der Recyclingfähigkeit Aspekte wie das Reparieren defekter sowie das Aufbereiten veralteter Produkte berücksichtigt.

Nachhaltigkeit funktioniert nicht ohne Digitalisierung und umgekehrt. Die digitale Transformation und die nachhaltige Entwicklung des Bauwesens gehen einher mit einer pädagogisch didaktischen Aufgabe. Für Wissenschaft und Hochschulen bedeutet das, ein Gleichgewicht zu suchen und zu finden zwischen Künstlicher Intelligenz (KI), Migration und ökologischem Ressourcenbewusstsein. Wie geben wir den gigantischen Mengen produzierter Daten Sinn und Bedeutung? An der Anwendung von KI geht allein schon deshalb kein Weg vorbei, weil der menschliche Intellekt angesichts der schier unendlichen Datenmengen – auch unter Einsatz „traditioneller“ digitaler Tools – an seine Grenzen stößt. Wir aggregieren immer mehr Daten über Bauprodukte, Umweltaspekte, Quartiere und das Klima. Je mehr Daten gesammelt und ausgewertet werden müssen, desto eher tritt unsere Begrenztheit der Be- und Auswertung zutage. Wir müssen akzeptieren, dass die Komplexität der Datenwelt ohne automatisierte Analysekompetenz durch KI weder zu beurteilen noch zu bewerten sein wird. Aufgabe von Wissenschaft und Hochschulen wird es sein, Digitalisierung und Ökologie in das o. g. Gleichgewicht zu bringen.

Nachhaltigkeit muss nach Ansicht der Autoren kurzfristig konkreter und gezielter gesetzlich verankert werden. Gerade im Bauwesen sind die Stellschrauben hinsichtlich ihres Nachhaltigkeitsnutzens konkurrenzlos. In diesem dreiteiligen Artikel wurden erste Möglichkeiten aufgezeigt, das Thema wissenschaftlich und politisch gezielt anzugehen.

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