Gestern erforscht, heute gebaute Realität

R30-Brandschutz durch Feuerverzinken

bauplaner 05/2020
Bavaria Production Services GmbH
Brandschutz

Ein 2019 abgeschlossenes Forschungsvorhaben der TU München belegt, dass Feuerverzinken die Feuerwiderstandsdauer von Stahl verbessert. Hierdurch ist eine Brandschutzdauer von 30 Minuten vielfach mit ungeschützten feuerverzinkten Stahlkonstruktionen möglich. Aktuell kommen die neuen Erkenntnisse bei mehreren Projekten in Europa zur Anwendung.

Ein zentrales brandschutztechnisches Ziel für Tragwerke ist die Gewährleistung der Standsicherheit im Brandfall. Stahl- und Stahlverbundtragwerke sind besonders zu schützen, da eine Erwärmung der Bauteile mit einer Reduktion der Festigkeit und Steifigkeit einhergeht. Für eine Feuerwiderstandsdauer ab bereits 30 Minuten (R30) werden dafür in der Regel passive Brandschutzsysteme (z. B. intumeszierender Anstrich oder Umhüllung mit Brandschutzplatten) erforderlich. Diese führen zu erheblichen Kostenerhöhungen der Stahlbauweise und deshalb nicht selten zu einer Bevorzugung anderer Werkstoffe. Im Rahmen eines umfangreichen Forschungsprojektes am Lehrstuhl für Metallbau der Technischen Universität München wurde nachgewiesen, dass eine Feuerverzinkung zu einer langsameren Erwärmung von Stahlbauteilen beiträgt. Zudem wurde dieser Effekt durch ein Rechenmodell für die stahlbaupraktische Anwendung quantifizierbar gemacht.

Geringere Emissivität schafft Bemessungsvorteile

Die langsamere Erwärmung von feuerverzinktem Stahl basiert auf einer verringerten Emissivität. Diese ist ein Maß dafür, wie stark ein Material Wärmestrahlung mit seiner Umgebung austauscht. Feuerverzinkter Stahl mit einer Stahlzusammensetzung gemäß Kategorie A und B nach DIN EN ISO 14713-2 weist bei einer Brandeinwirkung bis zu einer Temperatur von 500 °C eine Emissivität auf, die um 50 Prozent geringer ist.
Gerade in der Anfangsphase eines Brandes führen verringerte Werte der Emissivität zu einer deutlich verzögerten Erwärmung der Bauteile und können insbesondere bei Bauteilen mit einer ausreichenden Massivität wesentlich dazu beitragen, einen Feuerwiderstand von R30 zu erreichen.
Abbildung 2 zeigt den Unterschied in Anlehnung an die Euro-Nomogramme in Abhängigkeit des Faktors ksh*Am/V (Abschattungsfaktor*Profilfaktor) im Falle eines Normbrands nach der Einheits-Temperaturzeitkurve. Ein direkter Vergleich am Beispiel von dreiseitig beflammten HEB-Trägern in feuerverzinkter und nicht feuerverzinkter Ausführung zeigt auf sehr anschauliche Weise den positiven Effekt der Feuerverzinkung auf den Feuerwiderstand nach einer Branddauer von 30 Minuten (Abb. 3). Es werden durch Feuerverzinken Festigkeitssteigerungen von bis zu 98,5 Prozent erreicht. Die Erwärmung der feuerverzinkten Träger liegt bis zu 103 °C unter der Temperatur von nicht verzinkten Trägern.

Einfacher Praxistransfer durch kostenlose Tools zur Bemessung

Auf der Basis der Forschungsergebnisse wurde eine Toolbox erarbeitet, die die baupraktische Anwendung und Einarbeitung der brandschutztechnischen Vorteile von feuerverzinktem Stahl für statische Berechnungen in Ingenieurbüros erleichtert. Hierzu gehören Bemessungstools in Form von Nomogrammen, Tabellenwerken und einer Software zur Bestimmung der Bauteilwiderstände, zur Nachweisführung einer auf Druck beanspruchten Stütze sowie zur Nachweisführung eines Trägers auf Biegung und axialen Druck im Brandfall. Die Tools erlauben den Nachweis gängiger Querschnitte (Rund-, Quadrat-, Rechteckrohre sowie Träger mit H- und I-Profil) sowohl für feuerverzinkte als auch für nicht verzinkte Bauteile nach 15 bzw. 30 Minuten unter der Einheitstemperaturkurveneinwirkung.

Praxisanwendung 1: R30-Brandschutzwände in Aargau

Die Firma Römer betreibt in Wohlen im schweizerischen Aargau ein Entsorgungszentrum für Metall- und Papierabfälle sowie Altholz und Kunststoffrecycling. 2018 wurde mit der Planung einer neuen Sortieranlage sowie einer neuen Halle begonnen, die den Holzlagerplatz überdacht. Aus Brandschutzgründen mussten im Rahmen dieser Baumaßnahme zwei Brandschutzwände erstellt werden, für die eine Feuerwiderstandsdauer von 30 Minuten (R30) gefordert war. Für die Stützen der rund 13 bzw. 9 Meter hohen, in Stahlbauweise konstruierten Brandschutzwände kamen HEB-340-Profile zum Einsatz, die feuerverzinkt wurden. Als Ausfachung wurden Brandschutzfassadenpaneele verwendet. Da an einer der beiden Brandschutzwände Brandschutzmaßnahmen erst ab einer Höhe von rund 5 Metern erforderlich waren, wurden zum Auflegen der Brandschutzpaneele feuerverzinkte UPE-240-Profile als Träger verwendet. Durch die Feuerverzinkung konnte nicht nur ein dauerhafter Korrosionsschutz geschaffen, sondern auch gewährleistet werden, dass die Stahlkonstruktion die geforderte Feuerwiderstandsdauer von 30 Minuten erreicht. Der R30-Nachweis für das Projekt erfolgte mittels Heißbemessung durch Mensinger Stadler Ingenieure. Für die Stahlbauplanung und -ausführung war das Unternehmen H. Wetter verantwortlich.

Praxisanwendung 2: Cruise Center Baakenhöft

Das „Cruise Center Baakenhöft“ in der Hamburger HafenCity wird bis 2023 als temporäres Ausweichterminal dienen und soll darüber hinaus als multifunktionale Veranstaltungsstätte genutzt werden. Die eingeschossige Halle in feuerverzinkter Stahlskelettbauweise verfügt über eine Grundfläche von rund 1.050 Quadratmetern mit einer Länge von 68,50 Metern und einer Breite von 15,50 Metern. Das Stahltragwerk besteht aus einer Reihung von 10 Rahmenelementen mit Stützen aus HEM-240- bzw. HEM-280-Profilen und HEM-280-Riegeln, die jeweils mittels 4 HEB-200-Profilen verbunden sind. Alle Außenwände des Gebäudes werden mit Metallkassetten bekleidet. Die Innen- und Außenschalen bestehen aus Aluminium mit einer dazwischenliegenden nicht brennbaren Dämmung. Seitens des Bauherren, der HafenCity Hamburg, sind für das Gebäude während des Nutzungsbetriebs als Kreuzfahrtterminal eine maximale Personenzahl von 400 und bei der Nutzung als Versammlungsstätte bis zu 700 Personen festgelegt.
Das Cruise Center Baakenhöft befindet sich mit seiner Lage in der HafenCity Hamburg in unmittelbarer Wassernähe zur Elbe. Hochwasserereignisse treten hier regelmäßig auf, sodass sehr hohe Anforderungen an den Korrosionsschutz gestellt werden. Darüber hinaus muss im Hafenbereich bei Überschwemmungen mit Treibgut von erheblicher Größe gerechnet werden, wodurch sich aufgrund der damit verbundenen Anpralllasten erhöhte Anforderungen an die Dimensionierung der Gebäudestützen ergaben. Für die feuerverzinkte Stahlkonstruktion des Terminals sind aus Sicht des Brandschutzes die konstruktiven Anforderungen, die sich aus der Heißbemessung ergeben, identisch mit den Anforderungen aus der Kaltbemessung. Eine Überdimensionierung von Tragwerkselementen, die zur Erfüllung der Anforderungen bei der Tragfähigkeitsberechnung von Bauteilen im Brandfall mittels Heißbemessung notwendig werden kann, war deshalb nicht erforderlich. Der Korrosionsschutz durch Feuerverzinken deckt beim Cruise Center Baakenhöft somit die R30-Brandschutzanforderungen mit ab, ohne hierfür zusätzliche Kosten zu verursachen. Auch bietet die robuste Feuerverzinkung bei der Nutzung als Versammlungsstätte einen weiteren Vorteil: Bei Veranstaltungen ist es üblich, Installationen vorzunehmen und Lasten, beispielsweise Licht- und Tonequipment, von den Deckenträgern abzuhängen. Hierbei werden oftmals herkömmliche Brandschutzbeschichtungen (Dämmschichtbildner) durch mechanische Einwirkungen beschädigt. Die Folge sind hohe Erhaltungsaufwendungen. An den mechanisch hoch belastbaren feuerverzinkten Oberflächen können derartige mechanische Beschädigungen ausgeschlossen werden. Die Planung und der Bau des Cruise Centers Baakenhöft erfolgt durch die Firma Schienbein Industrielle Dach- und Fassadentechnik. Die Kaltbemessung des Gebäudes wurde seitens Kossin + Vismann Bauingenieure ausgeführt, die Heißbemessung durch hhpberlin – Ingenieure für Brandschutz.

www.feuerverzinken.com/brandschutz

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