Fassaden unter Strom: Photovoltaik-Ausbau an Gebäudehüllen

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Wie sich Photovoltaik (PV)-Anlagen technisch einfach, schnell und kostengünstig an Gebäudehüllen umsetzen lassen, steht im Zentrum des Forschungsprojekts „SolarEnvelopeCenter“. Unter der Führung des Fraunhofer ISE in Freiburg entwickeln derzeit Industrieunternehmen und Forschungszentren hierfür standardisierte Lösungen.

Der Solaranteil am Energieverbrauch soll sich bis zum Jahr 2030 nach Plänen der Bundesregierung mehr als verdreifachen. Um dies zu erreichen, sind technologische Innovationen notwendig: So können PV-Module nicht nur auf Dächern, sondern auch flächendeckend an Gebäudefassaden installiert werden. Bisher wird das enorme PV-Potenzial der Fassaden jedoch nicht ausgeschöpft.

Zu teuer, zu kompliziert, zu unästhetisch: Solarmodule an Gebäudefassaden fristen buchstäblich ein Schattendasein. „Während sich fast jedes Dach mit relativ geringem Aufwand mit Photovoltaik ausstatten lässt, sind herkömmliche PV-Module für Fassaden in der Regel ungeeignet. Integrieren lassen sie sich nur mit einem unverhältnismäßig großen technischen und finanziellen Aufwand“, erklärt Christian Luft, Experte für Energiemanagement bei dem Beratungsunternehmen Drees & Sommer. 

Allein mit Blick auf die Zahlen sei eindeutig: „Um das Ziel von 200 Gigawatt Solarenergie bis 2030 zu erreichen, müssen wir die installierte PV-Kapazität vervielfachen.“ Ohne Photovoltaikanlagen an Gebäudefassaden sei das nicht zu schaffen. „Der Knackpunkt ist dabei: Derzeit fehlen uns die standardisierten Planungsinstrumente, um Photovoltaik sowohl technisch, aber auch wirtschaftlich an den Fassaden anzubringen“, sagt Luft.

Standardisierte Lösungen als Ziel
Mit dem Forschungsprojekt SolarEnvelopeCenter will ein Netzwerk aus Industrie- und Forschungspartnern das nun ändern und entwickelt Normallösungen für PV-Integration an den Gebäudehüllen. Dr. Helen Rose Wilson, Projektleiterin des Fraunhofer ISE, erläutert die Ziele des Forschungsvorhabens: „Bisher handelt es sich bei PV-Anlagen an den Fassaden überwiegend um Speziallösungen, die Beteiligte sehr mühsam erarbeiten müssen. Unsere Forschung soll konkrete, zum Teil standardisierte Lösungen aufzeigen, die Anwendende dann je nach Projektanforderungen kombinieren und weiter ausarbeiten können.“ 

Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt durch das Solarforschungsinstitut Fraunhofer ISE und das Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI) mit Sitz in Saarbrücken. Solarfachkräfte und Hersteller sind durch die Deutsche Gesellschaft für Solarenergie e.V. (DGS) und dem Photovoltaik-Systemanbieter IBC SOLAR vertreten. Für Praxistauglichkeit der erarbeiteten Standards in der Baubranche sollen das Stuttgarter Architekturbüro wulf architekten und das Stuttgarter Bauberatungsunternehmen Drees & Sommer sorgen. 

Vorzeigeprojekte in Stuttgart und Freiburg
Wie sich Photovoltaikmodule erfolgreich in die Gebäudefassaden integrieren lassen, zeigen Vorzeigeprojekte wie das Rathaus Freiburg und das Bürogebäude OWP 12 in Stuttgart. Rund 800 Photovoltaikmodule an der Fassade und auf dem Dach des 2017 fertiggestellten Freiburger Rathauses sorgen dafür, dass das Gebäude mehr Energie erzeugt als es verbraucht. Auch der Drees & Sommer-Büroneubau OWP 12 in Stuttgart ist als Plusenergiegebäude konzipiert. Neben Solaranlagen auf dem Dach sorgt die Fassade mit PV-Elementen an der Süd- und Westseite für ausreichend grünen Strom und deckt etwa ein Drittel des Gebäude-Strombedarfs ab. Insgesamt wird auf knapp 700 Quadratmetern Fassadenfläche ein Ertrag von rund 70 Megawattstunden im Jahr gewonnen. Dank der Fassadenkonstruktion, die hohen Anforderungen an Schallschutz und Wärmedämmung standhält, ist die Fassade in Kombination mit den PV-Elementen nur 210 Millimeter dick. Auch optisch stellen die integrierten PV-Elemente eine sehr ästhetische Lösung dar.

Über den Dachrand hinausdenken
„Auch wenn Solaranlagen auf den Dächern ertragreicher sind, lohnt es sich durchaus auch in die Photovoltaikanlagen an den Fassaden zu investieren“, meint Kai Babetzki, Experte für Energiemanagement bei Drees & Sommer, der das Forschungsvorhaben zusammen mit Christian Luft in den nächsten Jahren begleitet. „Die beiden Projekte sind das beste Beispiel dafür. Wer klimaneutral und damit zukunftsfähig bauen will, muss wortwörtlich über den ‚Dachrand` hinausdenken.“

In zwei Jahren soll das Forschungsprojekt SolarEnvelopeCenter abgeschlossen werden. Geplant sei zudem, Teilergebnisse der Forschung als VDI-Richtlinie zu veröffentlichen, um die breite Anwendung zu fördern und damit die Solarisierung der Gebäudehülle zu beschleunigen.