Hand aufs Herz – Steffen Feirabend zu BIM in der Praxis

Der BIM Standard Deutscher Architekten- und Ingenieurkammern

Digitalisierung
BIM
Professor Steffen Feirabend entwickelte federführend für die Ingenieur- und Architektenkammern einen eigenen BIM-Fortbildungsstandard. Nach Einführung des „BIM Standard Deutscher Architekten- und Ingenieurkammern“ und der kontinuierlichen Weiterentwicklung des Bildungsangebotes gibt Steffen Feirabend nun in einem Interview Einblicke, inwieweit BIM (Building Informationen Modeling) bereits heute das Bauingenieurwesen in der Praxis durchdrungen hat und wie es um die Digitalisierung der Bauindustrie bestellt ist.
Herr Feirabend, inwieweit wird heute der Alltag in Bauingenieurbüros durch BIM bestimmt?

Derzeit liegt der Fokus bei der Anwendung von BIM bei vielen Beteiligten auf dem digitalen Planen und Bauen - und somit nur auf einem zeitlich sehr begrenzten Teilbereich des Lebenszyklus eines Bauwerks. Viele Planer schätzen die Chancen des integralen und kollaborativen Ansatzes mit der BIM-Methodik. Sie sehen aber auch die Gefahr eines Mehraufwands, den die Erarbeitung und Verwaltung sehr großer Datenmengen und deren Austausch nach sich ziehen kann. Es besteht die Gefahr, dass Aufwand und Ergebnis nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. BIM-Ziele und -Anwendungsfälle müssen daher stets sinnvoll gewählt werden und an Auftragnehmer gestellte Anforderungen müssen im Sinne des Projekts sein. So sollte sich beispielsweise die geforderte Modellierungstiefe nicht am technisch Möglichen orientieren, sondern daran, was zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich erforderlich ist. Bei diesem Bewusstsein für den sinnvollen und ressourcenschonenden Einsatz der BIM-Methode ist eine praxisgerechte und fundierte Ausbildung entscheidend.

Die ausführenden Firmen wiederum suchen angesichts des harten Wettbewerbs nach Wegen, wie eine effektive Ausführung gewährleistet werden kann, um die eigene Produktivität zu steigern. Hier bietet BIM viele Chancen und Möglichkeiten. Deutlich wird dabei, dass die tradierte Schnittstelle zwischen Planung und Realisierung im Zuge der Digitalisierung immer durchlässiger wird: Grenzen zwischen einzelnen Leistungsbereichen verschieben sich oder lösen sich auf. Dieser Sachverhalt sollte nicht als Gefahr für etablierte Prozesse, sondern vielmehr als Chance für Neues gesehen werden.

Welche Entwicklungsschritte erwarten Sie für BIM im Praxisalltag? Wird das Arbeiten mit BIM sprunghaft ansteigen oder ein stetiger Prozess bleiben?

Die Digitalisierung ermöglicht großflächig an den Stellschrauben für eine effizientere Nutzung von ökonomischen und ökologischen Ressourcen zu drehen – auch wenn hier sicher noch diverse technische und strukturelle sowie rechtliche Hürden zu überwinden sind. Die Erfassung und Aufbereitung der Daten von Bauwerken ist kein Selbstzweck, sondern erschließt einen unschätzbaren Datenpool, insbesondere wenn diese Daten nicht nur für ein einzelnes Bauwerk, sondern für einen zusammenhängenden urbanen Raum verfügbar sind. Insgesamt sicherlich ein sehr komplexes Vorhaben, das aber auch ein großes Potential in sich trägt.

Für den Einzelnen wird die Befähigung zum integralen und digitalen Arbeiten weit über die althergebrachten Disziplingrenzen immer wichtiger, um auch langfristig Lösungen für Herausforderungen zu finden und Chancen für neue Geschäftsmodelle zu nutzen.

Aus Gründen der Nachhaltigkeit sollte unser Fokus beim Arbeiten mit BIM in Zukunft verstärkt auf dem Betrieb, der Revitalisierung, dem Rückbau und der Rückführung der verwendeten Werkstoffe in biologische und technische Kreisläufe liegen. Dies bedingt aber die geordnete Übergabe der digitalen Daten nach dem Bau in den Betrieb. Darüber müssen sich die Beteiligten schon ganz zu Beginn eines Projekts klar sein. Ich erwarte im Praxisalltag vermehrt nachhaltige Anwendungsfälle wie z. B. modellbasierte Ökobilanzierung, digitale Bauwerksressourcenpässe, etc.

Die Zugänglichkeit und Weiterentwicklung von KI werden in Verbindung mit digitalen Planungs- und Fertigungswerkzeugen sowie der Erfassung von Ist-Daten dabei helfen, die Bereiche Planen, Bauen und Betreiben enger miteinander zu vernetzen.

Wie sind die Aussichten, wenn ich jetzt einsteige? Sind die Kinderkrankheiten behoben? Gibt es überhaupt ausreichend Auftraggeber, die BIM nachfragen?

Die BIM-Implementierung in Unternehmen und Projekten ist ein evolutionärer Prozess. Die Frage ist nicht ob, sondern wie die Implementierung erfolgt. Es ist aus meiner Sicht überfällig die Komfortzone des Bekannten zu verlassen und sich in einen fehleranfälligen Lernprozess zu begeben, der dafür sorgen muss, dass das Unternehmen auch noch in zehn Jahren existiert. Dies gilt sowohl für interne als auch externe Prozesse. Denn die BIM-Anforderungen der Auftraggeber steigen stetig – insbesondere die der öffentlichen Hand vom Bund über Länder bis hin zu den Kommunen.

Die Kurse zielen in erster Linie auf den Hochbau ab. Brauchen wir ein zusätzliches Angebot für den Infrastrukturbereich?

Natürlich müssen alle Tätigkeitsfelder im Ingenieurwesen abgedeckt werden. Wir entwickeln derzeit ein neues Schulungsangebot „BIM im Ingenieur- und Infrastrukturbau“, um insbesondere Ingenieurinnen und Ingenieuren das Potential der digitalen Arbeitsmethode über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks zu vermitteln. Unter der Federführung der bim STANDARD/ffb GmbH wird hierzu, gemeinsam mit der Ingenieurkammer Baden-Württemberg (INGBW) und der Technischen Akademie Esslingen (TAE), ein innovatives Kursangebot aufgesetzt, gefördert durch das Land Baden-Württemberg.

Je vielfältiger die Fachdisziplinen und Tätigkeitsfelder in den BIM-Schulungen vertreten sind, desto besser ist die Weiterbildung im Sinne der Zusammenarbeit im Projekt. Zukünftig ist es relevant interdisziplinär arbeiten zu können. Dazu sind Kompetenzen der Koordination, insbesondere mithilfe digitaler Methoden essenziell.

BIM war in den letzten Jahren das dominierende Thema, jetzt reden alle über KI – gibt es demnächst KI-Kurse?

Wir arbeiten momentan an der Erweiterung unseres Schulungsangebots für zukünftige Herausforderungen und Chancen – dazu gehört auch KI. Oft wird KI als Heilbringer angesehen für alle unsere (digitalen) Probleme, die wir uns momentan außerstande sehen zu lösen. Damit wird KI heute schon oft mit Erwartungen überfrachtet. KI wird uns helfen, schnellere und bessere Entscheidungen treffen zu können, auch beim Entwerfen und Planen, Bauen und Betreiben. Ich bin überzeugt, dass KI grundsätzlich die Art und Weise des Arbeitens ändern wird. Letztendlich gestalten aber wir Menschen unsere Umwelt für Menschen. Das ist und bleibt unser Ziel, unabhängig vom Prozess dazu. Mit KI-Prozessen und den damit verbundenen Möglichkeiten müssen wir uns im Bauwesen eingehend auseinandersetzten und dies entsprechend in die Aus- und Weiterbildung integrieren.

Es kostet durchaus etwas Überzeugungsarbeit, Bauingenieurinnen und Bauingenieure für die Digitalisierung des Planens zu gewinnen. Woher rührt die Zurückhaltung bei diesen durchaus technisch-affinen Menschen?

Ich habe den Eindruck, dass die Spreizung zwischen denjenigen, die die Digitalisierung in Ihrem Praxisalltag sehr bzw. nicht schätzen, sehr groß ist. Wir müssen uns die notwendige Offenheit und den Mut neue Wege zu gehen bewahren – das lateinische Wort „ingenium“ steht ja für „sinnreiche Erfindung“ oder „Scharfsinn“. Jeder sollte für sich einen Mehrwert mit der BIM-Methode erkennen können, dann ist die Bereitschaft für einen Wandel da.

 

Prof. Dr.-Ing. Steffen Feirabend ist Professor für digitales Planen und Bauen an der Hochschule für Technik Stuttgart und Geschäftsführer der bim STANDARD/ffb GmbH, im Vorstand der Ingenieurkammer Baden-Württemberg und im Wissenschaftlichen Beirat der Werner Sobek AG.

BIM Standard Deutscher Architekten- und Ingenieurkammern

Seit 2021 bieten die Planerkammern Vertiefungslehrgänge zur BIM-Methode an. Die BIM-Basiskurse wurden bereits 2018 erfolgreich eingeführt. Um den Herausforderungen der Digitalisierung adäquat begegnen zu können, starteten die Ingenieur- und Architektenkammern der Länder schon frühzeitig Fortbildungsmaßnahmen. Gemeinsamen haben sich Bundesingenieurkammer und Bundesarchitektenkammer hierzu auf die Einführung des „BIM Standard Deutscher Architekten- und Ingenieurkammern“ verständigt.

Auf Basis der Richtlinie VDI/buildingSMART 2552-8.1/8.2 wird ein gemeinsames Curriculum angeboten. Anhand dessen können die Bildungsinstitutionen der Länderkammern die Berufsträger qualitativ hochwertig und damit zukunftssicher fortbilden.

Ebenfalls konnte mit dem ZDB eine Übereinkunft erzielt werden. ZDB, BAK und BIngK werden Fortbildungen zum Thema BIM künftig gemeinsam nach dem „BIM Standard Deutscher Architekten- und Ingenieurkammern“ anbieten. Der besondere Mehrwert der Kooperation und des gemeinsamen Zusammenwirkens besteht darin, dass die Planenden und die Bauausführenden von Anfang an in der BIM-Methodik geschult werden, um ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln und dem kooperativen Ansatz weiter mit Leben zu füllen.