Preis spielt bei öffentlicher Vergabe eine entscheidende Rolle

Mitgliederumfrage der IK Baden-Württemberg

Deutsches Ingenieurblatt 11/2022
Kammern
Ingenieurbüro – Recht & Finanzen
HOAI
Die Honorare für Planungsleistungen müssen sich spätestens seit Einführung der neuen HOAI 2021 nicht mehr in einem festen Preisrahmen bewegen. Eine Umfrage der Ingenieurkammer Baden-Württemberg unter ihren Kammermitgliedern zeigt auf, dass in öffentlichen Vergabeverfahren der Preis für den Zuschlag inzwischen eine maßgebliche Rolle spielt.

Die Umfrage, an der sich im vergangenen Sommer rund 150 Kammermitglieder beteiligten, hatte zum Ziel, mehr Klarheit über die aktuelle Vergabepraxis in öffentlichen Vergabestellen zu schaffen. Die Mitgliederbefragung belegt, dass sich die negativen Entwicklungen bei öffentlichen Vergabeverfahren seit dem hinfälligen Preisrahmen in der HOAI verfestigt haben.

Obwohl sich Vergabestellen zur HOAI bekennen, scheint sich vielerorts ein Preiswettbewerb bei der öffentlichen Vergabe von Planungsleistungen zu etablieren. So gibt die deutliche Mehrheit der Befragten an, dass bei der Teilnahme an öffentlichen Vergabeverfahren in über 70 Prozent der Fälle der Preis für die Entscheidung ausschlaggebend gewesen sei (siehe Abb. 1). In den Freifeldern war oft zu lesen, dass die Honorare bei der Vergabe zwar nicht übermäßig hoch gewichtet würden. Jedoch sei letztlich – bei ähnlichen Punktzahlen der Bewerber bei den übrigen Eignungskriterien – der Preis für den Zuschlag trotzdem ausschlaggebend. 

Preisnachlässe unterhalb der Basissätze der HOAI werden erwartet
Häufig monierten die Umfrageteilnehmer auch, dass die meisten Angebotsunterlagen Felder für Pauschalnachlässe vorsehen und viele Angebote weit unter den Basissätzen der HOAI vergeben würden. Mehrfach war die Rede von Sätzen, die 30 Prozent unterhalb der Basissätze lägen.

Diese Aussagen wurden auch von den Umfragezahlen gestützt (siehe Abb. 2): 52 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, dass sie bei den Vergabeverfahren sehr deutlich den Eindruck hätten, dass Preisnachlässe unterhalb der Basissätze der HOAI erwartet würden. Weitere 30 Prozent erklärten, dass man diesen Eindruck zumindest bekommen könne. Der Druck auf die Teilnehmer öffentlicher Vergabeverfahren, unterhalb der angemessenen HOAI-Sätze zu kalkulieren, sei offenbar groß. Der Präsident der Ingenieurkammer Baden-Württemberg, Prof. Dr.-Ing. Stephan Engelsmann, gibt zu bedenken: „Der von Auftragnehmer und Auftraggeber gleichermaßen gewünschte Leistungswettbewerb findet in der Praxis nur teilweise statt – das bestätigen die Umfrageergebnisse. Die zwangsläufige Folge ist ein baukultureller, bautechnischer, ökonomischer und ökologischer Qualitätsverlust. Denn den Planerinnen und Planern bleibt ja nichts anderes übrig, als auf eine unauskömmliche Vergütung mit einer für den Auftraggeber oft nicht erkennbaren Reduzierung der Planungsleistung zu reagieren.“ 

Fehlende Praxisnähe der öffentlichen Vergabestellen
Ein bekanntes Problem, das in der Umfrage in Bezug auf öffentliche Vergabeverfahren vielfach moniert wurde, ist die fehlende Praxisnähe der Eignungskriterien. Zu schematisiert und mit unpassenden Eignungs- und Zuschlagskriterien versehen, werde es den Ingenieuren teils unmöglich gemacht, an Vergabeverfahren aus ihrem ureigenen Kompetenzbereich teilzunehmen.

Auch die vielen verschiedenen Vergabeplattformen erschweren dem Umfragefeedback nach die Teilnahme an Vergabeverfahren, da dies einen zu hohen Aufwand in der Bearbeitung der Bewerbungsformulare verursache. 

Wo die Digitalisierung eigentlich Erleichterung schaffen soll, bewirkt sie bei der E-Vergabe offenbar das Gegenteil. Über die Hälfte der Befragten betrachtete den Aufwand bei Vergabeverfahren als überhaupt nicht angemessen und fast ein Drittel als eher nicht angemessen (Abb. 3).

Veröffentlichung der Zuschlagskriterien erwünscht
Eine weitere Frage beschäftigte sich mit der Entscheidung für den Vergabezuschlag. 48 Prozent der Befragten antworteten auf die Frage, ob sie eine ausreichende Begründung zur Entscheidung der Vergabe erhalten hätten, mit einem klaren „Nein“ (Abb. 4). Weitere 34 Prozent beantworteten die Frage mit „eher nein“. Das lässt darauf schließen, dass bei den Umfrageteilnehmern mehr Transparenz gewünscht wird. Dies unterstreicht auch die Auswertung der letzten Frage, ob die Zuschlagskriterien und Bewertungsmatrix für die Zuschlagsentscheidung in den öffentlichen Vergabeverfahren publiziert werden sollten (Abb. 5). 49 Prozent hielten dies für sehr sinnvoll und 29 Prozent für sinnvoll. Eine Veröffentlichung scheint bei den Ingenieuren also gewollt zu sein. Durch mehr Transparenz könnten Vergabeverfahren einfacher und schneller optimiert werden und würden zudem für mehr Akzeptanz bei den Bietern sorgen.

Laut Präsident Engelsmann gelte es nun, mit den Erkenntnissen aus der Umfrage zusammen mit den Kammern und Verbänden im Planungs- und Bauwesen erneut das Gespräch mit den öffentlichen Auftraggebern zu suchen. „Die öffentlichen Auftraggeber bei der Vergabe im Sinn der Qualität und des Leistungsgedankens zu unterstützen und zu beraten, ist die Aufgabe der Planerinnen und Planer. Wir benötigen ein an übergeordneten gesellschaftlichen Zielen orientiertes Qualitätsdenken in Bezug auf Ingenieurleistungen“, so Engelsmann.

Die gesamten Umfrageergebnisse finden Sie unter: www.ingbw.de/fileadmin/pdf/ingkamm/Daten/Ergebnisse.pdf

 

Dieser Beitrag erschien bereits im Staatsanzeiger Baden-Württemberg am Freitag, den 14. Oktober 2022.

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